Review

Der Geschmack der Kirsche (1997)

*Der Geschmack von Staub, Authenzität und einem neuen Lieblingsfilm*

Ein Film aus dem Iran? Persische Sprache mit Untertiteln? Ich weiß ja nicht, das lenkt doch auch nur vom Geschehen ab, wenn man ständig lesen muss. Aus diesen vorurteilsbehafteten Gründen schob ich den Film ausdauernd lange vor mir her. Doch vor einigen Tagen fasste ich mir endlich ein Herz. Was soll ich sagen? Auch nach der nur zwei Tage später vorgenommenen Zweitsichtung: Chapeau! Dabei ist dieses Drama auf den ersten Blick ein klassischer 'da passiert doch fast gar nichts'-Film, den böse Zungen wohl als zäh und langatmig bezeichnen würden.

'Mr.Badii fährt in aller Ruhe in seinem Auto durch eine staubige, ausladende und karge Steinwüsten-Baustellen-Landschaft und spricht wahllos Menschen an. Was er will erfährt man erst nach gut einem Drittel des Films. Er hat mit seinem Leben abgeschlossen, er will nicht mehr, der Schmerz zu groß, sein Selbstmord beschlossene Sache, die letzte Ruhestätte ausgewählt. Ein bereits ausgehobenes Erdloch soll es sein. Das Warum erfährt man nicht, man würde seinen persönlich empfundenen Schmerz eh nicht verstehen, wie er später erklärt. Was ihm fehlt ist die helfende Hand, die, nachdem er tot ist, 20 Schaufeln Erde auf ihn wirft. Für diesen außergewöhnlichen Helferdienst bietet er eine stattliche Entlohnung an. Zunächst will dennoch keiner diese makabere und unehrenhafte Aufgabe übernehmen. Doch dann trifft er auf den alten und weisen Mr. Bagheri. Und plötzlich wird aus dem bisher fast alleine redenden Mr. Badii der schweigende und nachdenkliche Zuhörer ...'

Kein Sound, keine künstlerischen Slow Motion Effekte oder kitschiges Tränendrüsengedrücke, keine dramatisch overactenden Darsteller, kein Tamtam. Hier wurde alles radikal über Bord geworfen und sich ausschließlich auf Story, Dialog und staubstarre Bilder fokussiert. So platt und abgedroschen der Satz auch sein mag, hier trifft er mehr als zu:

Weniger ist manchmal mehr.

Und hier ist einerseits sehr wenig, was die filmischen Stilmittel betrifft, gleichzeitig aber auch enorm viel, was den Inhalt angeht. Vor allem dem starken Hauptdarsteller Homayoun Ershadi, der durch Mimik und Gestik dem Zuschauer alle wichtigen Emotionen übermittelt, ist es zu verdanken dass trotz der äußerst langsamen, in Teilen beinahe stillstehenden Inszenierung zu keiner Zeit so etwas wie Langeweile aufkommt. Ein pures, ehrliches und humanes Drama, dass man auch ohne Worte nahezu empfinden und (be)greifen kann.

Fazit: Ein Film der es ohne Erklärungen, ohne wirklich stellungbeziehende Moralkeulen und ohne Vertiefung der Selbstmordintentionen schafft in seinen Bann zu ziehen, einen zur Eigeninterpretation, zum Nachdenken und vor allem Fühlen einläd, einem trotz der schweren und tristen Thematik gleichzeitig eine gehörige Portion Schönheit und Lebensweisheiten vermittelt und einen auch nach der Zweitsichtung noch lange nicht in Ruhe läßt, so ein Film ist für mich groß.

Auch wenn meine Zeilen dem Werk von Abbas Kiarostami wohl nicht annähernd gerecht werden, haben diese zumindest den Effekt mal etwas Werbung für dieses starke Drama zu machen, das ist ja auch schon mal was.

10/10 ?

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