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Alexandria - Metropole des östlichen Mittelmeerraums und für lange Zeit - bis zur endgültigen Machtübernahme Roms - Mittelpunkt der antiken Welt. Von Alexander dem Großen im Jahre 332 v. Chr. während seines Feldzuges gegen das Perserreich in dessen ägyptischer Satrapie gegründet, sollte die kunst- und wissenschaftsverbundene Dynastie der Ptolemäer den großen Makedonen beerben und die in luftig-hellenistischen, wohlgeordneten Quadraten angelegte Stadt der Levante zu ihrem Machtzentrum ausbauen. So konnte Alexandria in den kommenden drei Jahrhunderten sogar Athen als Zentrum der Wissenschaften ablösen und für viele Generationen das gesamte Wissen der Antike in ihren Mauern sicher verwahren. Zwar gab es auf dem Gebiet der Gelehrsamkeit gewaltige Rückschläge, so etwa als Cäsar und Kleopatra im Kampf gegen Ptolemaios XIII. (Kleopatras jüngeren Bruder) den Alexandrinischen Krieg entfachten, in dessen Wirren die Bibliothek der Stadt mit ihren unbezahlbaren Wissensbeständen zum großen Teil in Flammen aufging, doch blieb die größte Stadt Unterägyptens das Forschungszentrum schlechthin. Und nachdem die nur wenige Jahre später geschehene (durch Shakespeare im 16. Jahrhundert so berühmt gewordene) Tragödie um Marcus Antonius' und Kleopatras Untergang im Zwist mit dem aufsteigenden Stern des Augustus (damals eigentlich noch "Octavian") schließlich sozusagen über die Bühne gebracht worden war, wurde es für vierhundert Jahre still in der nun römischen Provinz Ägypten. Alexandria, die reiche Kornkammer des Imperiums, Standort eines der sieben Weltwunder (des Leuchtturms von Pharos) und Verwahrungsort des übrig gebliebenen Wissens der vorchristlichen Antike, sollte Jahrhunderte vor sich hinschlummern, bis schließlich der Sturm der großen monotheistischen Religionen mit ihren rigiden Absolutheitsansprüchen über die hellenistische Metropole hinwegbrausen sollte.

Wir schreiben das Jahr 391 n. Chr. Der Vielgötterglaube erlebt seinen Niedergang. Kaiser Theodosius, ein Christ, fördert nach Kräften die weitere Verbreitung des neuen Glaubens. Er setzt der tausendjährigen Geschichte der Olympischen Spiele trotz ihrer friedensstiftenden Wirkung ein Ende, da sie seit je her ihrem Wesen gemäß zu Ehren des Zeus abgehalten worden waren. Erst eintausendfünfhundert Jahre später werden sie - in unserer Zeit - wieder zum Leben erweckt. Auch die berühmte, von Platon im vierten vorchristlichen Jahrhundert gegründete athenische Akademie der Philosophie wird gewaltsam aufgelöst. Die Bibel soll fortan das Maß aller Dinge sein, nicht die unbequeme Suche nach Wissen und schon gar nicht das Infragestellen des Göttlichen.

Auch die Bewohner Alexandrias spüren die Wende der Zeiten und bereiten sich auf den unausweichlichen Konflikt vor. Das antike Heidentum mit seinem ägyptisch eingefärbten Olymp muss sich der immer vehementer vorgetragenen Angriffe der Christen erwehren. Einst selbst von einer Handvoll engstirniger Kaiser verfolgt und gefoltert, dreht das Christentum nun den Spieß um. Dass dabei die antike Hochkultur enormen Schaden nimmt, wird billigend oder unwissend in Kauf genommen. Das bekommt auch die stadtbekannte Forscherin und Anhängerin des alten Glaubens Hypatia (Rachel Weisz) zu spüren, die sich immer offener ausgesprochenen Anfeindungen ausgesetzt sieht. Wird sie sich der neuen Religion beugen und ihre angeblich von der Bibel vorgeschriebene devote Rolle als Frau in der Gesellschaft einnehmen?

Rachel Weisz spielt die starke Frau überzeugend. Allerdings verleiht sie ihr eine Aura des naiv Gleichgültigen, ja ununterbrochen Verspielten, was so womöglich nicht dem Wesen der historischen Persönlichkeit Hypatia entsprochen haben dürfte. Da aber über die echte Hypatia von Alexandria nur wenig bekannt ist, erlauben wir Alejandro Amenábar, der Mathematikerin und Astronomin seinen persönlichen Stempel aufzudrücken und sie seiner Zielsetzung gemäß agieren zu lassen.

Für einen spanischen Film kommt "Agora - Die Säulen des Himmels" übrigens erstaunlich opulent daher. Für den Geschichtsinteressierten oder Antikeliebhaber bieten sich hier wahrhaft spektakuläre Bilder. Das spätantike Alexandria wird in nie dagewesener Weise zu neuem Leben erweckt. Man hat tatsächlich das Gefühl, in längst vergangene Zeiten einzutauchen. Allein die - natürlich CGI-generierte - Stadtansicht und das sich hier bietende Panorama in seiner einzigartigen, detailverliebten Pracht rechtfertigen den Filmgenuss. Hier lässt die streng wissenschaftliche Aufbereitung der Vergangenheit "Agora" zu einem nicht oft vergönnten Augenschmaus werden. Selten gehen mustergültige Computerbilder überdies so harmonisch Hand in Hand mit professioneller Geschichtserzählung. Meist bekommt man nur entweder das eine oder das andere vorgesetzt. Angesichts der liebevoll arrangierten Bauten und Kulissen schmerzt es den Zuschauer geradezu, wenn der christliche Mob in der Folge alles zuvor mühevoll Errichtete wieder in Trümmer haut. Und genau das war von Amenábar beabsichtigt: "Sehr her, so hat auch unsere Religion ihren Weg in die Welt genommen!"

"Agora - Die Säulen des Himmels" ist Historienkino für Interessierte. Keinesfalls darf man hier die inszenatorische Dramatik eines "Gladiator" oder "Braveheart" erwarten. "Agora" schildert Geschichte so, wie sie gewesen sein könnte. Für den Themafremden heißt das konkret, er bekommt weniger Entertainment als gewohnt - der Kenner dafür womöglich umso mehr. Alejandro Amenábars Film ist zuvorderst Unterhaltung für Geschichtsinteressierte, für andere ist er schlicht eine - vielleicht etwas zu trockene - Geschichtsstunde. Das Historiendrama ist in seiner Tendenz zwar durchaus kritisch dem frühen Christentum gegenüber, doch letztendlich fair und ausgewogen. Auch das Heidentum im Film erkennt den Wert religiöser Toleranz nicht - geschweige denn die Zeichen der Zeit. Und die stehen auf Sturm, denn nur zweieinhalb Jahrhunderte nach der Machtübernahme des Christentums und dem Verbot heidnischer Kulte, sollte eine weitere, streng monotheistische Glaubensrichtung das nunmehr oströmische Reich überrennen: der Islam. Unter dem grünen Banner des Propheten würde dann ein weiteres Mal das religiöse Primat verschoben werden. Zwar würden auf ägyptischem Boden Andersgläubige nicht wie in Arabien einen Kopf kürzer gemacht werden und die zwei anderen "Religionen des Buches" zwar benachteiligt, doch toleriert sein, aber das seit tausend Jahren griechische und seit zweihundert Jahren christliche Ägypten sollte an der Schwelle von der Antike zum Mittelalter für immer der westlich-europäischen Kultur entrissen werden. Da fragt man sich doch rückblickend wieder einmal: Warum eigentlich der ganze Kampf zuvor?!

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