Rape&Revenge ist ja immer so eine Sache - eine ambivalente Sache, um genau zu sein (was jedoch bereits die Subgenrebezeichnung mit sich bringt): Für die einen misogyner, sensationsgieriger Schund ohne Existenzberechtigung, für die anderen eine filmische Grenzerfahrung am Rande der Unerträglichkeit, die ihren moralischen Wert jedoch aus dem finalen Racheaspekt ziehen kann und darum trotz aller Drastik einen Belang jenseits der Sensation inne hat. Im rudimentärsten Sinne wird hier der Wunsch nach Gerechtigkeit auf radikale Art befriedigt, nachdem die größtmögliche Form von Erniedrigung und Quälerei diesen unbedingten Willen zur Rache und Selbstjustiz heraufbeschworen hat. Der Rape&Revenge-Film erlaubt folglich ein Gedankenspiel, welches Mechanismen ersetzt und irrelevant macht, die der gesellschaftlich-rechtsstaatliche Kodex von Gewaltenteilung zur Wahrung eines friedlichen Zusammenlebens nicht immer zur vollen Befriedigung Aller gewährleisten kann. Ungerechtigkeit begegnet einem schließlich jeden Tag – Gerechtigkeit dem eigenen Empfinden nach jedoch eher selten. Der Film bietet hier demnach eine Alternative im fiktionalen Rahmen, eine Möglichkeit sich kurzzeitig und im Verborgenen des Wohnzimmers und des eigenen Geistes den Mechanismen des Rechtssystems zu entziehen und sich zu einem Gedankenkonstrukt über das Potenzial von individueller Rache jenseits der Justiz verleiten zu lassen. Der Rape&Revenge-Film will hier folglich eine Provokation auf mehreren Ebenen sein, ist er doch durch den unerträglich-barbarischen Akt in seiner ersten Spielhälfte ebenso unangenehm wie durch das Selbstertappen des Rezipienten beim Gutheißen der Selbstjustiz jenseits des Wissens um die Mechanismen des Rechts- und Gesellschaftsystems, welches diese Form von eigenmotivierter Rechtsprechung inklusive Vollzug der Todesstrafe nicht vorsieht. Potenziert wird dies noch durch die üblicherweise barbarisch anmutende und martialisch ausgeführte, vollkommen emotionsbereinigte Härte der Rache, die trotz aller vorangegangener Ungerechtigkeiten final die Frage nach dem Wert eines Menschen und der Urteilsfähigkeit eines Opfers aufwirft. Das Subgenre des Rape&Revenge-Films ist demzufolge ein sensibles System, dass sein (ohnehin kleines) Publikum nur durch den vorsichtigen Ausgleich beider thematischer Hälften findet. Ein Unterhaltungswert generiert sich hieraus natürlich noch nicht – ein Rape&Revenge-Film möchte auch üblicherweise kaum Unterhaltungswert beanspruchen – jedoch entsteht so eine Filmform, die zumindest Fragen an seinen Rezipienten stellt und zur Kommunikation auffordert. Eine unausgewogene Verteilung von Unrecht und Rache sowie eine eventuelle Desavouierung der eigenen Motive durch ein Ergötzen an weiblicher Nacktheit, was dem Rezipienten im schlimmsten Falle die Rolle eines Mittäters zuweisen könnte, kann das sensible System schnell kippen lassen und den Film in den Bereich exploitativen Trashs ohne Anspruch und Berechtigung befördern.
Soviel zur Theorie. Im Falle der argentinisch-spanischen Co-Produktion I’LL NEVER DIE ALONE stoßen nun leider mehrere Aspekte aufeinander, die dem Primat des Subgenres nicht nur nicht gerecht werden, sondern diesem auch entgegenarbeiten und das Genre auf gewisse Art diffamieren. Und dies, obwohl über den ausgewaschenen und verwackelten Look sowie durch diverse Einstellungen und Stilmittel (hier besonders hervorzuheben sind sowohl das Intro als auch der rahmende Wiederaufgriff des Mittels im Outro) ein durchaus glaubwürdiger und löblicher Bezug zum Bahnhofskino der 70er und 80er Jahre einerseits und zum Neo-Exploitation seit Mitte der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts andererseits hergestellt wird. Dennoch sind dies nur Oberflächigkeiten, Bonbons für das Auge des Rezipienten, welche die Unsinnigkeit des Films per se kaum verdecken können. Anfänglich wird hier noch eine hohe Erwartungshaltung beim Zuschauer provoziert, die jedoch weder gehalten werden kann noch erreicht und gehalten werden will. Bereits nach der zähen Einführung der Protagonistinnen dürfte den meisten Rezipienten die Neugier auf das Kommende vergangen sein: Vier junge Frauen befinden sich auf einem Road trip durch das argentinische Niemandsland, als sie am Straßenrand eine schwer verletzte Frau entdecken. Nachdem sie diese längere Zeit angestarrt haben (eine wenig ansprechende Visualisierung eines gedanklichen Prozesses zum Für und Wider einer offenkundig notwendigen Hilfestellung), entschließen sie sich zur Rettung dieser, was ungünstiger Weise die Verursacher der Verletzungen auf den Plan ruft, die sich (mehr oder weniger) umgehend an die Fersen der Reisenden heften. Auch eine örtliche Polizeistation bietet nur noch scheinbaren Schutz und manövriert das Schicksal der Protagonistinnen unausweichlich in eine düstere Zukunft voller Leid und Gewalt...
I’LL NEVER DIE ALONE bietet auf der Täterseite weder Motive noch Charaktere – nur das Stereotyp des schmierigen, maskulinen Dominators. Selbiges gilt im Grunde auch für die Opferseite – weder Charaktere noch Motive. Der Akt der Vergewaltigung und Erniedrigung wird hier im Vergleich zu anderen Rape&Revenge-Filmen zwar durch die Anzahl der Opfer potenziert, jedoch in fassbarer Drastik wieder stark reduziert. Und dies liegt mitnichten an mangelnder Detailfülle oder an Ideenlosigkeit zur optischen Unterstützung der Erniedrigung der wehrlosen Frauen. Die für das mitteleuropäische Verständnis exotischen Damen werden jedoch von der Kamera ebenso begehrt wie von den Tätern. Desavouiert wird die vollständige Sequenz zusätzlich durch den Laienschauspielerstatus sämtlicher Beteiligter, der die Szenerie der Gruppenvergewaltigung in ein irreales Stück Amateurtheater ohne Gemütsbewegung verwandelt – weder Täter noch Opfer scheinen an der Situation irgendwie emotional beteiligt zu sein oder irgendeine Form von Gefühlsregung zu zeigen (das sich die Jüngste der Gruppe übergibt, wirkt zu diesem Zeitpunkt nur noch aufgesetzt und selbstzweckhaft). Überall nur ausdruckslose Gesichter in Großaufnahme. Die Schauspielerinnen sind im Affekt von ihrer Rolle unglaublich weit entfernt, sie wirken als lassen sie diesen Teil der Dreharbeiten schnell über sich ergehen, damit sie anschließend auch einmal das Gewehr halten dürfen.
Selbstredend handelt es sich bei der Vergewaltigungssequenz dennoch um ein für jeden Betrachter mit Rechtsempfinden unangenehmes Stück Film, dies jedoch nur auf inhaltlicher Ebene. Was hierbei visuell dargeboten wird, ist derart einer Glaubwürdigkeit entrückt worden, dass sich berechtigt schnell die Frage nach der Motivation des gesamten Films stellt. In Kombination mit allen vorangegangenen Szenen lässt sich kaum noch der Eindruck verdrängen, dass dieser Film primär Geld durch die Verknüpfung von Erotik und Gewalt einspielen wollte und weniger Wert darauf gelegt wurde, einen wirklichen Rape&Revenge-Beitrag in all seiner moralischen Konsequenz zu produzieren. Denn nahezu jede andere Einstellung scheint eine Lückenfüllerfunktion zu haben, um aus dem Rape-Anteil einen vollständigen, verwertbaren und pseudomoralischen Film zimmern zu können. Lieblos werden experimentell wirkende Einstellungen (allerdings nicht „experimentell“ von „interessant“ sondern „wirken experimentell“ von „die hatten keine Ahnung was sie da taten“) von Details ohne Bezug zu Person und Geschehen endlos lang zusammengeschnitten, um anschließend zu ewig gedehnten, unsinnig langen Szenen kontrastiert zu werden, welche unglaublich langweilig weil handlungsarm sind. Mehrminütige Einstellungen vom uninteressierten Gucken in irgendeine Richtung, vom Umziehen und Zigarette anzünden, vom Händewaschen, vom Sitzen auf einem Stuhl, vom Laufen in Richtung der Kamera usw. dehnen sämtliche Bereiche des Films, die nichts mit Gewalt und Erotik zu tun haben, um final eine Spielfilmlänge zu erreichen (lediglich eine Szene zum Ende des Films, die Beerdigung eines Täters, zieht aus diesem Stilmittel tatsächlich visuelle und inhaltliche Kraft). Hierdurch beraubt sich I’LL NEVER DIE ALONE sämtlicher Glaubwürdigkeit und offenbart dem Betrachter selbstständig und unaufgefordert seine eigentliche Intention jenseits der Genrekonvention. In diesem Punkt ist der Film wenigstens ehrlich: Wer es rechtzeitig merkt, darf die Chance gern nutzen und einen richtigen Film einlegen, um sich den Abend nicht vollends zu verderben. Wer dies nicht will, kann sich jedoch gern noch etwas an den hübschen Mädels ergötzen, die von schmierigen Typen bestiegen werden und sich dafür später noch etwas rächen. So bläst die verbliebene Mädchen-Clique, dem Moralkodex und auch den Genrekonventionen getreu, im Anschluss an die Vergewaltigung und an lethargisches im Walde liegen zur Vendetta. Diese jedoch ist sowohl im dramaturgischen Aufbau und in der Banalität der vollzogenen Rachemorde ebenso wenig erinnerungswürdig wie der gesamte Film. Lediglich eine, in der Vorstellung höchst unangenehme, Hinrichtung im offenen Grab erreicht das Potenzial einer glaubwürdigen Selbstjustiz durch geschundene Frauen, die sich wie Phönix aus dem Staub erheben und sich gleichzeitig zum Richter und Henker aufschwingen.
Wo der Film inhaltlich nichts zu bieten hat, versagt er auch auf handwerklicher Ebene. Die bemerkenswerte Dialogfreiheit (ob es überhaupt ein Drehbuch gab ist fragwürdig) in unnötig gestreckten Szenen wird durch eine oftmals dramaturgisch unsinnige Verknüpfung von Bild und Musik zersetzt. Eine fast vollständige Geräuscharmut hier wird mit bizarr fehlplatzierten Soundfetzen dort kontrastiert. So es überhaupt einen Sounddesigner in die Produktion schaffte, muss dieser wohl mit einem hohen Quantum an Talentfreiheit gesegnet sein – dies hat er dann mit dem Cutter gemeinsam.
Hinterher ist man ja bekanntlich schlauer. So ist es ernüchternd festzustellen, dass bereits die reizenden Poster und Cover zum Film alles sagen, was dem Film wichtig ist: Nämlich dass halbnackte Damen (durchaus hübsch anzusehen) mit Stacheldraht und Gewehr für etwas Blutbesudelung sorgen, ohne dabei aber auf aufreizende Posen verzichten zu müssen. Mehr ist es nicht. Dass dafür aber die Rape&Revenge-Thematik gewählt wurde, ist mehr als ärgerlich, da dieses sensible Subgenre, welchem (vor-)schnell Menschenverachtung angedichtet werden kann, einen geschmacklosen Querschläger oder gar einen motivisch desorientierten Trittbrettfahrer in der öffentlichen Wahrnehmung nur schwer kompensieren kann. Wäre I’LL NEVER DIE ALONE nur minimal besser und aufwendiger produziert worden, hätte er ein breiteres Publikum finden können. Dies wäre dem Genre aber bei Weitem nicht dienlich gewesen, da der hier besprochene Film die Mechanismen und Ziele leider nur fehlerhaft tradiert, wodurch Erwartungshaltungen an andere Vertreter geweckt werden, die dann kaum erfüllt werden könnten. Im Grunde also auch ein Segen, dass I’LL NEVER DIE ALONE in allen Belangen ignorierenswert ist.
Ein Rape&Revenge-Film ist sowohl für die Produktion als auch für die Rezeption eine Gradwanderung, ein empfindliches Konstrukt, dass ebenso viel Zuspruch wie Ablehnung provozieren kann (und auch will!), wenn das Projekt richtig angegangen wird. I’LL NEVER DIE ALONE versagt jedoch auf allen Ebenen, ist hier zu zahm und dort zu unlogisch und unglaubwürdig, zeigt an einer Stelle spürbar gern viel, an anderer viel zu wenig und ist über weite Strecken vollkommen emotionsarm trotz eines extrem eindringlichen und erschütternden Themas. I’LL NEVER DIE ALONE wollte ein Film über starke Frauen werden, ist jedoch nur ein sinnlos gestreckter Film mit Stacheldraht und Gewehr in zierlicher Frauenhand geworden, der sich an den Körpern seiner Protagonistinnen ergötzt und dabei die Genrekonvention aus den Augen verliert. Schade: 2/10.