Review

OFDb
Kritik von Dia Noga (Bernd Dötzer)
zu „Water Lilies“ (Original-Titel: „Naissance des pieuvres“, Frankreich, 2007)

Tolles Erstlingswerk von Céline Sciamma! Ein Film über das Erwachsenwerden, den alle jugendlichen Mädels aus meinem Bekanntenkreis, die ihn gesehen haben, wirklich ausnahmslos sehr interessant fanden – und auch Bekannte des männlichen Geschlechts. Somit ein Tipp für alle und allen Alters, wenn man mal etwas anderes, etwas Besonderes sehen möchte.
Der Blick der Regisseurin richtet sich nur auf die drei Hauptcharaktere im Alter um die 15 Jahre und ihre Beziehung zueinander. Dadurch sind Erwachsene oder Jungs nur am Rande vertreten, was eine ganz besondere Betrachtungs- und Erzählweise bietet, die das Publikum in die reine, unverfälschte Gefühls- und Erlebniswelt der drei jungen Heldinnen katapultiert. Es geht um Freundschaft, Liebe, (ersten) Sex - und die Erwartungen und Handlungen der drei Hauptfiguren einzeln für sich und untereinander in diesem Dreieck der Gefühle:
Die zarte Marie und die etwas pummelige Anne sind beste Freundinnen. Beide sind keine Partymäuse und beginnen gerade erst, ihr unschuldiges Gemüt mit den Verlockungen des Erwachsenwerdens zu konfrontieren. Marie verliebt sich auf den ersten Blick in Floriane, die Kapitänin der hiesigen Synchronschwimmerinnen. Diese ist ein Hingucker und gilt als Flittchen, die „es“ schon mit vielen Jungs gemacht hat. Das ist ein Problem für Marie, sie hat sich nämlich entschlossen, Florianes Liebe zu gewinnen. Anne hingegen will endlich einen festen Freund und verliebt sich in Florianes gegenwärtigen „Lover“, der natürlich zu den coolen Jungs des Schwimmvereins gehört. Diese Sehnsüchte der beiden Freundinnen gefährden aber ihre eigene Freundschaft, da es Marie gelingt, Floriane immer näher zu kommen und dafür Anne vernachlässigt, welche ebenfalls alles tut, um ihren Schwarm zu bekommen. Floriane selbst ist Gefangene der Erwartungen des Umfelds, die sie erfüllt, um „in“ zu sein.
Diese unterschiedlichen Drücke, die auf die drei Hauptfiguren lasten, zwingen jede auf ihre Weise zu handeln, um Entscheidungen herbeizuführen und ihren Weg in die Welt der Erwachsenen anzugehen.
Céline Sciamma erzählt die Geschichte der drei Jugendlichen einerseits in ruhigen Szenen, in denen jede ihre Gefühle und Sicht des Lebens nach und nach preisgibt, andererseits in Szenen voller Lebenslust und Energie. Wobei die Energie, die das Publikum trifft, nicht nur durch die Präsenz der drei authentisch agierenden Hauptdarstellerinnen, sondern auch durch die Entscheidungen der Figuren und deren Art der Umsetzung erzeugt wird.
Nicht zu vergessen der hypnotische Synthesizer-Soundtrack der Gruppe „Para One“, der das Publikum auf diese Reise in die Gefühle von Pauline, Anne und Floriane bestens begleitet. Ein echtes Highlight passend zum Film, nicht zu vergleichen mit nervigem Synthie-Gedudel vieler Filme aus den 1980er Jahren!
Abgerundet wird das Ganze durch den Eindruck der Pariser Vorstadt Cergy-Pontoise, die einen teils futuristischen, teils zweckdienlichen Beton-Charme aufweist, und in der die Regisseurin einst selbst aufwuchs.
Der Film liegt als französisches Original mit deutschen Untertiteln vor – was absolut von Vorteil ist, denn die Authentizität der Hauptdarstellerinnen wird somit bestens transportiert. Da nur relativ wenig gesprochen wird, was zu diesem Film wirklich hervorragend paßt, wird man nicht mit ungewohntem UT-Lesen überfordert.
Den Film kann man sich öfters als einmal ansehen, und man wird immer wieder im Spiel der Darstellerinnen Pauline Acquart (Marie), Louise Blachère (Anne) und Adèle Haenel (Floriane) unentdeckte Facetten oder Momente entdecken. Die Letztgenannte hat seitdem eine steile Karriere eingeschlagen und zählt heute zu den bekanntesten jüngeren französischen Schauspielerinnen. Die beiden anderen haben ebenfalls diesen in ihrer Jugend mit „Water Lilies“ eingeschlagenen Weg weiter verfolgt, sind immer wieder mal in Film, Fernsehen und auf der Bühne vertreten. Regisseurin Céline Sciamma hat danach weitere Werke im gleichen Genre geschaffen, jedoch kommen diese meiner Meinung nach bei Weitem nicht an die Wirkung ihres Erstlings „Water Lilies“ heran. Dieser Film ist zeitlos, man kann ihn in 20 Jahren noch sehen, genausogut wie in 50.

FAZIT: Ich sehe viele Filme, vor allem Europäsche und US-Amerikanische, Arthouse und natürlich auch Blockbuster, und als ich den Film zum ersten Mal 2010 sah, war das für mich ein Werk, das es so kaum gab - und noch heute sticht der Film für mich enorm aus der Masse heraus. Er wurde zu einem meiner Lieblingsfilme, weil er so anders ist, toll gespielt und realisiert, man hat das Gefühl bei den drei Mädels authentisch dabei zu sein. Der Film überrascht mal hier, mal da, erinnert sicherlich auch an die eigene Jugend oder an Situationen von damals, die man so verstand oder eben nicht verstand, und jeder, der offen für Unkonventionelles ist, kann darin eine Figur oder Schauspielerin oder Szene finden, in die man sich verlieben kann. Für die Action und Witze und Mega-Budgets gibt es andere Filme, dieser hier ist in seiner Kategorie absolute Spitze für mich.
Daher 10 von 10 Punkte!

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