An diesem Film ist vieles mysteriös. Fast alles! Die Handlung, um nur ein Beispiel zu nennen: Der auf den Hund gekommene Maler John versucht, in Istanbul seine Bilder an Galeristen zu verkaufen, die ihm das wenige Geld, das er für seinen Whiskykonsum benötigt, bar auf die Hand geben. Ein schwieriger Mensch, aber ein großartiger Künstler, wie es einer der Käufer einmal ausdrückt. Eines Tages wird John von einer rothaarigen Hure angesprochen, die mysteriöserweise Hemmungen hat sich nackt zu zeigen. Sie möchte für ihn Modell stehen, was zu einer mysteriösen Rückblende führt, in der John ein stummes Mädchen, das er offensichtlich sehr liebt, verpflegt liebt malt. Aber ach, er gibt ihr die falsche Kleidung zum Anziehen. Diejenigen Fummel, die ein anderes Modell einmal trug, in welches er ebenfalls verliebt war. Eine rothaarige Nymphomanin, die es mit absolut allen Männern trieb, die ihr gerade über den Weg liefen. Und die John heftige Vorhaltungen machte, wenn er ihr von seiner Knete nichts kaufte. Schmuck, Kleidung, Stiefel, solche Dinge. Die rothaarige Nymphomanin(?) blättert in der „Neuen Welt“ und schwärmt von den Wunderdingen der Novemberausgabe 1971, während John neben ihr sitzt und in Alkohol, Trübsal und Eifersucht versinkt. John beschattet die Nymphomanin, und sein Zorn wächst immer mehr. Auf den Jäger. Auf den Galeristen. Auf den Studenten. Alle dürfen mal ran, aber ihn hat die Rothaarige in der Hand, denn die Bilder von ihr bringen ein Vielfaches Geld seiner anderen Bilder. Johns Geist vernebelt sich zusehends, und er kann, genauso wie der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt, Wirklichkeit und Schein nicht mehr so recht auseinanderhalten.
Auch die Zeitebenen verwischen immer mehr zugunsten ungelöster Fragen. Wo ist die Stumme? Was ist mit der schüchternen Hure passiert? Wieso begräbt John eine Schaufensterpuppe? Wie viele ineinander geschachtelte Rückblenden kann ein Zuschauer auseinanderhalten, bevor er den Pinsel abgibt und sich den wohlgefälligen Bildern, dem schmeichlerischen Soundtrack und dem giftigen Charme Erika Blancs hingibt? Ohne weitere Fragen zu stellen, wohlgemerkt …
Nein, mit Logik hat es THE RED HEADED CORPSE nicht wirklich. Genauso wenig wie mit einer stringenten Handlung oder nachvollziehbaren Aktionen. Aber dafür hat man das Vergnügen, einer Erika Blanc in Hochform zuzuschauen, wie sie die halbe Männerwelt Istanbuls verrückt macht, und den Zuschauer mit ihrem ständig angedeuteten Ausziehen gleich mit. Mann darf einen Film bestaunen, der fürmal nicht von J&B sondern von der Zigarettenmarke Peer gesponsort wurde. Die schönen Bilder aus dem damaligen Istanbul verzücken und sorgen auf ihre Art für eine fast somnambule Stimmung, und es ist dem Regisseur Renzo Russo dabei hochanzurechnen, dass er auf die üblichen touristisch interessanten Aufnahmen komplett verzichtet, und dafür lieber tief in das Alltagsleben der Metropole eintaucht. Weiter gibt es eine sehr hübsche Ganzkörperansicht desjenigen Models, welches für das Plakat des Films DIE ROTE DAME aus dem gleichen Jahr ihr Gesicht hergab. Es hat Erika Blanc (erwähnte ich schon, wie aufregend sie hier aussieht?). Und last but not least Farley Granger, der gestrauchelte Starschauspieler, der es hier tatsächlich schafft, völlig überzogen und dabei gleichzeitig realistisch zu wirken.
Nein, mit herkömmlichen Begrifflichkeiten kann man THE RED HEADED CORPSE nicht zu Leibe rücken, dafür ist dieser Film zu mysteriös. Aber als Wunderhorn obskurer Merkwürdigkeiten, als Galavorstellung Erika Blancs und als drolliges Schmuckstück aus der hinteren Reihe der unentdeckten Gialli, da taugt der Film auf jeden Fall. Nichts für Giallo-Anfänger, aber für erfahrene Giallo-Fans mit Erfahrung und gewaltigem Bock auf die Erika eine ziemliche Empfehlung. Tipp: Das Gehirn vor der Sichtung nach Möglichkeit irgendwo ablegen, vielleicht zum Trocknen über eine Staffelei hängen, damit das Mysteriöse besser genossen werden kann …