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Ken Russell gehört zu jenen innovativen Regisseuren, die gerade mit ihren herausragendsten Werken am stärksten auf Unverständnis oder Ablehnung gestoßen sind: Im Falle Russells handelt es sich um seine Komponisten-Biopics, die immer wieder wenig wohlwollende Kritik auf sich gezogen haben, da sie sich mal mehr, mal weniger all dem verweigert haben, was man zunächst mit einer Biographie verbinden würde.
Bereits mit seinem Beitrag für die Omnibus-Reihe "Dance of the Seven Veils" (1970) stieß er auf wenig Gegenliebe, widmete er sich doch der Beziehung zwischen Richard Strauss und dem Nationalsozialismus auf eine recht unerbittlich-gehässige, polemische Weise: nicht nur wird seine Musik immer wieder als Ausdruck eines Übermenschen-Denkens präsentiert, auch Strauss selbst wird mit viel Hohn, Spott und wenig Mitgefühl zu einem feigen Elfenbeinturmler (der er in weniger offensichtlichem Ausmaß wohl auch war) gemacht, wenn er etwa in einer der grimmigsten und auch unangenehmsten Szenen des Films auf der Bühne dirigiert und irritiert den Kopf abwendet, als im Publikum eine Gruppe von Nazis mit einem langen Messer den Judenstern in den Bauch eines älteren Mannes schneidet. Solch ein Umgang sorgte dafür, dass ihm die musikalische Untermalung mit den Stücken von Richard Strauss zunächst verboten wurde.
Sein erster Komponisten-Film für die Kinos, nämlich sein Tschaikowsky-Film "The Music Lovers" (1970), war zwar bis auf einige grellere Höhepunkte (vor allem das wirklich grausige und traurige Ende dürfte hängenbleiben!) etwas konventioneller gehalten, erregte aber mit diesen wenigen Szenen ebenso negative Stimmen wie auch mit dem Umstand, dass er die Kluft zwischen geheimgehaltener Homosexualität und vorgetäuschter Heterosexualität zum Leitmotiv des Films macht, um Leben und Werk aus dieser Perpektive heraus zu schildern. Scheinbar vorsätzlich mangelnde Objektivität und der Hang zur hier bloß stellenweise formal überbordenden Inszenierung gerieten zu den Hauptkritikpunkten; und dabei übersah man (hier, wie auch bei den anderen Komponisten-Filmen) zweierlei: zum einen ist die Grenze zwischen Biographie und Fiktion ohnehin fließend und schwammig - zumal selbst eine filmische Biographie mit falschen Fakten noch einen herausragenden fiktiven Spielfilm abgeben kann; zum anderen mag zwar die Beschränkung auf einen bestimmten Blickwinkel verkürzend sein, ist aber erstens niemals völlig zu vermeiden und kann zweitens im Detail hervorragende Analysen oder Thesen abliefern. Mittlerweile wird Russells Stil wohlwollender besprochen, zumal ein Einfluss auf Regisseure wie Derek Jarman oder H.-J. Syberberg nicht zu übersehen ist.

Über "Mahler" (1974) brachte Russell dann die grellen Exzesse seines Fernseh-Films "Dance of the Seven Veils" (und einiger vorangegangener Kinofilme) auch in seine Komponisten-Kinofilme ein, mit "Lisztomania" trieb er diesen Stil schließlich auf die Spitze: hier gibt es - wie im vorangegangenen "Tommy" (1975) - kaum noch eine konventionelle Szene; jede Einstellung zeugt von ungefesselter Fantasie und der Bezugsrahmen gerät dauerhaft immer größer: "Lisztomania" ist nicht bloß ein Film über Liszt und Wagner, sondern ein Film, der verschiedenste Jahrzehnte, ja Jahrhunderte zueinander in Bezug setzt, der die Grenzen von Hoch- und Populärkultur einreißt und einen assoziativen Spielraum schafft, in welchem er immer wieder interessante Parallelen oder Zusammenhänge in Erscheinung treten lässt. Wild zusammengewürfelt finden sich hier neben Liszt und Wagner und anderen zeitgenössischen Figuren (George Sand, Chopin) auch Charlie Chaplin, Frankensteins Monster, Dracula, Thor, Hitler und Superman, die hier einen Reigen tanzen, dessen Motive unter anderem aus monströs angewachsenen Sexualorganen, Raumschiffen, Karikaturjuden, Voodoopuppen, Hakenkreuzen und Maschinengewehr-Gitarren bestehen. Endlos ausufernd gibt sich der Film, ist zugleich aber von einer bewunderswerten Strenge und Stringenz - und: trotz aller Fabulierlust wahrt Russell hier bis auf kleinere, dramaturgisch notwendige Abweichungen den Bezug zur Realität. (Ken Russell selbst betont immer wieder voller Freude, dass der Film im Grunde den bloßen Fakten folgt - wobei das furiose Finale der tatsächlich etwas angespannten Situation zwischen Liszt und Richard und Cosima Wagner in seiner allegorischen Form dann doch nicht gänzlich entspricht und auch nicht entsprechen will, sondern vielmehr das Verhältnis von Kunst und Politik von Liszt und Wagner über den Nationalsozialismus bis hin zu Ringo Starr, Rick Wakeman und Roger Daltrey beäugt[1]).

Um den Film vollends würdigen zu können, ist es aber notwendig, Leben und Werk von Wagner und Liszt zumindest im Groben zu kennen. So spielerisch der Film sich gibt, so sehr er sich auch der Populärkultur bedient, so ist er doch zugleich auch ein Film, der als launige Interpretation der Musik(er)geschichte(n) durchaus auch ein Basiswissen über ebendiese voraussetzt.
Das ist leicht zu übersehen, denn der Film neigt wie Russell selbst zum Understatement und gibt sich gerne ausgelassen, albern, trivial und leicht verständlich.

Bezeichnenderweise beginnt "Lisztomania" mit einer Explosion - zumindest beinahe: Im Takt eines Metronoms küsst Liszt zu Beginn die Brüste von Marie d'Agoults, liefert sich zu den Klängen einer beschwingten Ballade ein absurdes Duell mit dem hinzukommenden Gatten (eine der albernsten Szenen, irgendwo zwischen einem Russ Meyer Film und der Benny Hill Show!), wird von diesem und seinen Dienern mit Marie in einen Pianoflügel gesperrt und auf den Gleisen einem heranrasenden Zug ausgesetzt.
Dann knallt pünktlich zum explosiven Zusammenstoß der Titel auf die Leinwand: Lisztomania - eine zeitgenössische Wortschöpfung (Lisztomanie) von Heinrich Heine, der damit ein Phänomen beschrieb, das man heute eher mit Bands wie den Beatles in Verbindung bringen würde. Ein außer sich geratendes, größtenteils weibliches, von Ohnmachtsanfällen und hysterischen Rufen begleitetes Publikum war Grund für Heines Wortschöpfung der "Lisztomanie" - und Russell inszeniert Liszt - der nicht zufällig von Roger Daltrey verkörpert wird - im Anschluss an den Vorspann als den ersten Rockstar des 19. Jahrhunderts.
Als Pianist reißt er im Glitterkostüm und mit einer bisweilen sportlichen Performance das Publikum unter anderem mit den flohwalzerartigen Chopsticks hin. Im Publikum sitzt auch der junge Richard Wagner - im Matrosenanzug mit "Nietzsche"-Schriftzug auf der Kopfbedeckung! -, der eine eigene Komposition von Liszt spielen lassen will: für die wenigen Sekunden, in denen Liszt dieses auch tut, ist Wagner der einzig verzückte Hörer im Saal, ehe Liszt sich wieder den Chopsticks widmet. Russells negative Zeichnung Wagners kommt ganz explizit zum Vorschein, wenn er Liszt äußern lässt, Wagner habe sich selbst als großes Genie beschrieben: Wagners Eingenommenheit von sich selbst ist die erste Angriffsfläche, die Russell genüßlich auskostet.
Aber auch Liszt selbst, dem deutlich mehr Zuneigung zuteil wird, kommt nicht völlig ungeschoren davon: Seine vielen Liebesaffären und sein Hang zur Promiskuität nehmen hier durchaus einen schlechten Beigeschmack an, insofern Russell zum einen deutlich zeigt, dass Liszt seinen Status und seine Macht benutzt, um Kontakte zu knüpfen (denn während der ganzen Konzertszene flüchtet Liszt vor einer ehemaligen Geliebten und bändelt mit Zuschauerinnen an), und insofern er zum anderen (im folgenden Handlungsstrang) zeigt, dass Liszt damit rücksichtslos die Gefühle Maries verletzt, mit der noch immer eine Beziehung führt.
Der bröckelnden Beziehung hält Russell eine Erinnerung an bessere Zeiten entgegen: Liszt als Chaplin, der zu den Klängen des "Liebestraumes" in einer Hütte in den Schweizer Alpen sitzt - er komponiert und scherzt herum, malt Herzchen auf sein Notenheft; sie ist die fürsorgliche Hausfrau, stickt Herzchenkissen und backt herzförmige Torten, bringt die Kinder zur Welt; alles in allem eine mit kitschigen Elementen spielende Szene, in der sich keine Handlung entwickelt, die aber über den Verweis auf entsprechende Chaplin-Szenen das Motto liefert, das vom Kitsch ebensowenig entfernt ist wie die visuellen Motive: arm, aber glücklich! Chaplin ist hier das Bild, welches dieses Motto ausdrückt und mehr über Liszts bisherigen Werdegang aussagt, als es eine klassisch-handlungsorientierte Sequenz derselben Länge hätte tun können: Über eine Ikone der Filmgeschichte, die den "Liebestraum" bebildert, fasst er kurz und prägnant das ein, was den Grund für diese Rückblende liefert.

Die Beziehung ist beendet und Liszt geht eine neue Bindung mit Carolyne zu Sayn-Wittgenstein ein, die ihn zu sich einlädt und fördern wie lieben will. Sie will ihn vom Pianisten stärker in die Richtung des Komponisten lenken und als sie ihn verführt und mit ihm die "69ste" anstimmt, rutscht er in einem Angsttraum durch ihre monströs große Vagina einen dunkelroten Tunnel entlang, landet auf einem Podest, wird umlagert von Frauenbekanntschaften (darunter auch George Sand: Imogen Claire aus der "Rocky Horror Picture Show" (1975), die Russell hier mit Männerstimme sprechen lässt), die er mittels seiner Musik zu beherrschen vermag, woraufhin ein gigantischer 3-Meter-Penis aus seiner Hose wächst, an dem sich die Frauen in einer grotesken Musicalnummer solange vergnügen, bis sie ihn schließlich überwältigen und einer Guillotine entgegenführen, mit der die diabolisch überzeichnete Carolyne schließlich eine Kastration durchführt. (Eine der lautesten und kreativsten Szenen des Films, welche die Wirkung von Liszts Musik ebenso hervorhebt, wie Liszts Befürchtung, durch den Verzicht auf Konzerte und die Beschränkung auf das Komponieren eine deutliche Beschneidung seines Liebeslebens zu erleben. Trotz ihrer Leichtigkeit erforderte gerade diese Szene Russell zufolge höchste Anstrengung und zog sich über mehrere Tage hin.)
Liszt und Carolyne werden ein Paar. Sie berichtet ihm von Maries Buch über seine Person - und seine und Maries Kinder (darunter Cosima Wagner, die sich als teuflische, verschlagene Voodoo-Hexe entpuppt) bringen sie bei Franziska von Bülow unter.

Während Liszt nun zurückgezogen dank der Finanzierung Carolynes am Komponieren tüftelt, flieht Wagner während der Deutschen Revolution als Revoluzzer aus Dresden - ein aus dem Hinterhalt schießender, Hunde tretender Schmarotzer, der sich bei einem Hilfegesuch bei Liszt nicht nur finanziell auf die Sprünge helfen lässt, sondern sich auch gleich künstlerisch bei ihm bedient. Kein Wunder, dass Russell einen parasitären Vampir aus Wagner macht, der Liszt betäubt, ihn am Piano zaghaft ansaugt und dabei Visionen von einem neuen Deutschland hat, einem Land aus Stahl, bevölkert von Übermenschen. (Nur ein kleiner Vorgeschmack auf die später ausführlicher geratende Thematisierung von Wagners Antisemitismus.)
Bei seiner weiteren Flucht trifft er auf Cosima Wagner, die mittlerweile mit Hans von Bülow ein Paar bildet - er wird sie ihm ausspannen und mit ihr auf Wagner's Castle an seinen Visionen arbeiten.

Liszt selbst wird auf Anraten Carolynes Abbé. Während einer Affäre mit Olga Janina ("Little" Nell Campbell aus der "Rocky Horror Picture Show"), die hier sogar ihren Mordversuch an Liszt abliefert, erhält er vom Papst (Ringo Starr!) den Auftrag, einen Exorzismus am Antichristen Wagner vorzunehmen, der auf seinem Schloss unheilvollen Tätigkeiten nachgeht.
Liszt gelangt - auch wenn jeder Jude der Umgebung bei der Frage nach Wagner's Castle sogleich schreiend und panisch in der düsteren Gewitternacht davonrennt - irgendwann zu seinem Zielort, wo Richard Wagner mit Cosima und Hans von Bülow lebt, der Cosima noch immer ergeben ist. Durch das Fenster beobachtet er, wie Richard und Cosima Wagner in Superman-Kostümen eine Vorstufe der Hitlerjugend heranzüchten, indem man ihnen die antisemitischen Wahnideen über bizarre Rheingold-Aufführungen mit Anleihen bei Liszts Kompositionen eintrichtert, in denen die blonden, deutschen Wächterinnen des Rheingoldes von einem teuflischen Juden geschändet und beraubt werden. Nach einem Duett der Wagners, das von der Vergewaltigung der deutschen Jugend durch das Biest und vom Zeitalter eines arischen Supermannes/Übermenschen handelt, verschwinden alle bis auf Wagner bei einem Fackelzug. Liszt dringt ein und sucht Wagner auf, der ihm sogleich ein künstliches Wesen - halb Marvel-Thor, halb Walküre - zeigt, das er mit seiner Kunst und seiner Philosophie beleben will: heraus kommt ein debiles, Bier trinkendes, grunzendes Wesen, das so konditioniert wurde, dass es auf jeden jüdischen Namen mit einem aggressiven Schwerthieb reagiert.
Liszt kann Wagner Weihwasser in den Wein schütten, dieser entblößt - als er es erfährt - sein Vampirgebiss und trinkt das Glas leer, um dann auf Liszt loszugehen, der seinerseits auf einem flammenwerfenden Klavier seinen "Totentanz" spielt und Wagner damit ins Jenseits befördert. (Wagners Raum wurde dabei im Hintergrund mit VW-Logos geschmückt.) Cosima kommt hinzu, lässt Liszt gefangennehmen, martert ihn mit ihrer Voodookunst und beschwört aus Wagners Grab (mit dem Rheingold-Text "Weia! Waga! Wagalaweia!" und der Musik der Begräbnisszene um Siegfried in der "Götterdämmerung") eine Mischung aus Wagner, Frankensteins Monster und Adolf Hitler herauf, die mit einer Mischung aus Maschinengewehr und E-Gitarre zu den Klängen des verzerrten Walkürenritts die Juden in der Stadt niedermäht. Liszt selbst erliegt Cosimas tödlicher Voodoo-Folter, kommt aber im harfenförmigen Orgelraumschiff zurück auf die Erde, um das Wagnersche Schreckgespenst zu vernichten.

Als politisch inkorrekter Witz mit löblicher Zielsetzung und Mix aus Sex, Gewalt und Musik ist "Lisztomania" sicherlich unterhaltsam, dürfte jedoch ohne Kenntnis der Biographien sehr zusammenhangslos wirken, da Russell hier ein paar Jahrzehnte aus dem Leben der Figuren auf Spielfilmlänge zusammenkürzt, die biographischen Daten dabei jedoch als bekannt vorraussetzt und die Handlungszeit an ihnen festmacht, die großen Zeitsprünge aber ansonsten auf keine Weise wirklich kennzeichnet. Auch dürften Randfiguren wie Olga oder George Sand dann etwas verwirrend wirken.

Die Kohärenz des Filmes setzt erst mit einem gewissen (Hinter-)Grundwissen des Publikums für dieses ein. Und auch etliche der exzentrischen Höhepunkte der Inszenierung dürften sich erst dann so richtig erschließen - etwa Liszts Alptraumvision bei seinem ersten Treffen mit Carolyne.
Und diese sind Russell überaus gut gelungen, handelt es sich doch nicht bloß um Kommentierungen der jeweiligen Biographien, sondern auch um nachdenkliche Kontextualisierungen bestimmter Themenbereiche: denn neben bloß kreativen und hilfreichen Kunstgriffen wie in der Chaplin-Szene oder neben dem Vampirismus-Motiv gibt es etwa die Frankenstein-Szenen - Wagners künstlicher Mensch & Wagners Auferstehung (d.h.: Hitler als Wagners erschaffenes Monster) - die auch den Frankenstein-Mythos in ein neues Licht rücken. Gab es in "Andy Warhols Frankenstein" (1973) bereits seichte, satirische Verbindungen des Frankenstein-Stoffes mit dem Idealbild der Nazis vom Arier, spricht Russell hier ganz direkt die Parallelen an.
Auch der Weg von Nietzsches "Übermensch" zur Comicfigur Superman und zum Bild des Ariers und der Herrenrasse schneidet die Frage an, inwieweit nicht bereits eine übermenschliche Heldenfigur wie Superman die Vorstellung von Führertum reproduziert - auch wenn sie letztlich eine von jüdischen Zeichnern geschaffene Figur ist, die sich im 2. Weltkrieg als US-Propaganda oftmals gegen Nazideutschland richtete.
Ob nun die völlige Gleichsetzung von Alberich mit einem dämonisch überzeichneten Juden dem "Ring des Nibelungen" letztlich gerecht wird, sei dahingestellt: Slavoj Zizek sieht das in seinem Essay "Wagner Erlösen" etwas anders. Aber zumindest zeigt sich daran die Eignung dieses Stoffes für ein antisemitisches Denken und infolgedessen auch die Eignung Wagners für Hitler, der Winifried Wagner zufolge das Haus Wagner als seine eigentliche Familie bezeichnet haben soll.

Der Film ist keine Schilderung einer Biographie, sondern die Interpretation einer als bekannt vorausgesetzten Biographie, die auch kulturelle Elemente der Gegenwart ebenso einbezieht wie die geschichtliche Entwicklung Jahrzehnte nach dem Tod der Figuren, von denen einige als Teilursache dieses Geschichtsverlaufs gedeutet werden. (Und gerade mit Cosima Wagner, welche die Systematisierung des Antisemitismus aktiv gefördert hat und hier als Heraufbeschwörerin des 3. Reichs in Szene gesetzt wird, geht Russell hier noch härter ins Gericht als zuvor schon in "Mahler".) Bei der Fülle an Motiven kommt es weniger zu genauen Ausdeutungen als vielmehr zum häufigen Streifen und Anschneiden, zum Liefern von diskussionswürdigen Thesen - "Lisztomania" regt also zum Nach- und Weiterdenken an, anstatt sich auf bloßes Vorführen zu konzentrieren.
Man muss daher auch nicht immer einer Meinung mit Russells Interpretationen sein: Ob man die Beinflussung Wagners durch Liszt nun als vampiristischen Ideenklau Wagners, oder als dessen Verbeugung vor Liszt deutet, ob man die Figur Superman nun als potentiell bedenklich ansieht oder als Ikone des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus, ob man Liszts Schwanken zwischen Pianisten- und Komponistentätigkeit nun als Folge seiner finanziellen Situation versteht oder als durchaus von seinem Liebesleben beeinflusst - all dies ist kein Grund, den Film besser oder schlechter zu finden, solange man am Diskussionspotential selbst seine Freude haben kann.
Zu Bemängeln ist allenfalls der lockere Umgang mit der Faszination Hitlers, des Hakenkreuzes, des Karikaturjuden - doch Russell, der diese Motive neben Dracula und Frankenstein, neben Thor und Superman, neben Liszt und Wagner, neben Daltrey und Starr einreiht, scheint diese Unbekümmertheit (ähnlich wie Russ Meyer) bewusst ausgewählt zu haben: im Glauben, die Faszination auf diese Weise ins Lächerliche kippen zu können, das Faszinierende restlos zu entwerten. Mag dies auch nicht restlos gelungen sein, da Russell diese Elemente in einer reizvoll-faszinierenden Überästhetisierung anbietet, so ist doch zumindest die für Russell typische Verachtung und Bloßstellung von Antisemitismus und Nationalsozialismus nie zu übersehen, so dass einem dieser Punkt kein größeres Kopfzerbrechen bereiten sollte.

"Lisztomania" ist insgesamt eine Mischung aus anregenden Denkanstößen, schlichten hochkulturellen "Insidergags" (wenn man so will) und enthemmten Albernheiten und Spielereien mit dem Reiz von Motiven der Populärkultur, wird in der Wahl seiner Mittel dabei jedoch niemals rein willkürlich.
Formal besticht der Film ebenfalls, wenn auch die Künstlichkeit vieler Kulissen nicht jedermanns Sache sein dürfte: Prunkvolle, kreative Ausstattung, interessante Variationen von musikalischen Motiven Wagners und Liszts, eine bisweilen geschickt ein hohes Tempo bewirkende Montage sorgen für einen faszinierenden Ton- und Bilderrausch, dessen Vielfalt an Motiven für ein hohes Maß an Unterhaltung sorgt. Der Reiz von Darstellern wie Roger Daltrey, Nell Campbell, Ringo Starr und Oliver Reed (in einem Kurzauftritt) kommt dann noch hinzu.

9/10


1.) Von der ersten körperlichen Auseinandersetzung zwischen Liszt und Wagner über dessen Tod und die Auferstehung des Monsters aus seinem Grab unter Cosimas Leitung bis hin zu Liszts Ermordung durch Cosima und seine Rückkehr aus dem Himmel samt Vernichtung Wagners ist - und das ist spätestens an Cosimas doppelter Existenz zu erkennen! - das Geschehen eines, in dem die Figuren weniger bzw. nicht nur die historischen Figuren sind wie zuvor, sondern vor allem Wirkweisen: es geht nicht mehr so sehr um eine Kommentierung des Verhältnisses der historischen Figuren, sondern es geht um das Ausspielen von wagnerscher und lisztscher Musik gegeneinander. Liszt und die prägenden (Frauen-)Figuren in seinem Leben stehen als musizierende Englein, die zur Erde zurückkehren um Wagner zu bekämpfen, freilich für nichts anderes mehr, als für die Musik Liszts, während das Wagner-Monster und Cosima gleichermaßen die Geisteshaltung darstellen, die sich von den Figuren Cosima und Richard Wagner bis hin zu den Nazis durchzusetzen verstand. Es geht Russell am Ende seines Films nicht mehr um tatsächliche Figurenkonstellationen und deren Kommentierung, nicht mehr um die Schilderung der jeweiligen Lebensabende, sondern um zwei ideologisch getränkte musikalische Konzepte, die er hier gegeneinanderhält mit der Forderung, Wagner mit Liszt zu besiegen, ihn vom Sockel zu stoßen. (Etwas später wird der ähnlich arbeitende Syberberg im Gegenzug fordern, Hitler mit Wagner zu bekämpfen, dessen Rehabilitierung er ebenso fordert, wie er mit Winifried Wagner hart ins Gericht geht - dass sich Syberberg später selbst mehr und mehr dem Verdacht der Rechtslastigkeit aussetzte und gegen linke Verjüdung wetterte, lässt seine Forderung rückblickend weniger befürwortenswert erscheinen als Russells Forderung Liszt über Wagner zu stellen, den er ohnehin als künstlerischen Schmarotzer inszeniert und dessen Antisemitismus und seine Tauglichkeit für den Nationalsozialismus er zutiefst verurteilt.)

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