Review

„Wo bist du gewesen? Wo bist du nur gewesen?“
Weinend liegt die kleine Claudia in den Armen ihres Vaters Pietro. Sie habe ihn nicht erreichen können, als sie ihre Mutter, Pietros Frau Lara, tot im Garten des Wochenendhauses fand.
Nun, Pietro war mit seinem jüngeren Bruder am Strand, wo er, Ironie des Schicksals, eine Frau vor dem sicheren Ertrinken rettete.
Pietro hält es nach der Beerdigung in seinem Job nicht mehr aus, er sucht die Nähe seiner Tochter. Kurzerhand entschließt er sich, künftig jeden einzelnen Schultag in dem kleinen Park vor der Schule auf sie zu warten. 
Doch wenn dies zunächst für ihn nach einer gelungenen Abkapselung aussehen mag, so belehrt ihn seine Umwelt schnell eines Besseren, indem sie ihm einfach dort zu Leibe rückt. Zu unterzeichnende Verträge werden von der Sekretärin ins kleine Parkcafé gebracht, seine Schwägerin, mit der er mal ein Verhältnis hatte, bedrängt ihn mit ihrem überspannten Privatleben, nachdem sie mit ihrem Kleinwagen kurzerhand die Straße blockiert hat, und auch sein Bruder gesellt sich zu ihm auf die Parkbank, wenn er nicht gerade Aufheiterungsversuche mit Drogen unternimmt. Ihnen allen gemein sind ihre vielen guten Ratschläge für den Trauerprozess, die sie dem scheinbar von allem Unberührten ans Herz legen. 

Trauerarbeit in filmischer Verarbeitung hat schon so manches Tränental gesehen, und so überrascht es, mit „Caos Calmo“ nun eine gänzlich andere Herangehensweise präsentiert zu bekommen. Helle Aufnahmen, freundliche Gesichter und englischsprachige Popsongs bestimmen den Ton von Antonio Grimaldis Verfilmung des Romans von Sandro Veronesi, wenn Pietro im Park vor der Schule Stellung bezieht und keinerlei Anflüge von Traurigkeit zulässt. Er fertigt im Geiste Listen über alles Mögliche an; Genutzte Fluglinien, Umzüge, unangenehme Orte. Er löscht E-Mail-Korrespondenzen seiner Frau, die seinem Bild ihrer glücklichen Ehe nachträglich Risse zufügen könnten, und tut nach Ansicht seiner Mitmenschen überhaupt alles, um der Trauer zu entrinnen. Und wie er wird man auch als Zuschauer schon sehr bald von kleinen Ritualen wie dem täglichen Blickwechsel mit der hübschen Hundehalterin oder dem Autospiel mit dem Jungen mit Down-Syndrom eingenommen.
Doch die Leichtigkeit täuscht, das Verdrängte fordert zunehmend seinen Tribut, und es ist dem Film hoch anzurechnen, dass er keine dramatische Kehrtwende zur Halbzeit vollführt, sondern mit kleinen Änderungen und Gesten einen wirklichen Verlauf abbildet, Stück für Stück. Täglich vor der Schule zu sitzen, um nie mehr am falschen Ort zu sein, das kann es nicht sein, was Pietro ausmacht. Wie seine Arbeitskollegen und seine Verwandten muss sich Pietro mit verändernden Lebensumständen arrangieren. Ihm dabei zu folgen, ist dank Tausendsassa Moretti (der das Thema schon in seiner Regiearbeit „La stanza del figlio“ verarbeitete) ein Kinovergnügen abseits des üblichen Betroffenheitskinos. Sachte balanciert der Film sein tieftrauriges Thema und eine überraschende Portion Humor, und in diesen filigranen Bahnen fährt er auch am sichersten, lässt seinen etwas ungelenken Beginn (mit der nicht ganz überzeugend gefilmten Rettung oder der unerheblichen Venedig-Episode) hinter sich und gewinnt gegen Ende fast noch so etwas wie eine märchenhafte Qualität. 
Die er mit einer recht zeigefreudigen Sexszene (welche Moretti auch einen kleinen Skandal im eigenen Lande bescherte) kurz vor Schluss dann noch einmal überraschend aufbricht, innerhalb dieser aber auch durch die Körper der beiden Personen eine visuelle Brücke zur Eröffnungsszene schlägt, und so den Abschluss von Pietros Trauer vorbereitet, bei welchem ein Gastspiel von Roman Polanski und einige weise Worte von seiner kleinen Tochter eine gewichtige Rolle spielen werden. 

Was den Film abseits der Thematisierung von Trauerarbeit sehenswert macht, ist sein sympathisches Plädoyer für das Innehalten in einer Welt, die zum beständigen Funktionieren zwingt. Eine allgemeingültige Aussage, die nicht nur ausschließlich mit dem Tod verknüpft ist.

Details
Ähnliche Filme