Tote Hose in Palermo
Der jüngste Film von Wim Wenders, „Palermo Shooting“, machte im Vorfeld in zweierlei Hinsicht neugierig: Der gebürtige Düsseldorfer drehte seinen ersten Film in Deutschland und Europa seit 15 Jahren, filmte erstmals in seiner Heimatstadt und besetzte die Hauptrolle mit Campino. In Cannes war der Streifen im Programm, ging jedoch leer aus.
Schon die Besetzung der Hauptrolle mit Campino war ein Wagnis. Klaus Maria Brandauer besetzte die Ober-Hose im vergangenen Jahr in Berlin als Mackie Messer in der Dreigroschenoper. Das Stück fiel in der Kritik durch, Campino bekam von der Presse dennoch verhaltene Anerkennung. Wie würde er sich nun auf der großen Leinwand schlagen? Immer wieder versuchten sich Popstars als Schauspieler im Kino. Denkt man an die Ergebnisse, packt einen das kalte Grausen: Madonna, Michael Jackson, 50 Cent – verheerend. Einer der wenigen, die es geschafft haben, auch im Kino zu überzeugen ist David Bowie, der in einer kleinen Anzahl gelungener Filme zu sehen war und über eine beachtliche Leinwand-Präsenz verfügt.
Neugier weckte auch der Umstand, dass Wenders, gebürtiger Düsseldorfer, erstmals für einen großen Film in Düsseldorf dreht. Tatsächlich mag man sich darüber wundern, dass die NRW-Hauptstadt so selten als Filmkulisse genutzt wird, obgleich sie sich dafür durchaus eignet. Allerdings spielt nur der erste Teil des Films in Düsseldorf, dann geht es weiter nach Palermo, der titelgebenden Stadt auf Sizilien, Italien.
Die Story des Films ist rasch erzählt: Finn (Campino) lebt das erfolgreiche Leben eines renommierten Fotografen, dennoch scheint ihn sein Leben zwischen Stars und Glamour, Terminen und gescheiterter Ehe nicht auszufüllen. Seine Fotografie entbehrt aufgrund übermäßiger, digitaler Manipulationen zunehmend an Lebendigkeit; Affären trösten nicht über die Midlife-Crisis hinweg. Ziellos durch Düsseldorf streunend, zwischen Fotoshooting und Afterwork-Party, wird Finns innere Leere nach einer beinahe letalen Begegnung mit dem Tod so unerträglich, dass er, als er auf den Rheinauen ein Schiff namens Palermo sieht, dem Wink des Schicksals folgend die Reise dorthin antritt um Abstand zu gewinnen. In Palermo angekommen, findet er eine neue Liebe, lässt die Stadt auf sich wirken und kann sich wiederholt dem drohenden Würgegriff des Todes (dargestellt durch den enigmatischen Dennis Hopper) entziehen, bevor er sich diesem stellt, seine Midlife-Crisis überwindet und neuen Schwung gewinnt, sein Leben wieder in Angriff zu nehmen.
Mit seinen 108 Minuten deutlich zu lang, ist es ein Film vertaner Möglichkeiten. Wenders nutzt Düsseldorf nicht in dem Maße, wie es die Stadt hergäbe. Die, wie bei Wenders gewohnt, fantastische Fotografie des Films weiß Palermo besser ins Bild zu rücken; aber auch hier bleibt Wenders hinter seinen Möglichkeiten zurück. Maßgeblichen Anteil hat daran die Entscheidung, digital zu drehen und die Bilder in der Postproduction durch den digitalen Fleischwolf zu drehen, der die filmische Ästhetik erheblich beeinträchtigt. Die Story ist wenig originell und für einen langen Film zu dünn, die Dialoge überzeugen nur streckenweise und wirken in ihrer versuchten philosophischen Schwere und Tiefe zuweilen forciert, stereotyp bis aufgesetzt. Was die Filmmusik anbelangt, hat Wenders mal wieder ein gutes Händchen bewiesen, nur nutzt er die Musik nicht so, dass sie ihre volle Wirkung entfalten kann, da sie größtenteils dazu dient, langatmige Spaziergänge Finns durch Palermo zu untermalen. Musik und Atmosphäre bilden keine Symbiose, bleiben willkürlich und austauschbar. Insgesamt stellt sich bei der Betrachtung des Films viel zu schnell Langeweile und Müdigkeit ein.
Die größte Schwäche des Films ist indes ihr Hauptdarsteller. Campino vermag es, man muss es leider so deutlich formulieren, für keine Sekunde, sich von dem zu lösen, was man mit ihm in seiner Rolle als Front-Hose verbindet. Gerade dann, wenn es nötig ist ruhige Töne anzustimmen, wirkt er verkrampft bis verloren. Mimik und Gestik sind augenscheinlich bemüht, aber gezwungen und gerade seine Stimme versteht er nicht adäquat zu nutzen, wie es eine Filmrolle verlangt, mit Höhen, Tiefen und Variation. Lou Reed zeigt in seinem Kurzauftritt, der für die Handlung völlig unerheblich ist, wie man es besser macht. Gleich vergessen kann man auch Milla Jovovich, die sich selbst spielt und schon daran scheitert. Die weitaus beste Leistung des Films bringt Dennis Hopper, der in seiner ebenfalls kurz gehaltenen Rolle als personifizierter Tod sein schauspielerisches Können in die Waagschale legt und die anderen Akteure mühelos überstrahlt. Gerade die Szene gegen Ende des Films, in der sich Fotograf und Tod begegnen, zeigt, dass Campino überfordert ist und Hopper ein grandioser Vollblutschauspieler ist, der ohne großen Aufwand eine Eindringlichkeit erreicht, die ihn zu einem wahrhaft großen Charakterdarsteller macht.
Seine großen Vorbilder, Michelangelo Antonioni und Ingmar Bergman, die Wenders beim Schreiben des Drehbuchs inspiriert haben und denen der Film gewidmet ist, weil beide während der Dreharbeiten von „Palermo Shooting“ verstorben sind, zeigen in jeder Hinsicht, wie man es besser macht. Antonioni drehte mit „Blow up“ den wohl besten Film über einen Fotografen und dessen Handwerk, Bergmanns „Das Siebte Siegel“ setzte die Begegnung mit dem Tod unvergleichlich gut um. Wenders Versuch, beide Vorbilder zu vereinen, einen Schuss Esoterik beizumengen und ein gelungenes Ganzes zu produzieren, ist aufgrund der genannten Schwächen gescheitert. Von Antonioni kann man lernen, wie eine langsame Filmsprache ohne spektakuläre Ereignisse funktioniert, wie sie einen dennoch nie langweilt, sondern in jedem Moment fesselt. Insbesondere die Leichtigkeit, mit der Antonioni erzählt, verleiht „Blow up“ die Größe, die Wenders mit Schwere vergebens zu erzeugen versucht. Der Versuch, Antonioni und Bergmann zu kreuzen, ist aber schon per se keine gute Idee, denn Bergmann hat es, ähnlich wie Wenders aber anders als Antonioni, ebenfalls sehr mit der Schwere. Doch auch Wenders hat in der Vergangenheit bewiesen, dass er es deutlich besser kann. Zum Wenders-Klassiker dürfte es dieses Mal wohl nicht reichen.
Ich vergebe mit Wohlwollen 5/10 Punkte, eingerechnet sind der gute Soundtrack, die gute Photographie, sowie ein Dennis-Hopper-Extrapunkt.