Masht Hassan hat in seinem kleinen iranischen Geburtsdorf eine Sonderstellung inne, ist er doch stolzer Besitzer der einzigen Kuh des Ortes. Angesehen von den übrigen Dorfbewohnern, die dadurch, dass seine Kuh den gesamten Ort mit Milch versorgt, auf ihn angewiesen sind, führt er ein zufriedenes Leben, das er vollkommen auf die Bedürfnisse seines Tiers ausgerichtet hat. Selbst seine Ehefrau erhält nicht halb so viele liebe Worte und Zärtlichkeiten wie die namenlose Kuh, mit der Hassan mitunter stundenlang in einer nahen Wassertränke herumtollt, die er spätabends noch besucht, um sie in ihrem Stall zu liebkosen, oder ihr ihr Futter liebevoll ins Maul hineinzureichen. Niemand nimmt Anstoß daran, dass Hassans Leben ganz offensichtlich um das seiner Kuh kreist, sämtliche Dorfbewohner, selbst seine Frau, scheinen sich damit abgefunden zu haben. Eines Tages verlässt Hassan das Dorf, um in die nahe Hauptstadt zu pilgern, und überlässt die Kuh damit der Obhut seiner Frau, die jedoch schon kurze Zeit nach seiner Abreise schreiend auf dem Dorfplatz auftaucht, wo sie unter Tränen zusammenbricht. Die alarmierten Dorfbewohner bringen nur mit äußerster Mühe aus ihr heraus, was passiert ist. Gerade eben, berichtet sie, habe sie Hassans Kuh tot im Stall vorgefunden, und tatsächlich: als die Dorfbewohner das Tier inspizieren, scheint es ohne äußere Einwirkung, ohne sichtbare Zeichen für eine Ursache über Nacht sein Leben ausgehaucht zu haben. Nun ist die Verwirrung groß. Hassan, das entscheidet man schnell, könne man die Nachricht nie und nimmer überbringen. Vom Tod seiner geliebten Kuh zu erfahren, würde ihn zerbrechen. Also ersinnt man in stundenlanger Arbeit eine halbseidene Lügengeschichte, nach der die Kuh nicht verendet, sondern lediglich weggelaufen sei. Einer von ihnen, ein junger Mann namens Abbas, sei ihr gefolgt, um sie zurückzuholen und bisher nicht zurückgekehrt. Dieser soll sich für die nächste Zeit im Haus versteckt halten, während man einen weiteren jungen Mann, der aufgrund seiner geistigen Behinderung zum Spott der Kinder und allgemein zum Dorftrottel avancierte, kurzerhand in einen Keller sperrt, damit der ja nicht wider besseres Wissen vor Hassan ausplaudert, was der nicht erfahren darf. Hassan indes verkraftet auch die reine Tatsache, dass seine Kuh sich auf und davon gemacht haben soll, nicht sonderlich gut. Schon kurz nachdem er den Stall leer vorfindet und die Dorfbewohner ihm ihre Halbwahrheiten und Ausflüchte unterbreiten, klagt seine Frau ihnen, dass er den ganzen Tag auf dem Dach seines Hauses sitze, das Gesicht der Wüste zugekehrt und nach seiner Kuh Ausschau halte. Bald indes treten schwerwiegendere Veränderungen zutage. Die Dorfbewohner, die alles versuchen, ihn in die Realität zurückholen, sehen sich alsbald dem Problem gegenüber, dass sich Hassan in die verschwundene Kuh hineinimaginiert. Er lebt im Stall, frisst ihr Futter, stößt Kuhlaute aus, und ist davon überzeugt, dass Hassan oben auf dem Dach sei, und auf ihn aufpasse. Als sich sein Zustand immer mehr verschlechtert, sehen sich die Dorfbewohner gezwungen, eine Entscheidung zu treffen…
Der erste und einzige Film, zu dem GAAV Assoziationen in mir weckte und Parallelen ziehen ließ, ist der fünf Jahre später in Belgien entstandene VASE DE NOCES. Freilich trennen beide Filme allein durch ihre Inszenierungsweise Welten. Vor allem erreicht GAAV als kleiner iranischer Film der späten 60er natürlich zu keiner Sekunde das Schock- und Skandalpotential des Gemeinschaftswerks Thierry Zénos und Dominique Garnys, nichtsdestotrotz lassen sich die Übereinstimmungen nicht von der Hand weisen, und trotz seines Entstehungslandes und seiner Entstehungszeit bietet GAAV dann doch zu Beginn, wenn er Hassans Verhältnis zu seiner Kuh näher beleuchtet, einige Szenen, die mich in ihrer Direktheit überraschten. Szenen, in denen Hassan sich seinem geliebten Tier eindeutig sexuell motiviert nähert, erspart uns der Film zwar, allerdings spricht es schon für sich, wenn Hassan zu seiner Kuh einen zärtlicheren Umgang als mit seiner Frau pflegt, wenn er sie lachend und außer sich vor Freude im Stall streichelt oder wenn er gleich am Anfang lange Minuten mit ihr in einem Wasserloch herumplantscht, mit ihr spielt wie ein verliebter Junge mit seinem Mädchen, sie umarmt und ihr Küsse ins Fell drückt. Ob nun eine geschlechtliche Vereinigung zwischen Mensch und Tier stattfindet oder nicht: auf jeden Fall macht GAAV unmissverständlich klar, dass Hassans Gefühle zu seiner Kuh leidenschaftliche sind, dass er das Tier über alles liebt, es den Mittelpunkt seines Lebens darstellt, weshalb ihn der Verlust derart hart trifft, dass er fortan die Rolle des toten Tiers einnimmt, und sein Menschsein von Tag zu Tag weiter abstreift. Auch das ist eine eindeutige Parallele zu VASE DE NOCES. Hier wie dort verwindet ein Mensch den Verlust eines Tieres nicht, und sinkt in der Folge auf eine animalische Ebene herab. In VASE DE NOCES endet es damit, dass der namenlose Protagonist seine eigenen Exkremente verzehrt, zunehmende in einen Zustand der Verwilderung gerät und sich schließlich erhängt. In GAAV ist die Darstellung nicht mal ansatzweise so extrem, dennoch beschreitet Hassan einen ähnlichen Weg wie die von Dominique Garny dargestellte Figur, indem er sich weigert, den Stall zu verlassen, gegenüber seiner Umwelt aggressiv reagiert, sich selbst und andere verletzt, nur noch Tierlaute ausstößt und die Dorfbewohner damit dazu nötigt, ihn mittels Gewalt dazu zu zwingen, sie in die nahe Stadt zu einem Arzt zu begleiten, der ihn heilen soll.
Die erste Hälfte von GAAV ist äußerst stark. Hassans überschwängliche Liebe zu seiner Kuh wird psychologisch glaubhaft dargestellt. Auch die Schilderung des dörflichen Mikrokosmos, der Versuch der Dorfbewohner, Hassan vor der Wahrheit zu schützen, und das Aussinnen ihres verworrenen Plans hat mir in seinem Zusammenspiel von Spannung, subtil-amüsanter Absurdität und Dramatik bestens gefallen. Umso irritiert ist man, wenn man im weiteren Verlauf der Handlung feststellt, dass sich der Film in einige für die eigentliche Handlung relativ unwichtige Subplots verliert, und Hassans sich steigerndem Wahnsinn nur noch begrenzten Raum gewährt, sein Versinken in seiner Kuhrolle nahezu unspektakulär und überraschungsarm inszeniert, zudem sämtliche Ereignisse aus der kollektiven Sicht der Dorfbewohner schildert, die in der zweiten Hälfte im Grunde nichts weiter tun als Hassan ratlos zu beäugen und sich an den Köpfen zu kratzen. Ab dem Moment, wo GAAV seinen Fokus verliert, stagniert der Film, lässt viele angeschnittene Nebenhandlungen wie lose Fäden herabhängen, und schafft es nicht, zu verhindern, dass sich einige Länge einschleichen, die nach dem grandiosen Anfang regelrecht enttäuschen. Es hat sich mir nicht erschlossen, welche Relevanz es für die Geschichte hat, dass der junge Mann, der sich verstecken soll, da die Dorfbewohner Hassan vorgaukeln, er sei der geflohenen Kuh hinterhergeeilt und habe sich bisher nicht mehr sehen lassen, in einem Haus unterkommt, in dem auch ein junges Mädchen wohnt, zu dem er in heißer Liebe entbrennt, was diese erhört, sodass die Beiden kurz vor Filmende das Bündnis der Ehe eingehen können. Auch die ständige Bedrohung des Dorfes durch eine Räuberbande, ein schließlich erfolgender Überfall und ein kurzer Kampf gegen die Banditen, erschien mir eher als ablenkendes Element und nicht wirklich als notwendige Bereicherung der Hassan-Handlung, die derweil auf der Stelle tritt und erst im offenen Ende ihren Höhepunkt und Abschluss findet.
Womöglich kann man einen Film wie GAAV auch nur dann vollständig erfassen, wenn man nähere Informationen über den sozialen Kontext und die historischen Hintergründe seiner Entstehung hat. Ein iranischer Betrachter sieht ihn unter Umständen mit ganz anderen Augen, erkennt Motive und Querverweise, die dem westlichen Blick verborgen bleiben. So hat sich mir GAAV nicht ganz erschlossen, einen unausgegorenen Eindruck erweckt, der sich vor allem auf Handlungsebene niederschlägt. Dennoch fand ich gerade die Darstellung der Liebesbeziehung zwischen Mann und Kuh in der ersten halben Stunde überaus interessant, wenn auch natürlich vergleichsweise zahm und zurückhaltend. In seinen besten Momenten versprüht GAAV abwechselnd einen unterschwelligen Humor oder eine bedrückende, beklemmende Stimmung, in seinen schlechtesten tendiert er dazu, sich in Nebensächlichkeiten zu verlieren, deren Stellenwert innerhalb der Handlung ich persönlich nicht nachvollziehen kann. Unterm Strich ist GAAV indes eindeutig empfehlenswert, sofern man darüber hinwegsehen kann, dass er bezogen auf seine rein technische Aspekte so manchen Wunsch offenlässt und auf allzu verwöhnte Betrachter schlicht dilettantisch wirken muss.