Review

Leben nach der Katastrophe


Mit "Gummo" gibt Harmony Korine kurzzeitig den Blick auf freie Menschen frei: schlimm genug dass das gar nicht gut ankommt, dort wo mit Freiheit schon länger entsprechend vorwurfsvoll nicht klargekommen wird - wie der katholische Film-Dienst diesbezüglich wiedermal eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat.
Die Schwächen des Films liegen dabei für mich in seiner collageartigen Gestaltung die zu wenig von den einzelnen Facetten seines vielseitigen Kaleidoskops von Leben jenseits des Gewöhnlichen hergibt. "Gummo" könnte viel mehr erreicht haben: wäre es konzentrierter, würden seine Punches in die Magengruben der Sehgewohnheiten vielleicht besser gesessen haben. So glaube ich können sich an den Film heutzutage nur noch wenige erinnern - die späteren Arbeiten seines Celebrity-Machers dürften es leider auch überschattet haben.
Dabei sind die Filme von Harmony Korine, abgesehen von den Larry-Clarke-Drehbüchern, von ihrer gefühlsmäßigen Anlage her für mich am ehesten mit denen von Todd Solondz oder Vincent Gallo vergleichbar. Nur (noch) experimenteller. Klare Bilder wie von Werner Herzog, Korine's späterem Mentor, oder gar Genre wie von Browning ist das nicht: was da präsentiert wird ist kein Amerika das woanders im Film leicht aufzutreiben wäre, weder didaktisierend noch moralisierend, sondern vielmehr unverschämt und wechselhaft.
Es sind Bilder von Ungustiösitäten, oft an der Grenze dessen was ich mir freiwillig bereit bin überhaupt anzuschauen - wie etwas von John Waters früher, nur unlustiger.
Die Jugendlichen von Xenia stammen nicht aus Schweden wie bei Moodysson, nein, die Aliens kommen aus einem Kaff irgendwo im Nirgendwo, wo kein Diskurs über Schäden nach einem Tornado vor langer Zeit mehr geführt wird - das regelrecht absurd wäre - wo Katastrophe nichts ist das mehr zu richten wäre, weder ökonomisch wie bei Michael Moore's Flint-Populismus noch menschlich wie im "Sweet Hereafter" Atom Egoyans. Und sie scheinen auch beständig, zumindest die ausgemergelten Männer, einem gewissen, unterschwelligen All-American-Fascism zu huldigen, dem Korine wie mir scheint schon durch die Titelschrift gerecht werden will. Lauter (verhinderte?) "Weiße Band"-Taten?
Man kann mit ihnen kaum connecten, sie bleiben seltsamer als irgendwas - die eigentliche Stärke des Films. Seltsamkeit. Eine Seltsamkeit wo wohl niemand überhaupt mehr auf die Idee kommen wird zu fragen, ob so etwas gar ein Realismus noch sein kann. Oder sympathisch.
Xenia ist eine Gegend die ausschließlich von Menschen bevölkert wird die wie der Banjo-spielende Junge aus "Deliverance" sind, nur nicht dessen Talent(e) mit auf den Weg bekommen haben. Dafür Chloe Sevigny. Und lebendiger, aktiver und echt fies. Im Grunde genommen richtige Aliens - Aliens ohne Raumschiff die nichts mitbekommen haben.
Wäre alles halb so wild würde man den Eindruck gewinnen können, hier handelt es sich um eine Zirkus-Truppe, ein Ensemble das auf Tournee geht. Doch weit gefehlt - die sind stationär. Das soll das Leben von Xenia sein. Seine Bevölkerung. Allesamt. Ja gut, damit muss wohl erstmal klargekommen werden - auch ich als Katholik werde das.
Das was sie so tun ist dabei auch kaum schön zu nennen - es ist weder gesund noch das Leben unbedingt bejahend. Es steht dem Leben eher im Grundkern ambivalent gegenüber. Es wandelt zwischen Selbstzerstörung und Kreativität. Eine Dokumentation - von Vielfalt geprägt. Ein Film der das Außergewöhnliche festhält, und zwar so dass es alles andere verdrängt. Etwas anderes, in dem Fall das Gewöhnliche dann, existiert darin so quasi nicht mehr. Es gibt nur noch das Andere. Das Andere ist das Sein. Das Andere kann sein, es wird nicht verdrängt. Und wenn es das nicht wird wird auch nichts verdrängt, denn dann ist alles außergewöhnlich - gut so.
Das Fatale ist schließlich, dass der Film so aber auch ohne (weitere) Pointe auskommen muss. Es gibt kein Anliegen. Es gibt weder ein Zentrum noch etwas woran sich (sonst) festgehalten werden könnte - keine Aussicht auf Besserung, kein Klischee der Hoffnung. Nur Sein. Zeitlos. Denn wie es im Trailer auch heißt: "life is great. Without it, you'd be dead."

Rating 8.5

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