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Pierre Clémenti hat als Schauspieler in einigen Meisterwerken der größten Regisseure der 60er und 70er vor der Kamera gestanden. Seine eigenen Arbeiten als Regisseur fanden jedoch quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dass Clémenti für mehrere sehenswerte Kurzfilme verantwortlich ist, wissen die wenigsten. Was ich jedoch nicht besonders verwunderlich finde, denn LA RÉVOLUTION N’EST QU’UN DÉBUT. CONTINOUNS LE COMBAT. beispielsweise ist das exakte Gegenteil von dem, was sich der gemeine Cineast von einem Film verspricht. Seine Länge: zweiundzwanzig Minuten. Statt einer Handlung: eine freie, assoziative Form. Seine Tonspur: nicht vorhanden. Seine Wirkung: atemberaubend. 

LA RÉVOLUTION N’EST QU’UN DÉBUT. CONTINOUNS LE COMBAT. ist ein Film, dem Worte nicht gerecht werden können, den man nicht beschrieben bekommen kann, sondern den man erleben muss. Am ehesten vergleichbar ist er wohl mit gewissen Filmen von Stan Brakhage, nicht nur wegen der vollkommenen Stille, die in ihm herrscht, sondern vor allem wegen seinen grellen Farbspielereien, mehreren Bildern, die sich überlagern und zu einem undeutlichen Ganzen verschwimmen, verfremdenden Manipulationen am Filmmaterial selbst, und dem schier grenzenlosen Chaos, das einmal mehr die Metapher vom LSD-Rausch nahelegt (aber selten hat sie so sehr gepasst wie hier). Was Clémenti ebenfalls mit Brakhage verbindet, ist die persönliche Ebene seines Films. So strickt er in den wilden Reigen auch Filmaufnahmen seiner Familie oder von engen Freunden. Der Unterschied zu Brakhages eher autobiographisch gefärbtem oder sich mit philosophischen Fragen beschäftigendem Kino besteht jedoch darin, dass LA RÉVOLUTION N’EST QU’UN DÉBUT. CONTINOUNS LE COMBAT. ein Film ist, der eindeutig und bewusst Stellung zu konkreten politischen Ereignissen seiner Entstehungszeit bezieht. Er entstand nicht nur in Drehpausen zu Bertoluccis PARTNER, sondern eben auch in den Straßen von Paris im Mai 1968. Clémenti scheint mit seiner Handkamera mitten im Geschehen zu sein, filmt Polizisten, die mit Knüppeln auf Demonstranten losgehen, Barrikaden, brennende Autos, junge Protestler mit Transparenten. Wo die Szenen, die er in Italien, am Set von PARTNER, drehte, eher Ruhe ausstrahlten, könnten die Dokumentaraufnahmen lebendiger kaum sein. Der Titel ist sicherlich ebenso wenig ironisch zu verstehen wie die Protestslogans, die in Form von Texttafeln ständig aufblitzen. Ohne auf die konkreten Ziele der 68er einzugehen oder ein politisches Statement zu liefern, ist der Film mehr  eine Solidaritätsbekundung, ein Ausrufezeichen, ein zustimmender Schrei. Und ständig vermischt Clémenti diese beiden Ebene. In die Idylle, die ein Mädchen auf einer Weise zeigt, brechen die Bilder von den Pariser Straßen, oder umgekehrt.  

LA RÉVOLUTION N’EST QU’UN DÉBUT. CONTINOUNS LE COMBAT. wirkt wie ein Gedicht, eine Notiz in Clémentis Tagebuch, und war nicht für öffentliche Aufführungen bestimmt. Erst 1999 entdeckte Frédéric Prado den Film in einer Dachstube. 1968 wird er wohl kaum außerhalb des Freundeskreises des Regisseurs zu sehen gewesen sein. Schon allein daher ist es schwer, den Film zu bewerten. Clémenti scheint ihn vielmehr für sich selbst als für jemand anderes gedreht zu haben. Vielleicht auch daher ist LA RÉVOLUTION N’EST QU’UN DÉBUT. CONTINOUNS LE COMBAT. für einen unbeteiligten Zuschauer Jahrzehnte später wohl mehr ein Film, den man sich staunend betrachtet, begeistert von seiner formalen Seite, der einen jedoch emotional nicht wirklich berühren kann.

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