Review
von Alex Kiensch
Mit der Verfilmung des gleichnamigen Romans liefert Regisseur Mark Herman ein berührendes, intensives und zugleich erschreckendes Bild des nationalsozialistischen Terrors, dessen Grausamkeit und Unmenschlichkeit vor niemandem Halt macht - nicht einmal vor dem achtjährigen Sohn eines SS-Offiziers, Bruno. Als dieser sich nämlich mit dem gleichaltrigen KZ-Insassen Schmuel anfreundet, gerät sein bis dahin heiles Weltbild aus den Fugen - und stürzt ihn und seine Familie in die Katastrophe.
Mit deutlich mehr Ruhe und Zurückhaltung, als es viele deutsche Filme zum Thema Drittes Reich zeigen, inszeniert Herman eine Gesellschaft, in der unter der gleichgeschalteten Oberfläche aus Nationalstolz und Zusammenhalt das nackte Grauen lauert. Schon die Anfangssequenz ist dabei stilprägend für den Film, wenn die Kamera Bruno und seinen Freunden beim Krieg Spielen durch die Straßen Berlins folgt und nach einer Reihe geradezu idyllischer Bilder wie nebenbei eine Reihe Lastwagen zeigt, in die gerade zahlreiche Juden gepfercht werden. Ein alltägliches Bild, so suggeriert jedenfalls die nicht vorhandene Reaktion der Jungen.
Der interessante Ansatz der Story besteht hier darin, das Dritte Reich aus der Perspektive eines Kindes zu zeigen, das von Geburt an mit der Propaganda der Nazis konfrontiert und aufgezogen wird. Während Brunos ältere Schwester die von ihrem Hauslehrer eingeimpften Ideologien mit glühendem Eifer nachplappert, bewahrt sich Bruno eine sichere Distanz. Diese Distanz schafft er - und das macht der Film ebenso ruhig und nebensächlich klar - durch seine pure kindliche Naivität. Wenn er in der Ferne die Baracken des KZs sieht, das sein Vater beaufsichtigt, spricht er verwirrt von einem Bauernhof, auf dem die Bauern alle Pyjamas tragen. Solcherlei naive Darstellungen bringen die kaum vorstellbare Unmenschlichkeit der NS-Vernichtungslager stärker zum Ausdruck als es viele andere, "ernste" Filme vermögen.
Auch die Freundschaft zwischen Bruno und dem Lagerinsassen Schmuel wird glaubhaft und in ihrer Zurückhaltung sehr intensiv dargestellt. Lob verdienen hier vor allem die Darsteller, die ihren Rollen im Lauf der Zeit zunehmende psychologische Komplexität verleihen - selbst die Kinderdarsteller sind bis auf einige etwas gestelzt wirkende Dialoge sehr überzeugend. Auch das Drehbuch, das den Figuren nur nach und nach tiefere Charakterzüge verleiht und sie dadurch von reinen Monstern zu bedauerns- bis hassenswerten Menschen mit vielschichtigen Merkmalen macht, ist ein großer Pluspunkt des Films. Daneben verleihen aufwendige Requisiten der Erzählung Authentizität und der souveräne Kameraeinsatz ein trügerisches Gefühl von Ruhe. Und das todtraurige Finale kann einem echte Gänsehaut-Schauer über den Rücken jagen.
Auch wenn der Musikeinsatz mitunter ein wenig ins Melodramatische entgleitet, der eine oder andere Dialog dann doch etwas zu klischeehaft wirkt und das Finale einen Tick zu schnell daher kommt, ist "Der Junge im gestreiften Pyjama" ein sensibler, tief berührender und tragischer Film über den Versuch, dem Grauen eines unmenschlichen Systems mit kindlicher Naivität und Lebensfreude entgegen zu treten. Gerade dieser krasse Kontrast dürfte die Intensität des Dramas bewirken.