Review

Wenn eine TV-Serie im wöchentlichen Abstand gesendet wird, muß der Inhalt eigentlich so präsentiert werden, dass man die Geschehnisse über den Zeitraum von sieben Tagen ohne Anstrenhung behält, und das Gesehene von selbst in den neuen Kontext einfügen kann. Nicht so bei "Wild Palms". Diese Serie macht es dem Zuschauer sehr schwer die komplette Aussage zu begreifen und zu erfassen. Beim ersten Durchgang der Serie hat man noch längst nicht alles in sich aufgenommen, was nur annähernd wichtig wäre. Man ist viel zu fasziniert von der sogartigen Inszenierung, von der dramatischen Musik und von der epischen Demontage trivialisierter TV-Klischees.

Denn "Wild Palms" ist mehr als nur eine Mysteryserie. Es ist Science-Fiction. Es ist Medienschelte. Es ist Politkino. Was man nur will, "Wild Palms", läßt sich schwer in eine Kategorie stecken. Und auch ein Versuch den Inhalt annähernd gut in einen Text zu fassen, kann man sich eigentlich abschminken.

"Wild Palms" ist zunächst Seifenoper. Wir beobachten Harry Wyckoff (James Belushi) in seinem schönen, behüteten Alltag. Er hat eine schöne Frau, namens Grace (Dana Delany) und zwei Kinder. Während er als Patentanwalt im Büro sitzt, leitet Grace eine ziemlich stylische Boutique, in die sich auch schon mal Filmstars wie Tabba Schwartzkopf (Bebe Neuwirth) verirren. Die beiden Kinder sind Cody (Ben Savage) und Deirdre. Cody ist ein verschlossener Junge, der sich lieber seiner Großmutter Josie Ito (Angie Dickinson) anvertraut, als seinen Eltern. Und die kleine Deirdre hat sein ihrer Geburt noch kein einziges Wort gesprochen.

So weit so gut, doch die heile Vorstadt-Haus-schönes-Auto-Welt wird zerbrochen, als Harrys alte Jugendliebe Paige Katz (Kim Cattrall) auftaucht, die ihn bittet, ihren verschwundenen Sohn Peter zu finden. Genau diesen Auftrag nimmt er an, und genau dieser Auftrag ist es, der ihm zum Verhängnis wird.

Paige arbeitet für "Wild Palms Network". Eine Gesellschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Fernsehen zu revolutionieren. Neuartige Holorecorder sollen dafür sorgen, dass Nachrichten und Sitcoms vortan durch dreidimensionale Hologramme direkt in die Wohnzimmer der Zuschauer "einbrechen". Natürlich ist dieser Punkt ein ganz klarer Seitenhieb auf die Fernsehindustrie, die schon jetzt einen unglaublichen, viel zu mainpulativen Eindruck auf die Bevölkerung Amerikas hat. Doch es kommt noch besser: Durch die bewußtseinserweiternde Droge Mimezine, die hauptsächlich aus dem japanischen Kugelfisch gewonnen wird, werden direkte Interaktionen mit den Hologrammen möglich. Cybersex bekommt völlig neue Möglichkeiten. In kleinen Mengen ist Mimezine perfekt für das absolute TV-Erlebnis. Doch in der sogenannten "Vierten Welt", einem Art Pennerviertel L.A.'s tummeln sich die Abhängigen, die das Mimezine nehmen, und sich bei Preisen für die Holotapes überbieten. Ein weiterer bedenklicher Faktor bei dem neuen Fernsehen ist die großen Möglichkeiten der Manipluation. In einigen Schlüsselszenen ist zu sehen, wie aus einer aufgenommen Ermordung die Mörderin ausgeschnitten wird, und ein guter Kandidat eingesetzt wird. Es ist kaum zu glauben, in welchen Maß eine TV-Serie das Fernsehen als solches kritisieren kann.

„Wild Palms“ gehört zu einer zwielichtigen Vereinigung verschiedener Firmen. Zum Netz gehört auch unter anderen Mimecom, die alle von Senator Anton Kreutzer (in absoluter Höchstform: Robert Loggia) befehligt werden. Kreutzer ist nicht nur „Wild Palms“-Chef, Präsidentschaftskandidat, sondern auch Organisator und „Erfinder“ der mysteriösen Religion „Synthiotics“, die er mit zweitklassigen Science-Fiction-Romanen untermauert. Die Figur des Anton Kreutzer ist ganz eindeutig an L. Ron Hubbard angelegt, der Initiator von Scientology, der seine äußerst bedenkliche religiöse Einrichtung ja auch auf seine Science-Fiction-Heftchen („Kampf um die Erde“) stützt. Aber damit nicht genug: Kreutzer ist auch der Chef einer politischen, äußerst gefährlichen Einrichtung, namens „Die Väter“, die an die „Macht der Bilder“ glauben, und versuchen die Menschheit durch Mimezine-Overkill zu versklaven – und ihren „Vater“ (natürlich Kreutzer) das Paradies bieten wollen. Sie kämpfen primär um den Gochip, der irgendwo in Japan zu finden ist, der dem Senator erlaubt zu einem unsterblichen Wesen zwischen Raum und Zeit zu werden. Von dort aus kann er die Träume der Menschheit manipulieren.

Die direkten Gegenspieler der „Väter“ sind die „Freunde“. Im Gegensatz zu den „Vätern“, die aus L.A. mittels eines gut funktionierenden, und einschüchternden Polizeiapparates, einen erschreckenden Stadtstaat gemacht haben, sind die „Freunde“ klein organisierte Liberalisten, angeführt von Eli Levitt (David Warner, schön theatralisch), genannt der „General“. Levitt ist der Ex-Mann von Josie Ito, und somit der Vater von Grace. Und so wird Harry Wyckoff in ein Spektakel hineingezogen, dass er selbst nicht mehr kontrollieren kann.

Und das ist erst ein Viertel der Geschichte. Hinzu kommen viele versteckte Insidergags, viele Traumsequenzen (und die jetzt zu besprechen würde den Rahmen eines Reviews wirklich sprengen) und unglaublich viele kleine Details, die man besonders beim ersten Mal leicht übersehen kann. „Wild Palms“ macht auf den ersten Blick kaum Sinn und scheint zu kompliziert zu sein. Doch lässt man sich auf den wahnsinnig komplexen Mysterythriller ein, wird man schnell fasziniert. Sehr soghaft geht die Story voran, das Übrigste tut der geniale, atmosphärische Soundtrack. Und die fast atemberaubend gute Kameraarbeit von Phedon Papmichael hätte mit 17 Oscars ausgezeichnet werden müssen.

„Wild Palms“ ist ein Alptraum, der leider zu wenig gewürdigt wird. „Wild Palms“ ist ein Gesamtkunstwerk aus kritischen, philosophischen, politischen, religiösen Aussagen, großartiger Kinematographie, einem perfekten Soundtrack, klasse Darstellern und einer letzten Ingridenzie, die in diesem Falle den letzten Kick bietet: Die absolut abgefahrene Story!

Anschauen… träumt vorsichtig!

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