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Ein Film über die Liebe und die Musik. So ganz ohne Musik. Ob das geht ? "Sommer" von Eric Rohmer ist der Beweis dafür. Frei nach den Dogma-Regeln verzichtet der Film vollkommen auf Musikeinspielungen. Nur Gaspard, die zentrale Identifikationsfigur, spielt ab und zu ein Liedchen auf seiner Gitarre. Es gibt Filme, denen würde die ein oder andere akkustische Untermalung ganz gut tun. "Sommer" jedoch lebt quasi davon, eben keine Musik zu bieten.

Wie viele Independent-Werke ist "Sommer" ein Film über das Leben. Doch wo viele dieser Streifen mit Worten geizen und auf lange Szenen voller Schweigen setzen, durch die der Zuschauer zu seiner eigenen Interpretation gezwungen wird, wird hier mit Dialogen nur so um sich geworfen. Da wird geredet, geredet und nochmal geredet. Das mag für viele anstrengend sein, ich jedoch habe das viel lieber als dieses endlose Schweigen. Und wenn dann diese Dialoge auch noch so dermaßen aus dem Leben gegriffen, so realitätsnah, nachvollziehbar und detailgetreu sind wie hier, dann ist man geneigt zu sagen, dass das Gesehene etwas Besonderes ist. Und genau das ist es auch.

Es ist wie üblich schwer, eine einhellige und objektive Meinung über solch einen Independent-Film zu treffen. Da gibt es schon mal überzogen dargestellte Charaktere oder Situationen. Das ist hier nicht der Fall. Von Anfang an geht es um Gaspard, der in seinen Sommerferien Urlaub in der Bretagne machen möchte. In diesem Urlaub lernt er binnen kürzester Zeit 2 Mädchen kennen, die ihm beide sehr sympathisch sind. Mit dem Problem, dass er eigentlich auf seine Freundin wartet. Seine Gefühle spielen nun ziemlich verrückt.

Wieso ich das mit der Objektivität erwähnt habe ? Filme mit einer solchen Handlung sprechen mich nicht unbedingt an. Ganz einfach aus dem Grund, da ich mich mit den Hauptpersonen, in diesem Fall Gaspard, nicht wirklich identifizieren kann. Als naiv wirkender, scheuer und schüchterner Mathematik-Student kommt er an seinem Urlaubsort an. Bald lernt er die nette und sympathische Margot kennen. Und auf eine gewisse Art und Weise auch lieben. In endlosen Spaziergängen tauschen sie sich aus, angefangen von oberflächlichen Sachen wie ihren Studiengängen, über ihre Zukunftspläne bis zu richtig persönlichen, intimen Dingen wie die Liebe. Diese Dialoge fallen gewiss nicht wortkarg oder konstruiert aus, teilweise sprechen die Charaktere wirklich das aus, was man teilweise vor dem Fernseher denkt. Nur eben die Person Gaspard ist für mich nicht nachvollziehbar gewählt. Er kommt also in der Bretagne an und erzählt Margot über sein Pech in der Liebe. Dass er die Richtige nicht findet. Und er allgemein nicht sonderlich beliebt ist. Er zwar die Außenwelt um ihn herum wahrnimmt, er aber sich teilweise so fühlt, als ob er selbst nicht existieren würde. Er weiß nicht, was er ist und was er will. Diese Selbstfindungsfilme mag ich persönlich nicht so. Außerdem ist es für mich immer fraglich, wieso Typen, die anscheinend bis jetzt wenig Glück hatten, was Mädchen anbelangt, trotzdem mehr oder weniger 3 am Laufen haben. Denn da ist ja noch Lena, seine eigentliche Freundin, auf die er wartet und Solene, eine temperamentvolle junge Dame, die er auch kennenlernt.

Nun ist er also hin und hergerissen zwischen Solene und Lena. Denn Margot ist nur so etwas wie eine beste Freundin. Meint man zumindest. Doch auch da wird die ein oder andere intimere Szene gezeigt. Ein verwirrter junger Mann also, dieser Gaspard.

Sieht man aber über diese "Schwäche" (wie gesagt, es ist eben nur meine fehlende Identifikation mit diesem Charakter) hinweg, bietet sich aber wirklich ein Film an, der einen fesselt. Und das nur mit wirklich teilweise ellenlangen Spaziergängen durch die Strandlandschaft, während denen einfach nur geredet wird, über die Gefühlslagen der Beteiligten, die Beziehungen zueinander und über das, was sie so vom Leben halten. Wenn Gaspard seine Lage nicht gerade überdramatisiert, sind das wirklich Dialoge, die wohl in dieser Qualität und Realitätsnähe wohl so gut wie noch nie dagewesen sind. Wie persönlich die Charaktere miteinander umgehen, auf welche Details der Unterhaltungen immer wieder zurückgegriffen wird, um eben jene Punkte wieder zum Vorschein zu bringen und darüber zu reden. Das ist selten, dass man so etwas zu Gesicht bekommt.

Wenn viel geredet wird, müssen also die Darsteller überzeugen, um den Film glaubhaft zu gestalten. Und das gelingt ihnen auf voller Linie. Die Kamera meint es nicht gut unbedingt gut mit ihnen, übertrieben gesagt. Sie hält teilweise schon richtig lange auf die Protagonisten drauf, begleitet sie bei ihren Ausflügen, ohne abzublenden oder wegzuschwenken. Doch stets schaffen die Darsteller es, einen vollkommen natürlichen, nie gekünstelten Eindruck zu vermitteln und das bei einer Lauflänge von 110 Minuten. Welche übrigens im Nu vergehen.

"Sommer", der letzte Part von Rohmers vier Filmen über die Jahreszeiten, fesselt, ohne Fesselndes zu zeigen. Er ist spannend, ohne eine Spannung heraufbeschwören zu wollen. Er ist das Leben. Er ist ein knapper Monat aus dem Leben Gaspards. Tagebuchartig wird sein Erlebtes während des Urlaubs erzählt. Immer wieder wird das Datum eingeblendet, am Anfang jedes Tages.

Wer sich auf "Sommer" einlässt, den erwartet anspruchsvolles Kino auf höchstem Niveau. Intelligent, mit Liebe zum Detail, dialogreich, sympathisch und einfühlsam gespielt. Sozusagen rundum gelungen. Und Musik ist eben das höchste Gut.

8/10 Punkte

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