Review

Le Avventure straordinarissime di Saturnino Farandola ist ein unglaublicher Film, der sich stark von der Mode, die im italienischen Film der 1910er herrschte, abhebt, handelt es sich bei ihm nämlich um kein kitschiges Melodram und schon gar nicht um einen Historienstreifen, der die vergangenen Glanzzeiten des Römischen Imperiums lobt. Überhaupt dürften die außergewöhnlichen Abenteuer des Saturnino Farandola ziemlich einzigartig in der Frühgeschichte des Films sein. Mir zumindest ist kein Werk bekannt, das sich ansatzweise mit ihm vergleichen ließe.
Nur anfangs tut der Film so, als ob er auf eine lineare, in sich schlüssige und vor allem dramaturgisch ausgearbeitete Geschichte hinauslaufen würde. Saturnino wird als kleines Kind bei einem Schiffsunglück von seinen Eltern getrennt, die ihr Leben opfern, um seines zu retten. Auf einer exotischen Insel gestrandet, die einzig von Affen bewohnt wird, ziehen diese ihn groß und beginnen erst, sich von ihm abzuwenden, als sie im Laufe seiner Entwicklung bemerken, dass ihm ein Schwanz wie der ihre fehlt und er sich auch sonst sehr von ihnen unterschiedet. Enttäuscht baut Saturnino sich ein Floss, sticht in See, um Wesen zu treffen, die sind wie er, und stößt zum ersten Mal auf Menschen, die ihn aus dem Ozean fischen. Von nun an zerfällt der Film zu einer losen Aneinanderreihung von einzelnen Abenteuern. Saturnino wird ein geschätzter Offizier, heiratet, muss seine Frau aus dem Bauch eines Wals befreien, erhält von seinem König den Auftrag, in Asien einen weißen Elefanten aufzuspüren, bekämpft einen verrückten Wissenschaftler, landet in Amerika, wo er in einen Krieg verwickelt wird, und bestreitet zum Schluss eine Schlacht, die man mittels Heißluftballons austrägt. Einen einheitlichen Rhythmus oder irgendeine Rahmenhandlung, die diese Abenteuer verbinden würde, ist nicht vorhanden. Von Spannung oder ausgefeilten Charakterzeichnungen kann keine Rede sein. Saturnino ist der Prototyp eines Helden. Er besteht unversehrt sämtliche Abenteuer, windet sich mit List und Tatkraft aus den schwierigsten Situationen, um am Ende zu seiner Affeninsel zurückzukehren, wo er mit seiner Gattin ein ruhiges, idyllisches Leben, fernab der vorherigen Aufregungen, zu führen gedenkt.
Als Spielfilm scheiternd, funktionieren Saturninos Abenteuer viel mehr als eine Aneinanderreihung von Szenen, mit denen die Regisseure ihr Publikum verzücken und in Verwunderung versetzen wollten. Die Tricktechnik befindet sich auf der Höhe der Zeit und selbst wenn sämtliche Spezialeffekte heute belächelt werden müssen, versprühen sie in Verbindung mit den phantasievollen Ideen, die sie illustrieren, nicht wenig Charme. Der Film wirkt unschuldig, man merkt ihm jede Sekunde an, dass das Kino noch in seinen Kinderschuhen steckte und weit entfernt davon war, eine eigenständige Kunstform zu werden. Das Fehlen von Kreativität oder Einfallsreichtum kann man den Macher allerdings nicht ankreiden. Eine meiner liebsten Szene ist die, in der Saturnino die Affen seiner ehemaligen Insel zusammentrommelt, um sie zu einem Heer auszubilden und mit ihnen eine Schlacht zu bestreiten. Bei den Affen handelt es sich um Menschen, denen man provisorisch ein paar Schwänze und Stofffetzen anklebte, und die Schlacht wird in einer äußerst naiven Weise inszeniert. Der Film versteht es jedoch, trotz all seiner Fehler und Mängel, den Zuschauer gefangen zu nehmen und zu überraschen. Man weiß nie, was einen als nächstes erwartet. Und einige Szenen fand ich ehrlich komisch.
Natürlich erinnert vieles an den frühen Meister des Films, Georges Mélies, allerdings fehlt den Abenteuern Saturnino Farandolas die Poesie, die viele Werke des Franzosen auszeichnet, ein Fehlen, das von einer äußerst schnellen Montage ausgeglichen wird. Kaum einmal kommt der Zuschauer zur Ruhe. Immer wieder wechselt eine Attraktion mit der nächsten ab. Dass der Film langweilig wäre oder ein behäbiges Tempo habe, kann man ihm, auch wegen seiner Laufzeit von nicht mal einer Stunde, ganz und gar nicht vorwerfen.
Als Inspirationsquelle auch nicht fern mag das Werk von Jules Verne gewesen sein. Einige Ideen atmen sehr deutlich seinen Geist. Nicht zufällig basiert der Film wohl auf einem Roman des französischen Schriftstellers und Malers Albert Robida mit dem interessanten Titel „Voyage Très Extraordinaires De Saturnin Farandoul Dans Les 5 ou 6 Parties Du Monde Et Dans Tous Les Pays Connus Et Même Inconnus De M. Jules Verne“.
Le Avventure straordinarissime di Saturnino Farandola ist ein Film, der mich mit seinem schier überschäumenden Ideenreichtum prächtig unterhalten hat. Sein völliges Fehlen eines Rhythmus und einer stimmigen Narration verwehren ihm den Status einer vergessenen Perle der Filmkunst. Ein Meisterwerk ist er beileibe nicht, aber einer der charmantesten, vergnüglichsten Stummfilme, die ich kenne.

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