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Die langen Schatten des Jugoslawienkriegs bis ins heutige Europa sind das Thema von Hans-Christian Schmids 2009er Film „Sturm“, einer internationalen Co-Produktion zwischen Deutschland, Dänemark und den Niederlanden. Im Zentrum steht eine Anklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, die den Fall eines serbischen Kriegsverbrechers in Gefahr sieht, als ein wichtiger Belastungszeuge sich als Lügner erweist. Nachforschungen am serbischen Ort des damaligen Geschehens lassen eine neue Zeugin auftauchen – und bringen alle Beteiligten in Gefahr.

In ruhigen, bedächtigen Einstellungen entfaltet Schmid den Plot seiner Geschichte erst nach und nach, zeigt die Verhaftung des Kriegsverbrechers, der mittlerweile ein idyllisches Familienleben führt, dann die Bemühungen der Staatsanwältin, ihren Fall voranzutreiben, die Hindernisse und neuen Erkenntnisse. Mit großer Authentizität führt er in die komplexe Welt der internationalen Strafprozessordnung ein, zeigt das Ringen vor Gericht ebenso wie die Ermittlungen vor Ort und die mal mehr, mal weniger hilfsbereiten Menschen, die mit ganz unterschiedlichen Hintergründen mit der gewalttätigen Kriegsvergangenheit verbunden sind. Vor allem aber zeigt er mit fortlaufender Handlung immer besser das kaum zu durchschauende Geflecht aus Justiz, Politik und krimineller Energie auf, durch das selbst in scheinbar einfache Fälle komplexe Verwicklungen hineingreifen, die auf die eine oder andere Weise berücksichtigt werden sollen. Dass in diesen schwierigen Verhandlungen die Gefühle und Lebenssituationen betroffener Zeuginnen und Zeugen schnell ins Hintertreffen geraten, wird durch die zunehmend bittere Handlung deutlich. Ohne zynisch zu werden, zeigt „Sturm“ doch ein Justizsystem, das beim Jonglieren mit unterschiedlichsten Interessen gar nicht anders kann, als die eine oder andere Seite zu kurz kommen zu lassen.

Dieser tendenziell analytische Ansatz wird getragen von einem (größtenteils) hervorragenden Cast, der seine Rollen überzeugend und intensiv vermittelt und beinahe jedem Charakter auch genug menschliche Schwächen mitgibt, um mit allen mitfiebern zu können. Mit dem Auftauchen der Zeugin, die von systematischen Massenvergewaltigungen berichtet, nimmt die Story auch einige der besonders schrecklichen Kapitel des Kriegs ins Visier, ohne jemals in emotionalen Kitsch oder Betroffenheit auszurutschen. Mit einer gewissen inszenatorischen Kühle, bedingt durch zurückhaltende Kamera und Score und die erzählerisch distanzierte Bebilderung, werden hier grausigste Verbrechen gegen die Menschlichkeit geschildert. Auch dadurch wird deutlich, mit welchen Herausforderungen die internationale Justiz zu kämpfen hat – entsetzlichste menschliche Verbrechen sollen mit aktuellen politischen Interessen in Einklang gebracht werden; ein Drahtseilakt, der die Beteiligten permanent Gefahr laufen lässt, zynisch oder desillusioniert zu werden.

Filmisch ist das einerseits durch die distanzierte Inszenierung glatt und dennoch über weite Strecken packend umgesetzt; andererseits hätte etwas mehr Dramatik der Handlung vielleicht gut getan. Vor allem in der zweiten Hälfte plätschert alles ein wenig zu sehr vor sich hin, trotz einzelner kurzer, sehr gelungener Sequenzen wie der grausamen Bedrohung der Zeugin durch einen fremden Serben. Auch fallen manche Szenen allzu sehr durch typisch deutsche Steifheit in Darstellung und Dialogführung auf – mitunter werden Gespräche eben doch nur geführt, um die Zuschauenden über die Hintergründe zu informieren. Und dieses Ziel wird dann wiederum doch nur bedingt erreicht – wer nicht gewisse Grundkenntnisse über die komplexen Verstrickungen des Jugoslawienkriegs mitbringt, wird hier mitunter vielleicht Probleme haben, Details richtig einzuordnen.

Insgesamt besticht „Sturm“ durch den hehren Versuch, ein politisch komplexes, menschlich erschütterndes Thema auf distanziert-intellektuelle Weise aufarbeiten zu wollen, was ihm auch großteils gelingt. Etwas mehr Spannung oder Dramatik hätte vielleicht ganz gut getan, ist aber wohl auch künstlerische Geschmackssache. Angesichts eines solchen Themas wäre ein reißerischerer Ansatz sicher auch nicht gut gewesen. So bleibt der Film ein sehenswerter politkritischer Beitrag des deutschen Kinos über einige der dunkelsten Kapitel der modernen europäischen Geschichte.

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