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Nihilismus (lat. nihil „nichts“) Überzeugung von der Nichtigkeit u. Sinnlosigkeit alles Seienden, Verneinung aller Werte u. Ziele (Wahrig Deutsches Wörterbuch)

Pharaon ist Polizist in einer französischen Kleinstadt. Als er die geschändete Leiche eines kleinen Mädchens findet, bricht für ihn eine Welt zusammen. Demoralisiert und sichtlich unmotiviert geht Pharaon - mit mäßigem Erfolg - seiner Arbeit nach, den Mörder des Mädchens zu finden. Sein eingeschränktes soziales Umfeld gibt ihm dabei wenig Möglichkeiten dem Schrecken zu entfliehen und wieder ein wenig Spaß am Leben zu finden. In mittlerem Alter wohnt er noch immer im Elternhaus zusammen mit seiner Mutter und seine heimliche Liebe, die Nachbarin Domino, befindet sich in festen Händen. Zwar ist Domino bemüht Pharaon zusammen mit ihrem Freund wieder aufzubauen, doch fühlt sich Pharaon letztlich nur als fünftes Rad am Wagen.
Daß der Kleinstadtpolizist den Fall schließlich klären kann, beruht nicht auf den Früchten seiner Arbeit, sondern ist ein reines Produkt des Zufalls.

Der Regisseur Bruno Dumont hat für sein grandioses Werk „L’Humanité“ keine professionellen Schauspieler verpflichtet, sondern arbeitete ausschließlich mit Laiendarstellern. Ein zu befürchtendes, dilettantisches Schauspiel kommt jedoch nicht zustande. Vielmehr verleihen die talentierten, unverbrauchten Darsteller dem Film noch einiges mehr an Authentizität und Tiefe.
Allen voran Emmanuel Schotté, dessen alleinige Präsenz schon die fleischgewordene Depression verkörpert, die personifizierte Lethargie, stellenweise unterbrochen durch das Aufkeimen vermeintlich rettender Gefühlsausbrüche, die letztlich aber doch in das allumfassende Nichts münden. Als Beispiel eine geniale Szene aus dem Film: Pharaon besucht den Ort des Verbrechens, betrachtet die Stelle, an der er das ermordete Mädchen gefunden hatte. Plötzlich rennt er schreiend los, rennt über einen riesigen Acker, versucht zu „fliehen“, wird aber von einem Zaun aufgehalten. Sein erneutes Schreien wird von einem vorbeifahrenden Zug verschluckt. Pharaon ist an seiner Grenze angelangt, aber es gibt kein Entkommen, Hilferufe bleiben ungehört. Er muß umkehren und sich der Realität stellen, wie sie ist. Das Sinnbild der reinen Unschuld wurde geschändet und zerstört, und die Realität die Pharaon bleibt, zeigt sich ohne jeglichen Sinn.

Dumont zwingt die Bilder seines Filmes förmlich zu einer Symbiose mit der Gefühlswelt seines Hauptcharakters. In Form von sehr langen Kameraeinstellungen und gewaltigen, wie schwermütigen Totalen treibt der Regisseur seinen Hauptdarsteller in Richtung Ziel, das am Ende aber keines sein wird. Denn die erhoffte Katharsis bleibt aus, sowohl für den Protagonisten, als auch für den Zuschauer. Es macht keinen Unterschied mehr, ob der Mörder gefasst wird oder nicht, nichts wird sich dadurch ändern. Pharaon wird nicht zum Übermenschen, sondern bleibt, was er war: Mensch. Und was dem Zuschauer bleibt, ist ein bitterer Nachgeschmack.

Die Handlung des Films verläuft ebenfalls schwermütig und verzichtet gänzlich auf Höhepunkte oder Spannungsbögen. Stattdessen macht sich die Langeweile und Sinnlosigkeit des Alltags breit. Die meisten werden sich wohl am ehesten in der Langeweile wiederfinden und den Film unter selbiger Kategorie abstempeln, aber einige entdecken vielleicht auch Parallelen zu der Sinnlosigkeit, die eigentlich immer präsent ist, doch nur sehr selten zugegeben wird.

Alles in allem, kann ich „L’Humanité“, einen Film voll subtiler, zerstörerischer Kraft, jedem anspruchsvollen „Seher“ nur wärmstens Empfehlen.

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