"Technik und Wissenschaft sind mittlerweile so weit voran geschritten, dass sie außer Kontrolle geraten sind."
"Fringe - Grenzfälle des FBI" orientiert sich ganz offensichtlich an der Mystery-Serie "Akte X - Die unheimlichen Fälle des FBI". Dies ist nicht nur an der ähnlichen Titelgebung, sondern auch an den Inhalten der einzelnen Episoden leicht zu erkennen. Sechs Jahre nach dem Aus von "Akte X" sah J.J. Abrams ("Cloverfield", "Star Trek" (2009)) die Gelegenheit eine neue Serie, die in diese Richtung geht zu konzipieren.
Nach dem gigantischem Erfolg von Abrams' "Lost" standen ihm Tür und Tor offen. Der Sender FOX gab ohne weiteres den Pilotfilm in Auftrag. Wie schon zuvor beim Piloten von "Lost" steckte der Sender eine überaus hohe Summe für eine Serienproduktion in "Fringe". Zudem bietet "Fringe" die Besonderheit, dass die einzelnen Episoden fünf Minuten länger als im Schnitt produziert wurden und somit die erworbene Zeit zu Gunsten der Handlung ausfällt.
Der Aufwand ist eindeutig sichtbar und sollte sich lohnen, denn die Zuschauer würdigten die Serie mit hoher Einschaltquote.
Ein ganz und gar Abklatsch von "Akte X" ist "Fringe" nicht. Es spielen zwar übernatürliche Phänomene, wie Teleportation, Mutationen oder Gedankenmanipulation eine große Rolle, auf Aliens oder andere natürliche Abnormitäten verzichtet die Serie allerdings völligst. "Fringe" orientiert sich näher an der erklär- und nachvollziehbaren Wissenschaft als dies die Konkurrenz tat. Nicht umsonst lässt sich der Titel mit Grenzwissenschaften übersetzen.
Die Stimmung und Atmosphäre ist grundlegend düster angehaucht, was von Folge zu Folge variieren kann. Denn Abrams ließ es sich nicht nehmen seine Figuren in ein charmantes Licht zu rücken und mit einer ordentlichen Portion Humor auszustatten. Somit spielt auch der Humor eine Rolle, der für einen gewissen heiteren Ansatz sorgt aber nie Überhand nimmt, auch wenn manch ein Gag etwas albern wirken mag oder der ein oder andere sarkastische Wortwitz im Laufe der Serie zur Wiederholung neigt.
Aufwendig ist ein Wort, dass man der gesamten ersten Staffel nachrufen kann. Die Kulissen sind einwandfrei präpariert und dem jeweiligen Thema der einzelnen Folgen angepasst. Dies betrifft insbesondere die Labor-Räumlichkeiten, die mit vielen Details ausgestattet wurden.
Furios sind die eher selten eingestreuten Stunts, die man so vielleicht aus Kinofilmen oder Actionserien, nicht aber aus einer Mystery-Serie kennt. Einbrüche erlebt man dafür bei den actionreicheren Szenen, die gerade zu Beginn der Serie schnell geschnitten wurden und somit zur Unübersichtlichkeit führen.
Ausgesprochen dicht ist die Atmosphäre der Serie. Hierbei verwendet "Fringe" unterschiedliche Methoden. Mal ist es die düstere Umgebung, mal sind es erschreckende Elemente oder einfach der wissenschaftliche Aspekt, der auch mal an den Haaren herbei gezogene Theorien präsentiert.
Gleichzeitig scheut sich die Mystery-Serie nicht auch explizite Details darzustellen und offenkundig zu zeigen. So platzt schon mal ein Kopf, ein Körper wird halbiert oder eine Transformation eines Menschen wird in aller Deutlichkeit gezeigt. Die Effekte haben hierbei eine meist hohe Qualität und schwanken zwischen hervorragend, detailliert bis zu mäßig, offensichtlich. Insbesondere die Kreaturen verwiesen die Macher wohl in ihre Schranken, obwohl das Design angenehm ausgefallen ist.
Der Ablauf der einzelnen Folgen ist recht ähnlich und erinnert an die standardisierte, gut funktionierende Kost eines Thrillers. Zu Beginn stellt sich für gewöhnlich das Thema, es geschieht ein Verbrechen oder etwas ungewöhnliches. Darauf folgen die Ermittlungen an verschiedenen Schauplätzen, wobei der jeweilige Ort durch große, letterhafte Buchstaben angekündigt wird. Neugier wird durch die mysteriösen Vorfälle geweckt, die durch wissenschaftliche Thesen transparenter werden. Spannung ziehen insbesonders Fortsetzungsfolgen sowie temporeiche schnell aufeinander folgende Ereignisse an. Das Konzept ist weit weniger anspruchsvoll und geradliniger als vielleicht erwartet, funktioniert aber außerordentlich gut.
Die ersten Episoden überzeugen noch nicht völlig, bieten eher einen Vorgeschmack auf das noch kommende sowie taktische Verwirrung. Den besonderen Reiz machen Folgen die auf ältere Ereignisse zurück greifen, was schon recht früh geschieht. Vereinzelte Episoden funktionieren auch unabhängig voneinander. Trotzdem sollte man an der Serie dran bleiben, da diese einen durchgängigen Plot entwickelt, der den besonderen Reiz ausmacht.
Den größten Knaller hebt sich "Fringe" für das Finale auf. Lösungen werden geboten die mit einigen genialen Überaschungen und Wendungen punkten können. Abrams greift hier ganz tief in die Trickkiste und bietet einen vorläufigen Abschluss, der so stehen gelassen werden kann aber geradezu nach einer Fortsetzung schreit, die natürlich kommen wird. Auf jeden Fall lässt das Finale durch schimmern, dass Abrams immer noch voller Ideen steckt und sich Sympathien bei hochkarätigen Schauspielern Hollywoods gemacht hat. Leonard Nimoy, der schon für Abrams' "Star Trek" zusagte und gemeinhin als Mr. Spock bekannt ist, tritt in den letzten Sekunden der ersten Staffel in einer gewichtigen Rolle auf und erweist als nur eine von vielen finalen Überaschungen.
Neben den durchaus interessanten Fällen, kann die Serie vor allem mit ihren Figuren punkten. Von diesen sticht besonders Dr. Walter Bishop hervor. Ein verschrobener Wissenschaftler, der herausragend von John Noble (“Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs”) dargestellt wird und immer wieder durch anspruchsvolle Dialoge brillieren darf. Walters Sohn Peter bildet den Gegenpol, gespielt von Joshua Jackson (“Dawson’s Creek”) der nach längerer Abstinenz wieder in einer größeren Serienrolle zu sehen ist. Die eigentliche Hauptfigur ist jedoch FBI-Agentin Olivia Dunham, die, zu Beginn gewöhnungsbedürftig, von Anna Torv verkörpert wird. Im Laufe der Serie wird man aber auch mit ihr warm.
Zu Beginn dauert es etwas bis die Figuren an Tiefe gewinnen. Die Schauspieler gewöhnen sich spürbar an ihre Rollen und werden erst im Laufe der ersten Staffel mit ihren Figuren konform. Das Drehbuch lässt aber gerade in späteren Folgen den Figuren und Darstellern entsprechend Zeit um sich zu entwickeln und auch emotionale Momente zuzulassen. Dass dabei manchmal die Spannungskurve sinkt oder das eigentliche Thema der jeweiligen Folge vergessen wird, ist ein dummer Nebeneffekt.
Gesamt gesehen stimmt die Mischung und ergibt ein schlagkräftiges Ensemble, welches in humorvollen Situationen ebenso gut funktioniert, wie in actionreichen oder dramatischen Szenen, allerdings nie den Kult der beiden "Akte X" Agenten Mulder und Scully erreicht.
"Fringe - Grenzfälle des FBI" ist niveauvolle, hochkarätige Unterhaltung wie man sie nicht allzu oft im Serienformat sieht. J.J. Abrams legt erneut eine überaus gelungene Idee vor und präsentiert diese technisch einwandfrei, weckt Neugierde und platziert ein überaus geniales Finale mit Wow-Effekt. Etwas überladen erscheint die Serie zu Beginn mit ihren vielen Verheimlichungen und den Parallelen zu "Akte X". "Fringe" entwickelt sich allerdings mit der Zeit und individualisiert sich durch seine Figuren und wissenschaftlich meist schlüssigen Themen. Den Kult zu den unheimlichen Fällen erreicht es allerdings nicht. Zumindest noch nicht.
9 / 10