Neben Victor Sjöström zählt Mauritz Stiller zu den heute anerkanntesten und bekanntesten schwedischen Stummfilmregisseuren. Jetzt, wo ich mit HERR ARNES PENGAR meinen ersten Film von ihm gesehen habe, verstehe ich auch, weshalb. HERR ARNES PENGAR muss man wohl als Historienmelodram bezeichnen. Angesiedelt ist der Film im Schweden des späten 15. oder frühen 16.Jahrhunderts, zur Regierungszeit König Johanns II. jedenfalls, gegen den ein Komplott angezettelt werden sollte, bei dem auch drei schottische Edelleute mit den witzigen Namen Sir Phillip, Sir Donald und Sir Archie beteiligt waren, die, als die Verschwörung aufgedeckt wird, in Kerkerhaft geraten. Indem sie ihrer Wärter überlisten, sind sie allerdings alsbald wieder auf freiem Fuße, doch haben sie sich die Freiheit anders vorgestellt. In Schweden herrscht einer der härtesten Winter seit langem und die drei Herren machen schon bald seine unliebsame Bekanntschaft. Vor Hunger halb wahnsinnig, verschaffen sie sich Zutritt zu einer Bauernhütte, wo sie sämtliche Nahrungsvorräte plündern und sich mit Wein betrinken. Die Frau schaut dem Treiben hilflos zu und erst als ihr Mann heimkehrt, wirft er die drei verwilderten Kerle zurück in die Kälte. Bis dahin haben sie allerdings zufällig etwas von einem Schatz erfahren, den ein gewisser Herr Arne, ein angesehener Priester, in einem der umliegenden Dörfer besitzen soll. Dass dieser Schatz, der sich, so will es die Legende, aus geraubten Klostergütern zusammensetzt, verflucht sein soll, stört die drei Männer wenig. In der Nacht erregt eine Feuersbrunst, die das Pfarrhaus erfasst hat, die Aufmerksamkeit der Dorfbewohner. Bei dem Versuch, die Flammen zu löschen, bietet sich ihnen ein grausiges Bild. Die gesamte Familie des Priesters wurde bestialisch ermordet, die Truhe mit dem Schatz entwendet, und nur die junge Tochter Herrn Arnes namens Elsalill überlebte das Massaker. Mittels eines Tricks lassen Sir Philipp, Sir Donald und Sir Archie die sie verfolgenden Dörfler glauben, sie seien mitten auf einem zugefrorenen See ins Eis eingebrochen und ertrunken. In Wirklichkeit zieht es sie unversehrt der Küste entgegen, wo sie mit ihrer Beute so schnell wie möglich die Überfahrt in ihre Heimat Schottland antreten wollen. Doch auch jetzt erweist sich der Winter nicht als ihr Komplize. Das Meer bedeckt eine schwere Eisschicht. Der Kapitän des Schiffs, das Schottland anfährt, versichert ihnen, dass es in nächster Zeit nichts mit der Überfahrt werden wird. Also mieten sie sich in einer Gaststätte ein und verbringen ihre Zeit mit Warten, Zechen und Kartenspiel. Keiner ahnt, dass Elsalill von einem älteren Ehepaar als Waise aufgenommen wurde, nun in exakt demselben Küstenort lebt und als Kellnerin in der Gaststätte arbeitet. Sie erkennt die Mörder ihrer Familie nicht und denen fällt ein Stein vom Herzen. Doch während Sir Donald und Sir Philipp sich noch über das Mädchen lustig machen, regt sich in Sir Archie das schlechte Gewissen. Der Geist ihrer Stiefschwester Berghild, die er eigenhändig erdolchte, beginnt ihn zu verfolgen und er sucht die Nähe des Mädchens, um sich von ihr die Geschichte der Ermordung ihrer Familie immer wieder aufs Neue erzählen zu lassen. Sir Donald und Sir Philipp sehen mit Argwohn zu wie sich Sir Archie und Elsalill ineinander verleiben, der eine, weil er eine Schuld abzutragen gedenkt, indem er ihr seine Liebe schenkt, die andere, weil er der erste Mensch für sie ist, dem sie sich anvertrauen kann, seitdem ihre Familie ausgelöscht wurde. Es ist klar, dass Elsalill nicht lange verborgen bleibt, wer der Mann in Wirklichkeit ist, mit dem sie nach Schottland abzureisen plant, um dort ein glückliches Eheleben zu führen...
HERR ARNES PENGAR ist selbst ein wahrer Schatz für Stummfilmliebhaber, ein Film, dem man kaum etwas vorwerfen kann, reich an Szenen, die man so schnell nicht vergisst. Auffällig sind zunächst die Landschaftsaufnahmen. An sich großartig, wertet Stiller sie zusätzlich auf, indem er sie als integralen Bestandteil in die Geschichte einbindet. Die Winterlandschaft dient der Story nicht bloß als Background, sondern trägt maßgeblich zu ihrer Entwicklung bei. Der Winter ist es, der die drei schottischen Edelmänner an den Rand des Wahnsinns treibt und so erst den Nährboden für ihre Bluttat bereitet. Der Winter ist es auch, der sie daran hindert, Schweden schnellstens zu verlassen und in gewisser Weise erst dafür sorgt, dass Sir Archie und Elsalill sich unter anderen Umständen neu kennen lernen. Oft nutzt Stiller die Landschaften auch, um etwas über seine Charaktere auszusagen. Das, was die Kamera zeigt, ist in Wirklichkeit das, was sie nicht sehen kann: die inneren Landschaften der Protagonisten. Am deutlichsten wird das in einer der großartigsten Szenen des Films, wenn Sir Archie über eine endlose Eisfläche wandert, und dabei immer wieder Visionen von dem Mädchen hat, das er ermordete. Seine Verzweiflung ist förmlich spürbar. In einem langen schwarzen Mantel bewegt er sich langsam in dem unendlichen Weiß, versucht sich förmlich in seinem Umhang zu verstecken, wirkt geisterhafter als das Gespenst von Elsalills Stiefschwester, das ihm folgt. Überhaupt lässt die winterliche Natur den Film, der aufgrund seiner Story sowieso keine besonders leichte Koste ist, um noch einiges depressiver, karger und trauriger wirken. Die Schlussszene ist in der Hinsicht kaum zu übertreffen. Ein Zug schwarz gekleideter Personen kriecht wie eine Schlange über die Eisfläche auf das Schiff zu, um die tote Elsalill herauszuholen und zu bestatten. Ich habe in einem Stummfilm selten eine traurigere und poetischere Szene gesehen als diese.
Ungewöhnlich fand ich, dass die drei Personen, die HERR ARNES PENGAR zunächst als Helden einführt, sich kurz darauf als schreckliches Mordgesindel entpuppen. Vor allem Sir Philipp und Sir Donald scheinen gar kein Gewissen zu besitzen, dafür ist Sir Archie eine überaus ambivalente, kaum zu fassende Gestalt, die sich eindeutiger Charakterisierung widersetzt, und den Zuschauer immer wieder aufs Neue negativ überrascht. Gerade wenn man der Figur abzukaufen beginnt, dass er Elsalill wirklich liebt, treten wieder die Charakterzüge zutage, die ihn zum Mörder werden ließen. Der Mord selbst wird nicht direkt gezeigt. Nur in Rückblenden sieht man andeutungsweise wie Sir Archie Berghild erdolcht. Statt das Massaker ausführlich zu schildern bringt Stiller die langen Szenen des Brands. In den rot eingefärbten Szenen meint man, die Hitze regelrecht zu spüren, die in den klirrenden Winter schneidet. Sonst besitzt HERR ARNES PENGAR an besonders aufsehenerregenden Schauwerten nicht viel. Neben der Feuersbrunst sind es eigentlich nur einige Schwertkampfszenen gegen Schluss, die für Action sorgen. Ansonsten entwickelt sich die Geschichte ruhig und besonnen, dabei aber nie langatmig oder langweilig.
Gefallen hat mir auch die Prise Mystizismus, die der Story beigegeben wurde. So erlebt Herr Arnes Frau eine Vision, in der ihr die bevorstehende Tat verschlüsselt erscheint, indem sie drei Männer sieht, die lange Messer schleifen. Dass der Schatz mit einem Fluch belegt ist, der jedem Unglück bringt, der ihn besitzt, oder dass der Kapitän des Schiffs der Meinung ist, Gott selbst halte es zurück, und würde es erst auslaufen lassen, wenn ein Unglück gesühnt worden sei, das indirekt mit ihm zu tun habe, trägt ebenso dazu bei, dem Film einen leichten mystischen Überbau zu verleihen. Einige Details sind hingegen beinahe surreal. Wie die drei Schotten zu Beginn ihren Gefängniswärter überlisten, kann man nur als skurril bezeichnen. Hinzukommt der ältere Mann, der Elsalill schließlich bei sich aufnimmt, und der immer wieder Zwiesprache mit seinem Hund hält und gar eine Szene, in der man nicht viel Phantasie aufbringen muss, um einen Hauch von Nekrophilie wahrzunehmen. Man sieht: ich kann HERR ARNES PENGAR jedem Filmfreund nur ans Herz legen.