Review

Justine (Romina Power) und ihre Schwester Juliette (Maria Rohm) wachsen in einem Kloster auf und werden von dort, als sie ein wenig Geld erben, in die Welt geschickt. Sie versuchen ihr Glück auf verschiedene Weise, während die extrovertierte Juliette in einem Puff anfängt, sucht die brave Justine nach einem ehrbaren Leben als Dienstmädchen. Die beiden fungieren als Gegenüberstellung von der schwachen Tugend und der verführerischen Gewalt, ihre Unschuld bringt Justine schnell ins Gefängnis. Die Welt des Marquis de Sade ist nunmal unfair, doch für Franco eine Fundgrube, die er schon mehrfach ausbeutete (im wahrsten Sinne des Wortes). Dafür sind die Darsteller recht gut gewählt, z.B. Carmen de Lirio als zwielichtige Bandenchefin Madame Dusbois gefällt durchaus. Der Humor ist lachhaft bis familienkompatibel, das Drehbuch schildert trotz der Thematik kein allzu ernstes Depridrama. Horror als bestimmendes Genre taucht nur vereinzelt in der zweiten Hälfte auf, überwiegend ist "Marquis de Sade: Justine" ein Drama, dass die unbedarfte Justine reinen Herzens vom Regen in die Traufe schlittern lässt, während ihre Schwester mit vollem Körpereinsatz Karriere macht. Die machte damals wiederum Romina Power (trotz diverser Nacktszenen dieser Jugendsünde) nicht, dafür singt sie zum Glück kaum (Albano ist ja auch nicht dabei). Klaus Kinski spielt als Marquis de Sade nur eine nebensächliche Rolle, denn der taucht nur vereinzelt eingekerkert auf, um seine Geschichte von Justine zu erzählen. Kinski sieht im übrigen mit der Barockperücke ungewohnt putzig aus, während Horst Frank die weissen Löckchen samt seiner etwas tuntig fiesen Art ganz gut stehen. Jack Palance wiederum, als Vorstand eines dubiosen S/M-Ordens, spielt richtig schön entrückt bis abgedriftet. Nicht nur er, sondern scheinbar alle Welt verlangt stets böse Taten von der jungen Justine, die dadurch immer weiter in Unannehmlichkeiten verstrickt wird. Ihre Naivität lässt sie zum Spielball egoistischer Machenschaften werden, was Franco sich als Essenz aus der Romanvorlage zieht. "Das Böse siegt stets über das Gute" steht ganz oben drüber, was nicht gerade von Tiefsinn zeugt, aber immerhin überhaupt einen Sinn macht. Im Gegensatz zu diversen neueren Filmchen von Jess Franco hat dieses alte Werk von ihm einiges zu bieten, was über einen trashigen Folterfilm mit S/M-Anleihen hinausgeht. Die blutigen Effekte waren auch schon damals uninteressant, denn das Hauptaugenmerk liegt neben der sleazigen Aufmachung auf dem großen Anteil eines Kostümfilms. Für Gorehounds ist das zu wenig, nur eine nette Rückenakupunktur in Ketten kann gefallen, ohne zu grafisch zu werden, da die Szene künstlerisch verschwommen bzw. mit betrunkenem Kameramann eingefangen wurde. Für das Entstehungsjahr 1968 ist allerdings schon erstaunlich, wie freizügig hier mit Sex und Gewalt umgegangen wurde. "Justine" ist zum einen eine astreine Sleazegranate und zum anderen ein netter Kostümfilm. Horror weniger, was an der spielfilmorientierten Atmosphäre liegt, Trash wie in seinen späteren Ausfällen jedoch auch nicht. Die Arrangements, Auftritte der theatralischen Figuren und die Ausleuchtung erinnern etwas an eine Bühne, auf der in einer pittoresken Jahrmarktsszene auch Franco selbst als alberner Conférencier auftritt. Passend zur 70er Stimmung schuf Bruno Nicolai ("Die Farben Der Nacht") den Soundtrack. Was man nicht erwarten sollte, ist ein hochdramatisches oder gar mit Spannung glänzendes Drehbuch, wobei dieser Film nicht halb so einschläfernd ist, wie Francos neuere Werke.

Fazit: Sleaziger Kostümstreifen aus grauer Vorzeit Zeit, als Jess Franco noch richtige Filme drehte. 6/10 Punkten

Details
Ähnliche Filme