Mit „Der vierte Engel“ hat es ein im wahrsten Sinne des Wortes problem-behafteter Streifen aus der Regie von John Irwin („Hamburger Hill“ / „City of Crime“) nicht bis in die Kinos, sondern nur in die Videothek und anschließend ins TV geschafft. Aber vielleicht hat das ja Gründe, wobei es in diesem Zusammenhang keineswegs an einer irgendwie mangelnden Prominenz der Mimen gelegen haben dürfte, denn zumindest nominell ist die Riege der Hauptdarsteller mit Jeremy Irons, Forest Whitaker, Charlotte Rampling und Jason Priestley recht eindrucksvoll aufgestellt. Auch wird dem Betrachter ein insgesamt ziemlich spannender Handlungsverlauf mit einigen falschen Fährten und recht krasser Action geboten; dazu gesellt sich ein fetter, stellenweise ins Pathos abdriftender Score aus der Kompositionsschmiede von Howard Shore. Ein weiterer Pluspunkt ist fraglos die Performance von Forest Whitaker („Panic Room“ / „Ghost Dog“), in dessen Szenen zu bewundern ist, wie ein Akteur übers rein Physische hinaus Persönlichkeit und Präsenz zu transportieren weiß.
Soweit, so gut. Kommen wir jetzt zum übergroßen ABER. Das betrifft zunächst die von Jeremy Irons verkörperte Figur des renommierten Journalisten Jack Elgin vom Londoner „Economist“, der über hochrangige Kontakte in Business, Geheimdienst und Politik verfügt und schon einmal den Familenurlaub zur Interviewreise umfunktioniert (was ihm recht bald heftige Verluste im nahen Familienkreis sowie ein schlechtes Gewissen einbringen wird). Was zu Beginn überaus interessant wirkt und der zwischen Trauer und Wut oszillierenden Figur sowas wie filmische Authentizität verleiht, zerfällt spätestens mit dem Umschlagen der nachvollziehbaren Rachegefühle von der bloß gedanklichen wie emotionalen Projektion zur kaltblütig realisierten Tötungshandlung. Aus der menschlichen Ruine eines am äußeren Schicksal zer-oder gebrochenen Intellektuellen schwingt sich ein eiskalter Engel im Stile Alain Delons empor, der ohne jegliches Training automatische Waffen zu bedienen weiß, waghalsige Stunts ohne Schramme übersteht und mal so eben im Vorübergehen so etwas wie den perfekten Mord begeht. Das allein schon begräbt jede Glaubwürdigkeit, aber zudem muß es selbst den gutmeinenden Betrachter schwer verärgern, wenn ihm dämmert, mittels welch plumper Manipulationen er zur Übernahme des hier cineastisch lecker aufbereiteten „Eye-for-an-Eye“-Standpunktes genötigt werden soll: so sind die Balkan-Bösewichter schon äußerlich als üble Gesellen zu identifizieren, denen es irgendwie recht geschieht, wenn ein Mann auf Rachetour ihnen ordentlich Blei in die Körper gießt. So simpel mögen wir's denn bitte doch nicht...
Fazit: hier ist ein handwerklich solides und in saubere Bilder gesetztes Plädoyer für individuelle Rachejustiz jenseits aller rechtsstaatlichen Parameter zu besichtigen, von dessen Kernthese trotz der Schlußwendung, in der sich unser Racheengel selbst von dritter Seite instrumentalisiert sieht, keine noch so vorsichtige Distanzierung erfolgt.
Da Filmbewertungen, so subjektiv sie ihrer Natur nach ohnehin bereits sind, sich manchmal an ethischen Maßstäben entlang hangeln müssen, kann es vom in dieser Angelegenheit unerbittlichen Rezensenten allerhöchstens 5/10 Punkten geben.