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Der klassiche Vorstadt-Zirkus lockt niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Kennst du einen, kennst du alle. Wenn sich allerdings Medusa, ein Schneemensch, eine sprechende Riesenschlange, ein Satyr und das Monster von Loch Ness in der ein und derselben Manège tummeln, darf man gerne hellhörig werden. Vor allem, wenn man in einer us-amerikanischen Einöde wie Abalone lebt und dem problembelasteten Alltag mal entfliehen möchte.

Die Bürger von Abalone haben nämlich ein unmoralisches Angebot erhalten: Der Magnat Clint Stark möchte ihnen ihr Land abkaufen, schließlich tendiere der Wert der Grundstücke gegen null. Und mit den Moneten von Stark ließe sich ein neues Leben beginnen - außerhalb der unendlichen Pampa des Mittleren Westens. Nur der ortsansässige Lokalredakteur Ed Cunningham wirft unangenehme Fragen auf. Just in dieser Situation taucht der mysteriöse Chinese Dr. Lao mit seinem Wanderzirkus auf.

Ein derartiges gesellschaftliches Großereignis lässt sich natürlich kein Anwohner entgehen - wir befinden uns schließlich irgendwo in der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Zunächst weht dem kauzigen Chinesen mit seinen "faulen Tricks" die Skepsis aller entgegen. Doch nach und nach stiefeln die Zirkusbesucher geläutert aus dem Zelt...

Soweit der grobe Plot von "Seven Faces of Dr. Lao", der letzten großen Regiearbeit des in die Staaten ausgewanderten Ungarn George Pál. Eine wundersame Wandlung einer argwöhnischen Dorfgemeinschaft, angezettelt von einem lebensbejahenden Chinesen und seinem Kuriositäten-Kabinett. Das klingt erstmal nach einem Konglomerat aus zuckersüßem Kitsch und naivem Humanismus. Was "Seven Faces of Dr. Lao" sicherlich auch ein Stück weit ist. Aber den Streifen auf einen reinen Gutmenschenfilm für die ganze Familie zu reduzieren, käme der Sache nicht gerecht.

Die Welt besteht voller Wunder, das Leben ist ein ganzer Zirkus - Weisheiten, die schon tausendmal durch die Kinosäle auf diesem Erdball posaunt wurden. Aber selten auf eine derart drollige und liebenswerte Weise wie in "Seven Faces of Dr. Lao". Schon allein der Protagonist Dr. Lao, ein knuffiger Greis, den man liebend gerne zum Großvater haben möchte, zaubert mit seinen einfachen, aber trotzdem erstaunlichen Tricks ein Lächeln auf die Lippen, das die gesamte Spieldauer nicht mehr aus dem Geischt zu kriegen ist. Da kommt einem die Galle hoch, wenn er dann von einem arroganten, fantasielosen Haufen voller Säufern und Habenichtse verspottet wird.

Gleichwohl spart der Film die traurigen Seiten des Lebens nicht aus. Wenn Apollonius, der blinde Wahrsager, einer betagten Dame ihre eigene Lebenslüge offenlegt, schlägt das Gesehene aufs Gemüt - und regt zum Nachdenken an. Selbst sexuelle Gelüste bleiben nicht ausgeklammert, auch wenn sie in "Seven Faces of Dr. Lao" nur eine subtile Minirolle spielen. Für einen vermeintlichen Feel-Good-Movie ist der Streifen aus dem Jahre 1964 jedenfalls erstaunlich facettenreich. So wie das Leben selbst - und das ist die eigentliche Botschaft, die nach dem Abspann hängenbleiben sollte.

Facettenreich ist auch das Ensemble im Cirque du Dr. Lao bzw. das Spiel von Hauptdarsteller Tony Randall. Er spielt nicht nur den chinesenischen Zirkusidirektoren, sondern, wie der Originaltitel schon andeutet, auch seine sechs Attraktionen: Den Schneemenschen, Pan, Magier Merlin, Hellseher Apollonius, die Medusa und die gigantische Schlange (wohl eine Handpuppe). Seinen kurzen Auftritt im Zirkuspublikum mitgezählt, kommt der gute Randall sogar auf ganze acht Rollen.

Aus diesem Sammelsurium aus griechischer Mythologie, Artus-Sage und Kryptozoolgie bezieht "Seven Faces of Dr. Lao" seine weitere Fazination, ein abgedrehteres Line-Up gibt selten irgendwo zu sehen, vor allem nicht in Filmen, die einem solch biederen Setting wie eben dieser amerikanischen Durchschnittseinöde eingebettet sind. Das sind Ideen, die auch fast fünfzig Jahren nach der Uraufführung unverbraucht daherkommen. In diese Kategorie fällt auch die Pointe im Showdown: Ein Seeungeheuer, das im Wasser nur die Größe eines Goldfisches aufweist und erst an Land seine wahren Ausmaße annimmt. Dem Charme dieser für damalige Verhältnisse perfektionierten Tricktechnik kann man nur erliegen. Wenn dann noch Herz und Hirnschmalz angeregt werden, was will man dann noch mehr? (9/10 Punkte)

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