Es ist kein schlechtes Timing von Arte, so kurz nach dem Amoklauf von Winnenden das Drama Heute trage ich Rock! erstmals im Fernsehen auszustrahlen, dessen Titel ungünstiger vielleicht nicht sein könnte, wird es doch so Befürwortern von Filmen wie Hass und gar 187 länger ein Geheimtip bleiben. Konträr zur Sündenbocksuche für die Mißstände unserer Welt nutzt der Film zwar zunächst plakative Schubladen, um eine verständliche Ausgangssituation zu schaffen, entwickelt dann seine Botschaft aber auf eine neutrale Weise über die Beleuchtung der Figuren.
Echte Protagonisten sucht man vergebens. An einer Problemschule in der pariser Vorstadt begegnen sich Opfer mangelnder Integration, Kriegsflüchtlinge, sozial-ethisch Orientierungslose, frustrierte Lehrkräfte. Jeder hat eine Schwäche, ein gebrochenes Herz wegen der Beziehung, Rassismen und anderen Diskriminierungen.
Trotz der Spannungen ist es schließlich eine Pistole, die das Kammerspiel ins Rollen bringt. Das Schießeisen gibt das Gefühl von Macht, läßt die Maske des Trägers fallen und das Abwerfen von schützenden Verhaltensmustern, das Offenbaren von Wünschen und Schwächen zu. Heute trage ich Rock! hält einige Paradigmenwechsel bereit, die jeglichen Spannungsabfall vermeiden. Ein Sondereinsatzkommando heizt die Situation der ungewöhnlichen Geiselnahme im Klassenraum zusätzlich an.
Die Extremsituation ermöglicht den Figuren selber plötzlich neue Einblicke, einen Denkanstoß. Die unvorhersehbaren Eskalationen lassen eine deutlichere Annäherung jedoch selten zu. Manchmal braucht es erst eines Einschusses, um zu erkennen, daß jeder nach ein bisschen Anerkennung, Respekt und Erfüllung sucht.
Der Film beläßt es bei einer offenen Moral, diktiert keine Meinung, sondern zeigt auf, wie verschiedenste Faktoren aufeinander treffen müssen, um durch eine zufällig verfügbare Waffe eine große Tragödie auslösen zu können. Viele Kleinigkeiten, die jeden betreffen und die jeder beeinflussen kann. Besonders geschickt wird dabei die Lehrerin Sonia Bergerac (Isabelle Adjani) eingesetzt, die verdeutlicht, daß es sich nicht um Jugend- sondern Gesellschaftsprobleme handelt.
Man sollte sich daher genauso wenig von der Tatsache, daß es sich um eine TV-Produktion handelt, abhalten lassen, wie vom Werbetext, der den Eindruck erweckt, es würde sich um ein möglicherweise rein pro-feministisches Werk handeln. Im Dokustil mit starkem Einsatz der Handkamera gedreht und wunderbar mit erfahrenen Schauspielern nebst authentischen Laien besetzt, wurde Heute trage ich Rock! erstmals beim La Rochelle Festival und der Berlinale vorgeführt und entpuppt sich als sehr sehenswerter Film.