Die Klasse ist ein außergewöhnlicher Film: Über eine Zeitspanne von zwei Stunden begleiten wir einen Lehrer, der in einer aus Migranten bestehenden Klasse in einer Schule im Nordosten von Paris versucht, den größtenteils eher unmotivierten 14-Jährigen insbesondere etwas über Respekt, Umgangsformen und ganz nebenbei die französische Sprache beizubringen.
Der Lehrstoff um französische Grammatik und das Verfassen eines Selbstporträts wird dabei ebenso thematisiert wie die weiter im Zentrum des Films verorteten Konflikte und Diskussionen zwischen dem Lehrer Francois Marin (Francois Bégaudeau) und seinen aufmüpfigen Schülern. Marin muss täglich den schmalen Grat zwischen Forder- bzw. Förderung seiner Schüler und pädagogische Einfühlung in ihre Probleme gehen, um sie für sein Fach zu begeistern oder zumindest - auch schon ein Erfolg - sie von der Verweigerung zum Mitmachen zu animieren. Doch dieser alltägliche Kampf gegen Desinteresse und für Bildung ist hart.
Laurent Cantets unmittelbare Inszenierung könnte sich dabei nicht weiter auf das Glatteis zwischen Dokumentation und Spielfilm begeben, ist jedoch ein grundsolide: Ihm gelingt es vor allem durch seine formidabel aufspielenden Laiendarsteller der Schüler, die alltäglichen Probleme im heutigen Schulunterricht in den Pariser Banlieues auf den Punkt zu bringen - unterstützt von einer unruhigen Handkamera, die sich immer mitten im Geschehen zu befinden scheint und mit weitestgehendem Verzicht von jeglicher Musikuntermalung. Die Wirkung der immer authentisch, teils vulgären oder jugendsprachlichen Dialoge und der reduzierten Inszenierung wird damit noch verstärkt, man scheint einen ungeschönten Einblick in den von Konflikten geprägten Alltag einer Schule mit Migranten zu erhalten, die Lehrer schon einmal an den Rande der Verzweiflung oder Schüler ein ums andere mal zum Verstoß gegen feste Grundsätze oder schlicht zum Ausrasten bringt. Marin steht dabei stets im Zwiespalt zwischen den Interessengruppen, mit denen er in pädagogischer Hinsicht sympathisieren soll: Schüler, Eltern oder Kollegen/den Direktor, wenn es um die Sanktionierung ungebührlichen Verhaltens geht.
Die Klasse entstand nach dem gleichnamigen Buch von Journalist Francois Bégaudeau, der in der Verfilmung die Rolle des Hauptakteurs, Lehrer Marin, selbst übernahm. Mit unkonventionellen Mitteln, Ironie und Hartnäckigkeit scheint er bei den Schülern anzukommen, jedoch immer in dem Bewusstsein, gegen eine eher feindlich gesinnte Partei zu kämpfen. Bégaudeau gelingt es, realistisch die innere Zerrissenheit aber gleichsam den Idealismus eines Lehrers darzustellen, der nicht aufgeben will. Durch ihn funktioniert dieser informative und unkonventionelle Einblick in den Alltag einer Schule im Nordosten von Paris.
Leider krankt der Film aufgrund seiner semidokumentarischen Züge jedoch daran, seine einzelnen Episoden, die sich auf die einzelnen Unterrichtsstunden und die sich darin entspinnenden Konflikte beziehen, in einen größeren Rahmen einzuordnen und mehr zu sein, als eine teilweise anstrengend anzuschauende, mehrtätige Zustands- oder willkürlich herausgegriffene Situationsbeschreibung ohne Einordnung in einen größeren Kontext. Zwar wird suggeriert, dass Leben im Rohzustand, ja, Tatsachen eingefangen werden, doch trotz des Verzichts auf „ablenkende" Momente wird eine dramaturgisch geordnete Story mit eskalatationsartiger Zuspitzung des ohnehin schon angespannten Lehrer-Schüler-Verhältnisses aufgebaut, die dem dokumentarischen wie dokumentierendem Anspruch zuwiderläuft. Das sind jedoch gleichsam die einzigen wie entscheidenden Kritikpunkte, die Die Klasse jene Meisterhaftigkeit nehmen, welche man bei dem Gewinn der Goldenen Palme bei den Filmfestspielen in Cannes von diesem Film hätte erwarten können (7/10).