Review

Ein „netter Film“ schlägt zu! Obwohl von Anfang alles klar ist, in dieser typischen RomCom (Romantic Comedy), so ist sie zugleich ein Musterbeispiel aktuellen Mainstream-Kinos, das ein zwiespältiges Gefühl hinterläßt.

Ist die Handlung nicht völlig unrealistisch, geradezu phantastisch märchenhaft? Auf den ersten Blick spielt sie zwar im realen New York und Alaska, aber was kann unrealistischer sein, zumindest von der Perspektive eines DURCHSCHNITTLICHEN Menschen aus gesehen, als ein Verlagsbüro über den Dächern von New York City oder das gigantische Landhaus einer obszön reichen Familie, deren Vater sich damit beschäftigt, Golfbälle ins Meer zu schlagen?

Die Familie ist ein weiterer Anlaß für zwiespältige Gefühle: sie ist zwar obszön reich, auch das zentrale Personal im Verlag, sie sind aber dennoch relativ nett.

Doch was richten Filme an, die ihren Zuschauern solche Menschen präsentieren? Sollen wir die Reichen (Ausbeuter, Leistungsträger, Gewinner oder Kapitalisten, je nach Weltsicht) lieben lernen? Sollen wir lernen, uns selbst zu verachten, weil wir nicht so sind? Oder sollen wir alle einen solchen Lebensstil anstreben, obwohl er das Gegenteil von nachhaltig und keinesfalls global übertragbar ist?

Aber über das bedenkliche Menschenbild in Mainstream-Medien wurde schon viel geschrieben, auch über die zerstörerische Wirkung westlicher/nördlicher Filme und TV-Serien auf andere Kulturen, so muss ich mich über diesen neuerlichen Beitrag nicht erneut echauffieren.

Zurück zu SELBST IST DIE BRAUT: Auch in den Einzelheiten scheint das Team um Anne Fletcher von allen guten Geistern der Realität (*) verlassen zu sein: Ein geduckter Bürotrottel trägt Bodybuilder-Muskelpakete herum (das kannte ich bisher nur als Gag aus DIE NACKTE KANONE); zum gegenseitigen „Kennenlernen“ soll ein fünfminütiger, mit Highlights gespickter Dialog dienen; eine Wandlung von giftspritzender Megäre zu hilflos liebendem Weibchen geschieht in einem Wochenende (das ginge nur, wenn als Nothelfer schnell mal ein heiliger Geist niederfährt); der Einfluß von Natur und Muße auf Nachdenklichkeit und Seelenleben wird weitgehend ignoriert; Margrets Behauptung, sie sähe gern den „Esoterik-Kanal“ im Fernsehen, bleibt rein verbal und zeitigt keinerlei Folgen; den irren, lächerlich überkonstruierten Indianertanz mit „Chanten“ am Lagerfeuer, dem auch noch plötzlich Soundtrack hinzugeblendet wird, zähle ich nämlich NICHT dazu!

In all dem zeigt sich, daß die MacherInnen von Hollywood-Mainstrem völlig abgehoben vom Boden der Wirklichkeit existieren.

Wobei sie diese Wirklichkeit dennoch aber, so fürchtete ich schon oben, in bedenklichem Sinne manipulieren (**). Andernorts, auch auf OFDB verlinkt (***), äussern sich Kollegen bereits ausführlich zur geradezu anti-emanzipatorischen Moral des Films, die auch mich ausgiebig nervte: Der verschlafene Bürotrottel Andrew wird durchgehend als lässiger, sympathischer, mehr im Gleichgewicht dargestellt, als die erfolgreiche Managerin Margaret, die dagegen als kriminell, sadistisch und emotional verkrüppelt präsentiert wird. Das Problem ist dabei diese Prämisse des Films (Moral für Frauen: „Job oder Glück!“), nicht die märchenhafte Heilung eines solchen Charakters, inmitten des ländlichen, erdgebundenen Matriarchats von Andrews Mutter, Großmutter und Ex-Freundin. Da ist er wieder, mein Zwiespalt.

Und dennoch, trotz allem, zieht der Film in seinen Bann, wenn Margaret sich vom (weiblichen) Saulus zum Paulus wandelt. Fast musste auch ich eine Träne zerdrücken. Das läßt sich wohl damit erklären, daß der Mensch glauben und hoffen WILL, ja sogar MUSS. Egal, wie unrealistisch es der Vernunft vorkommt: Tief drinnen in unserer Seele wollen wir wohl, daß ein hartes Herz weich wird, daß es sich öffnet und zu schlagen beginnt. Das möchten wir alle, das brauchen wir alle. Da trifft die romantische Komödie ein menschliches Bedürfnis.

Denn schließlich kennen wir ja doch die Welt, von der SELBST IST DIE BRAUT erzählt.

Viel zu gut können wir uns Menschen vorstellen, die jahrelang ohne menschliche Bindungen, nur für ihre Arbeit, lebten (Margaret hatte 18 Monate keinen Sex; Andrew käme nur alle drei Jahre heim, wirft seine Mutter dem Vater vor; der Film zeigt keine New Yorker Freunde von ihnen). In der streng marktwirtschaftlich und neoliberal durchreformierten Arbeitswelt, wie sie z.B. in New York herrscht, mit Ehen und Kündigungen per Fingerschnipps, scheint es uns gut möglich, daß Menschen seelisch so völlig austrocknen, daß sie sich wie Verdurstende auf den nächstbesten Menschen stürzen. Und folglich hoffen wir, daß die Begegnung mit einem einzigen Menschen, an einem einzigen Wochenende, sie schon komplett zu reprogrammieren vermag. Wie im Märchen.

Und das nützt SELBST IST DIE BRAUT aus.

(*) „Geister der Realität“: Ein Widerspruch in sich!
(**) Zu diesem Thema stellte ich gerade eine Review zu „Rosas Traum“ online.
(***) http://www.tagesspiegel.de/kultur/kino/Selbst-ist-die-Braut-Sandra-Bullock;art137,2859039


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