Review

Ungarns Filmlandschaft ist (hierzulande) zwar im Vergleich mit anderen östlichen mitteleuropäischen Ländern nicht völlig unbeachtet geblieben - dafür sorg(t)en Regisseure wie Márta Mészáros, Miklós Jancsó, stärker noch István Szabó oder Bela Tarr, die wohl zu den populäreren Vertretern des Landes gezählt werden dürfen - kann aber auch nicht an die Popularität von tschechischen oder polnischen Filmen heranreichen, die in westlichen Gefilden in größerem Ausmaße aufgenommen worden sind.

So verwundert es auch nicht, dass es die eine oder andere Regiegröße Ungarns zu entdecken gibt, die einige höchst erstaunliche Werke abgeliefert hat und dennoch kaum Aufmerksamkeit erregen konnte und zudem schnell in Vergessenheit geriet.
Zoltán Huszárik ist ein ausgezeichnetes Beispiel für eine lohnenswerte Wiederentdeckung eines nicht genug gewürdigten Künstlers.
Dabei erweist er sich einigen Filmgrößen als nahezu ebenbürtig: wie sein Kollege Karoly Makk (etwa in "Szerelem" (1970)) verwendet er schon früh eine verschiedene Ebenen vermischenden Montage, wie sie auch Nicolas Roeg stark etabliert hat - in einem solchen Maße, dass für sie bisweilen der Name Roeg-Schnitt gebräuchlich ist. "Szindbád" (1971), sein erster Spielfilm ist dafür ein sehr beeindruckendes Beispiel und zugleich der einzige Film Huszáriks, der hierzulande überhaupt eine etwas breitere Rezeption erfahren hat.
Hinzu gesellen sich einige surrealistisch angehauchte Motive (besonders in seinem zweiten und letzten Spielfilm "Csontváry" (1980)), die irgendwo zwischen spätem Bunuel und frühem Ken Russel anzusiedeln wären.
Auf inhaltlicher Ebene steht Huszárik Tarkowsky sehr nahe, den er mit der Inszenierung pantheistisch anmutender Naturverbundenheit in dieser Hinsicht vorwegnimmt, sich im Spätwerk aber in der Inszenierung in langen, geruhsamen Einstellungen, die Kunst, Natur und religiöse Ikonen darbieten, auch von ihm beeinflussen lässt.

"Elégia" ist von der surrealistischen Tradition noch weitestgehend unbeleckt geblieben - allenfalls über Franjus "Le sang des betes" (1949) könnte man sie hier indirekt wiederfinden; aber der Aspekt der Naturverbundeheit tritt hier bereits stark hervor, wie auch der sehr stilisierte Schnitt, der hier aber größtenteils noch die chronologische Reihenfolge bewahrt. Innerhalb dieser Chronologie werden aber Zustandsbeschreibungen geliefert, die gleichzeitig stattfindende Ereignisse mit einer arg hohen Schnittfrequenz an- bzw. durcheinanderreihen und dabei im Verlauf des Films bevorzugt kontrastierendes Material wählen.

Eine Geschichte im üblichen Sinne erzählt "Elégia" nicht; grob formuliert ist er eine alternative Sicht auf einen Teil der Menschheitsgeschichte aus den Augen der Pferde.
Der Film beginnt mit grasenden Pferden auf einer Weide, erst aus der Ferne, dann aus der Nähe betrachtet. Obwohl keine größere Zeitspanne zu vergehen scheint, erzeugt die Montage ein Gefühl der ewigen Wiederholung des Vorganges. Eine Gruppe galoppierender Pferde wird durchzogen von Höhelnzeichnungen, die Urpferde präsentieren. Anschließend daran: Ansichten von Höfen, von Landwirten - daziwschen Großaufnahmen von Pferdeköpfen, deren Augen direkt in die kamera starren. Die Pferde stehen in Ställen, werden zum Pflügen eingesetzt und vor Wagen gespannt.
Die Tore der Höfe schließen sich, melancholische Chöre begleiten regennasse Feldwege, die in einem Schnittgewitter mehr und mehr durch asphaltierte Straßen ersetzt werden. Die Pferde ziehen nun Kutschen durch Städte, laufen auf Rennbahnen.
Bald ersetzen Autos und Straßenbahnen die Pferde, die nun in Fleischereien zu Wurst verarbeitet werden oder als Dressurpferde durch den Zirkus traben. Die letzten Bilder zeigen antiquierte Hufeisen und Sporen, Relikte einer weit fortgerückten Vergangenheit.

Das klingt sicherlich zunächst nach einer historisch verfälschenden Nutzungsgeschichte des Pferdes, die allenfalls Vegetariern und militanten Tierschützern gefallen könnte. Doch der Fokus, der auf dem späten 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahhunderts liegt, hat sowieso keine Universalgeschichte des Pferdes im Sinn und ist eher eine Ansammlung von Dokumenten eines Stadtbildes im extremen Wandel.
Werden auf den ersten Blick Pferde als Leidtragende des menschlichen Fortschritts präsentiert, geht es eigentlich um eine ganz andere Folgeerscheinung, nämlich die Entfremdung von der Natur, die sich in den steinernen Straßen ankündigt und in den nur vereinzelt anzutreffenden Bäumen am Straßenrand. Das Pferd ist nicht der hauptsächliche Gegenstand des Film, sondern ein Bild, in dem der menschliche Fortschritt samt Distanzierung vom Natürlichen gebündelt wird. Etwas plakativ wird die Stimmung zusätzlich verdüstert, indem die den Film durchziehenden Vogelschwärme in der zweiten Hälfte nur noch bei Nacht präsentiert werden, wie auch die Bäume, die am Ende zumeist im kalten Schein einer Laterne präsentiert werden. Eine immer hektischer werdene Montage tut das übrige...

Als Darstellung eines sich verändernden Stadtbildes ist der Film hervorragend gelungen - etwas negativ macht sich hier und da der leicht auf die Tränendrüse drückende Pessimismus (der bei dem Titel aber ebenso zu erwarten ist wie der hochartifizielle Schnittrhythmus) bemerkbar, mit dem diese Entwicklung beäugt wird, wobei Huszárik den Bogen aber auch nirgends überspannt.
Größtenteils bleibt der Film sogar sehr eingänglich und wirkt wie eine Mischung der "Soylent Green"-Titelsequenz und Tarkowskys Werken.

Formal hält der knapp 20minütige Film ein durchgängig hohes Level und beweist über Farbverfremdungen, verzerrte Filmbilder, Zeitlupe und Zeitraffer und den Einsatz von Standbildern und (freilich notwendigem) historischen Dokumentarmaterial ein hohes Maß an Verspieltheit und Experimentierfreudigkeit, das ganz dem Zeitgeist entspricht.
Gute 7,5/10.

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