Die Kritik beruht auf der UNCUT-Fassung von ASCOT Elite!
Die Story dieses Thrillers, basierend auf dem Roman von Stona Fitch, hört sich vielversprechend an:
Ein erfolgreicher Geschäftsmann wird von den Mitgliedern einer Anti-Globalisierungsgruppe entführt, für Wochen in ein Verließ gesperrt und sowohl physisch als auch psychisch gefoltert und mißhandelt. Ziel der Gruppe ist es, an ihrem Opfer - stellvertretend für die Dekadenz, Ignoranz und Verderbtheit der Vereinigten Staaten - ein Exempel zu statuieren. Nach und nach wird - während die ganze Welt live im Internet zusieht - Elliot Gast seiner Sinne beraubt, wobei die Verbrennung seiner Zunge mit einem Bügeleisen erst der Anfang eines unvorstellbaren Martyriums ist.
Zusammengefasst hört sich das Szenario nach einem weiteren Beitrag aus dem Subgenre des "Torture Porn" an, wobei "Senseless" zumindest den Anspruch zu erheben versucht, intelligenter als "SAW" zu sein.
Die Mischung aus Kritik an unserer Gesellschaft, an Politik und insbesondere auch an den Medien in Einklang mit den Grundzügen der Jigsaw-Philosophie (nämlich jemanden für seine falsche Lebenseinstellung zu strafen und dadurch zu läutern) und derben Foltereinlagen, mag zwar innerhalb des Genre etwas neues sein, doch vermag das Kammerspiel insgesamt noch weniger zu überzeugen als der schlechteste aller "SAW"-Filme, wobei es letzten Endes dann bei dem - fehlgeschlagenen - Versuch bleibt, Politthriller mit Elementen des Psycho- und Horrorthrillers zu kreuzen.
"Senseless" ist das Debut des Regisseurs Simon Hynd, der auch das Drehbuch verfasst hatte. Leider hat sich Hynd für seinen ersten abendfüllenden Spielfilm zu viel vorgenommen und kann deshalb die Erwartungen, die der Zuschauer angesichts der Story hat, kaum erfüllen.
Das liegt vor allem daran, dass Hynd mit der Komplexität der doch einfachen Geschichte offensichtlich zu überfordert war, um alles glaubwürdig und gemessen an den Sehgewohnheiten des Zuschauers, unter einen Hut zu bringen und dabei den Versatzstücken eines kammerspielartigen Thrillers gerecht zu werden. Auf dem Papier liest sich alles spannend und dramatisch, was "Senseless" zu bieten hat, doch leider sieht das Endergebnis anders aus:
Mit nahezu alttestamentalischen Bestrafungsaktionen und allem was ein gut organisierter Haushalt zu bieten hat, unterscheidet sich das durchgeführte Exempel der Anti-Globalisierungsgegner in keinster Weise von dem korrumptierten System einer Regierung, die sie - stellvertretend mit US-Bürger Elliot Gast - anzuprangern versuchen. Im Gegenteil, denn mit der weltweiten Zurschausstellung durch das Internet, verbunden mit enormen Geldeinnahmen, erwirtschaftet die Gruppe auf nicht weniger unsaubere Art und Weise Gelder für ihre Aktionen und stehen damit denen, die sie kritisieren wollen, in nichts nach.
Vor allem der Anführer der Gruppe macht zu keiner Zeit einen Hehl daraus, wie sehr er Elliot Gast und seine Ideale und charakterlichen Eigenschaften verachtet, nur weil er Bürger eines Landes ist, das in seinen Augen für Dekadenz, Maßlosigkeit und Machtgier steht. Die Mittel, mit denen er Elliot dafür zu strafen gedenkt, sind dabei genauso einfach wie barbarisch und erfüllen lediglich den Zweck, Geld in die Kassen zu spülen.
In diesem Zusammenhang hakt Regisseur Hynd dann auch gleich den nächsten Punkt auf seiner Liste ab, den es zu kritisieren gibt: die Gesellschaft und das Internet.
In einer Welt, in der TV-Spielshows immer brutaler werden und in sogenannten Reality-Dokus das Privatleben aller Beteiligten in der Öffentlichkeit ausgebreitet wird, ist es neben dem TV vor allem das WorldWideWeb, das schnell und einfach das bietet, wonach die Massen verlangen.
In "Senseless" wird die Gesellschaft in die Bestrafung Elliots als Tribunal mit einbezogen, um über das Schicksal des Delinquenten zu entscheiden. Dabei geht es dem überwiegenden Anteil der Zuschauer weniger darum, Elliot von seinem Martyrium zu befreien, sondern vielmehr es fortzusetzen, um ihre niedrigsten Bedürfnisse befriedigt zu wissen.
Und so agiert der Anführer der Gruppe auch vielmehr wie ein besessener Regisseur, der seine Show für das weltweite Publikum inszeniert und dabei alles, was nicht in sein Konzept passt, zensiert. Denn von dem Erfolg und dem Unterhaltungswert (s)einer Show hängen die Zuschauerzahlen ab und von ihnen die Geldeinnahmen - es ist der alltägliche Kampf um die Gunst des Zuschauers und die unermessliche Gier des Publikums nach immer brutalerer und blutigerer Unterhaltung, die hier angeprangert wird.
Die in "Senseless" verarbeitete Gesellschafts- und Zivilisationskritik ist ehrenhaft und verständlich, doch leider wird die Thematik nicht annähernd so ausführlich und vielschichtig dargestellt, wie es in diesem Review geschieht. Sie geht vielmehr in der Dialoglastigkeit des Films unter, dem es vor allem an einer ausgefeilten Figurenkonstellation mangelt:
Hynds Kammerspiel konzentriert sich auf die bekannte Konfrontation Gut gegen Böse - Protagonist (hier: Elliot Gast) gegen Antagonist (hier: der namenlose Anführer der Gruppe).
In Rückblenden - vor allem aus Elliots Kindheit - wird versucht, den nach außen hin liebenswerten Charakter zu hinterfragen, doch insgesamt bietet die Rolle nicht genug Tiefe, um Elliot stellvertretend für die ignorante und selbstherrliche Weltpolitik der USA büßen zu lassen. Ihm ist lediglich vorzuwerfen, dass er ein Genußmensch ist, der in seiner Jugend den einen oder anderen groben Streich begangen hat, gegenwertig aber ein liebender Ehemann mit fragwürdigem Beruf ist, der zu wenig Zeit für seine Frau hat.
Für die Gruppe und ihre fragwürdigen Zwecke mag es ausschlaggebend sein, um ihn aufgrund seines Charakters stellvertretend für die Ignoranz einer ganzen Nation zu strafen, aber für die Dramaturgie eines Thrillers von diesem Kaliber und hinsichtlich des nicht zu verleugnenden Vorbilds - "SAW" - ist das zu wenig. Es fehlt der markante, schwarze Fleck auf der reinen Weste, der den Zuschauer an Elliot zweifeln lässt. Doch so etwas wie die heimliche Geliebte, die Dr. Charles Gordon aus "SAW" in einer schäbigen Absteige aufsuchte, gibt es hier nicht.
Ein Umstand, der nicht weiter ins Gewicht fallen würde und bei dem sich der Regisseur den Sympathien des Publikums für den Protagonisten sicher sein dürfte - doch auch diese Rechnung geht leider nicht ganz auf, denn es mangelt Simon Hyde offensichtlich an Schauspielführung.
Das Talent des Hauptdarstellers Jason Behr ist durchaus vorhanden, doch es passt sich dem Arbeitsmotto des Regisseurs an: "Von allem etwas, aber nicht genug!"
Behr spielt den gedemütigten Elliot nicht annähernd so glaubwürdig und intensiv wie es notwendig gewesen wäre, um das Publikum endgültig auf die Seite Elliots zu ziehen. In keiner Szene erreicht er auch nur annähernd die schauspielerischen Qualitäten eines Cary Elwes (besagter Dr. Gordon aus "SAW") - die Ausweglosigkeit der Situation, die beigefügten Schmerzen, der Irrsinn nach mehreren Wochen Isolationshaft und Folter - das alles wird nicht ausreichend genug dargestellt. In einer Szene schreit Elliot in die Kamera: "Ich bin doch schon längst gebrochen!" - diesen Zustand glaubhaft darzustellen, vermag er allerdings nicht.
Bei Joe Ferrara, der den Anführer der Gruppe spielt, verhält es sich genau anders herum und ebenso falsch. Die Rolle des Antagonisten ist viel zu übertrieben geschrieben und dargestellt worden. Von an Anfang an hat man den Eindruck, dass er die Kontrolle über die Situation verliert. Er lässt sich zu sehr von seinem Hass auf das leiten, für das Elliot stellvertretend steht, und schlägt damit genau in das klischeehafte Schemata eines von Hass zerfressenen Terroristen mit fragwürdiger Moral, einem cholerischen Verbrecher, der keinen Deut besser ist als seine Gegner, aus deren Verachtung er keinen Hehl macht.
Hier wäre eindeutig weniger mehr gewesen und angesichts dessen, dass es sich hier um einen kammerspielartigen Thriller handelt, wäre ein charismatischer Gegner wünschenswert gewesen. Hier fehlt einfach die Ruhe und die Ausdrucksstärke eines John Kramer (Jigsaw aus "SAW") - und das Kammerspiel wäre perfekt gewesen (auch hier kann im direkten Vergleich "SAW II" - das Duell zwischen Jigsaw und Detective Matthews - zitiert und aufgezeigt werden, wie man es besser machen könnte und auch sollte).
Ein Kammerspiel ist ein riskantes Unternehmen und steht und fällt mit seinem Regisseur und Drehbuchautor. Spielt die Handlung an nur einem einzigen Ort, getragen von einem minimalen Ensemble, liegt das Hauptaugenmerk des Betrachters in erster Linie auf sorgsam ausgearbeitete Charaktere, an denen sich der Zuschauer reiben kann, mit denen er mitfiebern und leiden kann oder die er hassen kann. Diese gegensetzlichen Charaktere, die sich mit messerscharfen, auf den Punkt getroffenen Dialogen in einem nervenaufreibenden Psychoduell messen, sind das Herzstück eines Kammerspiels. Gelingt es dem Regisseur und seinen Darstellern nicht, den Zuschauer von Anfang an in ihren Bann zu ziehen, ist das Endprodukt bei allen guten Ansätzen zum Scheitern verurteilt.
"Senseless" kann weder durch Charaktertiefe, noch durch darstellerische Höhepunkte oder inszenatorische Finessen überzeugen. Es mangelt dem Regisseur einfach an Talent, die durchaus vorhandenen und sehr guten Ansätze geschickt in sein Kammerspiel einzubauen. Es fehlt vorne und hinten an Spannung und Dramatik und somit wirkt das Szenario auf mich genauso ausdruckslos wie die karge Ausstattung von Elliots Zelle.
Der Film ist überfrachtet mit kritischen Ansätzen, verliert dabei aber den Unterhaltungswert vollkommen aus dem Auge. Bei allem Anspruch, den "Senseless" erhebt, ist es dem Regisseur zumindest anzurechnen, dass sich sein Film nicht in ausgebreiteten Splatterszenarien ergeht - ein Schritt in die andere Richtung wäre angesichts der Kritik fatal und widersprüchlich gewesen.
"Senseless" kann auch nicht nur mit "SAW" verglichen werden, auch wenn das unerreichte Original unverkennbar im Raum steht.
Allerdings muss sich Simon Hynd gefallen lassen, eklatant als Drehbuchautor und Regisseur versagt zu haben.
"SAW", ein Meilenstein des Genre, stand zweifellos Pate, wurde aber weder gut kopiert, noch wurden der abgeänderten "SAW"-Philosophie neue Impulse verliehen. Weder durch die raffinierte Erzählweise, noch durch die unvorhersehbaren Plott-Twists des Originals konnte Hynd seinem Werk eine unverkennbare Signatur verleihen. Und so verkommt das Potential der intelligenten Story zu einer hanebüchenen, unglaubwürdigen Terroristen-Mär ohne auch nur den Hauch von beklemmender Atmosphäre zu versprühen oder dem Handlungsverlauf eine dramatische Note zu verleihen.
Das Ende kommt ebenso abrupt wie überraschungsarm daher. Hier wäre ein konsequentes, kompromissloses Open End oder ein finaler Clou wünschenswert gewesen.
Das angedeutete Happy End zeugt lediglich von der Ideenlosigkeit des Regisseurs und verleiht "Senseless" endgültig den Todesstoß.
Der Zuschauer bleibt zumindest mit der Erkenntnis zurück, dass "Senseless" einem weniger die Sinne, als vielmehr die Zeit raubt.