Review

Es fällt mir gar nicht so leicht, über SUFFER AND DIE zu urteilen, allein schon deshalb, weil ich den Regisseur selber ein wenig kenne. Zumindest glaube ich, so ungefähr verstanden zu haben, was er mit diesem Werk bezweckt.

Es soll kein reiner Beitrag zur grassierenden Welle des Torture Porns (Gott, wie ich diesen abwertenden Begriff hasse!) sein, sondern vielmehr ein durchaus kritischer und differenzierter Kommentar dazu. Obwohl der Regisseur nämlich ein bekennender Fan der SAW-Reihe ist, wollte er nicht einfach nur einen Abklatsch von Jigsaws üblen Spielchen drehen. Darum beschränken sich die Zitate aus der beliebten Kultfilmserie um den Puzzlemörder auch nur auf ein paar wenige Storyelemente gegen Ende: Ja, es gibt ein wenig Folter, sowie im Finale ein Tape mit Spielanweisungen und einen Twist ganz zum Schluss, aber da hören die Ähnlichkeiten auch schon wieder auf, denn SUFFER AND DIE ist ansonsten nämlich ein vollkommen eigenständiges Werk.

Und genau hier liegen nun die Stärke und zugleich die Schwäche des neuesten Films von Philip Polcar: Er ist nicht das, was man erwartet, ganz egal, von welchem Standpunkt aus betrachtet. Für den Gorehound wird viel zu wenig Splatter und selbstzweckhafte Gewalt enthalten sein, für den Freund anspruchsvoller, psychologischer Thriller hingegen vielleicht schon wieder zu viel davon.

Es ist aber auch sehr kompliziert, SUFFER AND DIE überhaupt korrekt einzuordnen, denn er liegt stets irgendwo „dazwischen". Er ist jedenfalls mehr Arthouse als Schocker, denn den paar expliziten Gewalt- und Folterexzessen wird wesentlich weniger Platz eingeräumt als den Aussagen, die dahinter stehen. Trotzdem sind längst nicht alle Botschaften im Film gleich so offensichtlich, wie der Regisseur es gerne hätte. Vielleicht wird in die paar Handlungsmotive von Seiten der Macher auch nur etwas zu viel hineininterpretiert. Jedenfalls ist der Audiokommentar auf der DVD sehr aufschlussreich, da wir dort von dem klug und angenehm sprechenden Regisseur auf all das hingewiesen werden, was nun hinter den paar Gewaltausbrüchen steckt, welche Motivation die jeweilige Figur antreibt und wie diese Gestalten sich selbst und die Welt wahrnehmen. Es befindet sich also sehr viel Überlegung hinter all dem, auch wenn sich die Zusammenhänge dem Zuschauer nicht immer prompt erschließen. Für Philip Polcar zählt vor allem stets die Ursache, weniger die blutige Tat an sich. Rumsudeln und sich mit Grausamkeiten überbieten - das sollen andere Filmeschaffende tun.

Es kommt immerhin eine harte und realistische Vergewaltigungsszene vor, doch auch die ist nicht pubertär, plump, sleazy oder deplaziert, sondern dient wieder nur dem höheren Ziel, die Psyche einer Hauptfigur ein wenig zu beleuchten.

In technischer und handwerklicher Hinsicht gibt es im Grunde auch nicht viel zu meckern. Nun gut, der Ton ist schlecht abgemischt, so dass sehr oft genuschelt wird. Dreht man den Ton dann aber lauter, um den gut geschriebenen Dialogen folgen zu können, so plärrt plötzlich laute Musik aus den Boxen. Aber das ist bei vielen Hollywood-Blockbustern mit Dolby Surround Sound daheim auch oft nicht anders, soll also nicht weiter ins Gewicht fallen.Regie und Kamera sind tadellos. Polcar ist ein Künstler und bereits jetzt schon auf einem Level angelangt, von dem erfahrene „Konkurrenten" wie Andreas Schnaas, Andreas Bethmann und Timo Rose noch immer nur träumen können. Worin liegt der Unterschied? Ganz einfach: Polcar spielt nicht nur sinnlos mit Stilmitteln, er setzt sie gezielt und passend ein. Er tut nicht bloß so, als wäre er Regisseur, er ist tatsächlich einer.

Aber das Problem ist halt, dass seine Werke nicht sonderlich unterhaltsam sind. Sie neigen dazu, die Kunst zu stark ins Zentrum zu rücken und dabei die Spannung und das Entertainment aus den Augen zu verlieren. Eine interessante Story, atmosphärische Bilder und Musik sowie überzeugende Darsteller - allen voran Nikolai Will, der als Psychopath Fred eine für den Amateursektor überragende Leistung abliefert und ebenso naiv und unschuldig wie auch abgrundtief böse sein kann - reichen noch nicht aus, um einen kompletten, wenn auch relativ kurzen Spielfilm durchgehend kurzweilig zu gestalten. Aus der an „Spion gegen Spion" erinnernden Grundsituation hätte man eventuell noch mehr rausholen können, aber die Drehzeit reichte wohl nicht aus und man wollte halt mal was ganz „anderes" machen.

Jetzt gestaltet sich die finale Bewertung schwierig. Wenn ich SUFFER AND DIE, dem man unter filmischen Gesichtspunkten durchaus auch vertretbare 8 von 10 Punkten geben könnte, mit anderen, zumeist trashigen Amateurfilmen wie VIOLENT SHIT 3 oder PIRATENMASSAKER, denen ich beiden jeweils 7 Punkte gab, vergleiche, dann zeigt sich, dass SUFFER AND DIE zwar viel besser gemacht ist, aber leider nicht annähernd so tauglich ist für einen lustigen Filmabend im Freundeskreis. Und das ist halt auch gerade bei Independentfilmen ein nicht unbedeutender Faktor für die Note, denn man rechnet einfach damit, sich über einen Beitrag von solcher Herkunft köstlich amüsieren zu können.

SUFFER AND DIE ist kein Film, den man sich allzu oft anschaut oder immer mal wieder aus dem Regal hervorkramt, um eine gute Zeit zu haben. Er macht es sich selbst nicht einfach, weil er ein kaum zu definierendes Publikum zu erreichen versucht, welches nur sehr übersichtlich sein kann. Dennoch verdient er eine faire Chance. Er sucht so ein bisschen die Nähe zu SAW, liegt dabei qualitativ näher an SAW 5 als an SAW 1, aber auch dieses Niveau will erst mal erreicht werden. Er ist mit Sicherheit eine Enttäuschung für alle Splatterprolls und wird den Mainstream-Zuschauer genauso wenig interessieren wie den an Torture Porn mittlerweile übersättigten Horrorfreak, er wird den Psychothriller-Freund langweilen und zugleich verstören, aber er ist letztlich eine Visitenkarte für die Fähigkeiten Polcars, der es gar nicht jedem Recht machen will.

Alles was Philip Polcar jetzt noch fehlt, ist der ganz große Durchbruch - ein unterhaltsamer Film, der vom Großteil der Independentfilmfangemeinde positiv aufgenommen wird und ihm noch mehr Aufmerksamkeit beschert. Dann hat er sich an der Spitze der unabhängigen deutschen Filmemacher etabliert und wird voraussichtlich auch dort bleiben.

Ich freue mich schon auf sein nächstes Projekt, einen Fantasyfilm. Wieder etwas völlig anderes als das, was der Independentsektor typischerweise so hergibt.

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