Akte X ist so gut wie tot, was bleibt uns da noch, uns Mystery- und Horror-Freaks der gepflegten Gruselatmospäre?
Zum Beispiel Mark Pellingtons neuer Film, der sich hinter einem nicht sonderlich anziehenden Titel verbirgt. Ich weiß nicht, was schlimmer ist, die Halbeindeutschung "Mothman Prophezeiungen" oder der Mörderzusatz "Tödliche Visionen". Wer aber darüber hinaus sich ins Kino traut, der wird einen verdammt unruhigen Abend haben, zumindest für drei Viertel des Films.
Pellington hat uns schon mit "Arlington Road" aus dem Sessel springen lassen, wo er die böse Konsequenz der allgegenwärtigen Terroristen in Amerika zu einer mit glasklaren Bildern ausgestatteten Fiesheit entwickelte.
Hier jedoch gibt es jetzt körnige und wacklige Bilder und damit kann man einen Heidenspaß haben, Leute.
Abschreckung für Genrefreaks Nr.2 dürfte die Besetzung der Hauptrolle mit Richard Gere sein, der stets bemüht ist, seine Charaktere den Film an sich reißen zu lassen. Doch, oh Wunder, Gere spielt nahe der kompletten Selbstaufgabe und ordnet seine Figur vollkommen dem zu behandelnden Mysterium unter.
Er gibt hier einen gefeierten Journalisten, der infolge von Autounfall und Gehirntumor seine geliebte Frau verliert. Die hatte jedoch unmittelbar vor und nach dem Unfall bärig Angst vor etwas, was er nicht sah und hinterläßt diverse düstere Bleistiftzeichnungen, die Engel oder Höllenwesen sein können.
Pellington weiß genau, was er tut, als er dem Zuschauer den Fußboden unter den Füßen wegzieht. Erst gemütliches Pärchen beim Hauskauf, dann Bilder einer Autofahrt mit stillen Einstellungen.
Jeder weiß, hier wird etwas passieren. Und dann kommt der dicke Schock, der mich nach langer Zeit mal wieder so richtig im Sessel hat hüpfen lassen, auch wenn er nur eine Sekunde dauert.
Haben wir etwas gesehen? Ja, haben wir! Aber was?
Zwei Jahre später geht das Mysterium in die zweite Runde, als Gere in die Kleinstadt Point Pleasant verschlagen wird. Keine Ahnung, wie er da hinkommt oder was er da soll. Auf jeden Fall kennt man die Zeichnungen seiner Frau da sehr gut und diverse Erscheinungen, Stimmen, Geräusche und Lichter haben schon reichlich Leute in Angst und Schrecken versetzt.
Bis zur Halbzeit macht Pellington die Grube immer tiefer, in die man zu stürzen scheint. Keine Anhaltspunkte, keine Erklärungen, nur Rätsel.
Aber dafür der Stil, einfach ein Prachtstück. Pellington will Atmosphäre, etwas Nicht-Greifbares, Bedrohung, Observation. Die Kamera schwebt an die Protagonisten heran, umkreist sie, hängt ihnen im Nacken. Wir schweben mit, sind der Mottenmann oder was auch immer, bis Gere oder jemand anderes uns bemerkt.
Hier ist nichts eindeutig, immer wieder verharrt die Kamera auf einzelnen Dingen, fängt Blicke oder, sehr oft, wird unscharf, verschwommen, formt dadurch neue Bilder, schattenhafte Fragmente.
Dazu dröhnt und hallt es auf der Tonspur, mal wimmert es, mal summt es. Die Musik raunt meistens, keine fertigen Stücke, sondern ein echter Sound-Track, dieser Score. Da kribbelt es unter der Haut, da richten sich die kleinen Härchen auf, Aufmerksamkeit ist Trumpf, bloß nichts verpassen jetzt.
Und dann fangen die Anrufe und Erscheinungen des geheimnisvollen Indrid Cold an, irgendeine unerklärbare allwissende Figur. Gott? Außerirdische? Höhere Wesen?
Prophezeihungen werden ausgesprochen, die Katastrophen dazu geschehen, niemand ist sicher, niemand kann etwas tun. Nach gut zwei Dritteln gibt uns ein PSI-Prof namens Leek das erste Mal Anhaltspunkte, was hier vorgeht, von Unausweichlichkeit ist die Rede.
Da ahnt der fachgeschulte Mulder/Scully-Fan bereits das dicke Ende und es kommt dann auch mit aller Macht.
Doch leider verläßt die Konsequenz in den finalen 20 Minuten Pellingtons Film ganz, etwas, daß ich an "Arlington Road" so geliebt habe. Inszenatorisch und atmosphärisch gerät die Katastrophe zwar zu einem dramaturgischen Highlight, doch aussagetechnisch gibt sich der Film hier leider auf, als Gere sich (das ist ja noch zu entschulden) gegen das unausweichliche Schicksal auflehnt und dann zugunsten eines leidlichen Happy-Ends sogar einigermaßen triumphiert.
Das ist nicht nur unbefriedigend, weil die Romanze zwischen Gere und der Stadtpolizistin Laura Linney mehr oder weniger nur zart angedeutet wurde, um dann beim Showdown plötzlich antreibendes Element zu sein, sondern im Kontext schlichtweg falsch. Der schon zuvor erzählte Todestraum von Linney ist darüber hinaus reichlich platt und deutet die noch kommenden Ereignisse zu deutlich an. Ein fehlendes Resumee der Hauptperson in den Schlußszenen hinterläßt noch dazu ein erzählerisches Loch, daß auch die eingeblendeten Schrifttafeln nicht füllen können.
Bis dahin hat man aber genug rätselhaft-unheimliche Szenen gesehen, daß einem der Kopf schwirrt. Neben den körnigen Bildern, inszeniert Pellington mit einer realistischen Natürlichkeit ohne Sensationsheischerei und präsentiert dankbarerweise über die volle Spielzeit keinerlei Erklärungen, deutet aber so manches an, damit niemand zu ärgerlich nach Hause gehen braucht (trotzdem gaben einige Kinobesucher schon vorher auf).
Geres Leistung ist wunderbar zurückhaltend, nur zum Ende hin menschelt er etwas zu viel, wenn er seiner toten Frau hinterherweint. Linney bleibt ein wenig unterentwickelt, was aber nicht schadet, während mit Will Patton ein wenig zu sehr auf die Tube gedrückt wird; der Heimgesuchte, der glatt einer Chris-Carter-Episode entsprungen sein könnte (ein Eindruck, noch unterstützt von Mulders Synchronstimme, die nicht zu ihm paßt).
"Mothman" ist mit Sicherheit nicht das einfach zu händelnde Stück Film, daß der "average moviegoer" einfach so neben dem Popcorn konsumiert, obwohl das Ende ein wenig in die Richtung steuert. Bis dahin gelingt es Mark Pellington mal wieder, das Kinoerlebnis total gegen den Strich zu bürsten und willigen Kinogängern die totale Aufmerksamkeit abzufordern. Wen es nerven sollte, einen stylistisch wild montierten, schwer zu schluckenden Film zu sehen, den habe ich hiermit gewarnt. Ich allein bin schon von Schnitt, Kamera, Ton und Atmo von den Socken. Das reicht für knappe 8/10, der Rest ging an Inkonsequenz zugrunde. Trotzdem danke, Mr.Pellington.