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Bei einem Autounfall verliert Julie Vignon ihre kleine Tochter und ihren Mann, einen berühmten Komponisten. Daraufhin verkauft sie ihren Besitz, bricht alle Kontakte ab, zieht unter anderem Namen in eine neue Wohnung und flieht so vor der Presse und den Menschen, die ihr helfen wollen. Olivier, ein Arbeitskollege ihres Mannes, der schon seit längerem in sie verliebt ist (und mit dem sie vor ihrem Verschwinden noch geschlafen hat), kann sie aufspüren, aber sie verbittet sich wiederum jedem Kontakt und stellt sich erst ihrer Vergangenheit, als Olivier an einem unvollendeten Stück ihres Mannes weiterarbeitet…

Der erste Teil von Kieslowskis Trilogie um die Farben der französischen Flagge (blau, weiss und rot), die bei ihm für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit stehen. Ihre Freiheit nimmt sich hier Julie, die alle Verbindungen abbricht um ein neues Leben zu beginnen, bei der Verdrängung ihrer Trauer aber scheitert. Dass ihr Verhalten dabei öfters mal kaum nachvollziehbar ist (so lässt sie eine Mäusefamilie, die sich in ihrem Schrank eingenistet hat, erst für eine Weile leben, bevor sie dann plötzlich die Katze des Nachbarn ausleiht und diese die süssen kleinen Nagetierbabys fressen lässt) oder sie unsympathisch wirken lässt (so verbrennt sie die Notizen ihres Mannes – zum Glück hat die Archivarin eine Kopie davon gemacht, sonst hätte Olivier nicht daran arbeiten können), macht zumindest mir den emotionalen Zugang zu ihr schwer (zu Anfang, als sie trauert und von der Presse bedrängt wird, fällt das noch leichter). Zudem spielt die äusserst hübsche Oscarpreisträgerin Juliette Binoche (LES AMANTS DU PONT-NEUF, THE ENGLISH PATIENT, CHOCOLAT) hier etwas zu zurückgenommen und wirkt irgendwie unbeteiligt (und in ihrer Sexszene mit Benoît Régent wird uns männlichen Zuschauern leider jeglicher unkeusche Einblick verwehrt). Am interessantesten finde ich noch die Anspielungen (die gegen Schluss eigentlich recht eindeutig werden), dass in Wirklichkeit sie hinter den Kompositionen ihres Mannes steckt. Apropos Schauspieler: In einer Nebenrolle als Julies Mutter ist Emmanuelle Riva, die wir ja aus HIROSHIMA MON AMOUR kennen, zu sehen.

Die Farbe Blau spielt im Film eine prominente Rolle und taucht immer wieder auf, sei es als Farbe eines bestimmten Gegenstandes oder dass eine Kulisse in Blau getaucht wird. Auch sonst herrscht eine kräftige Farbgebung vor, was dem Film einen knalligen, sehr reizvollen Look gibt (verstärkt noch durch die teilweise eingesetzten Bildverfremdungen z.B. durch Linsen oder extremen Nahaufnahmen). Der gelungenen Kameraarbeit steht ein hervorragender, klassisch orchestraler Soundtrack von Zbigniew Preisner zur Seite; da begeistert mich insbesondere das tottraurige Stück, das im Film dem fiktiven holländischen Komponisten Van den Budenmayer zugeschrieben wird (die Figur des Budenmayer taucht auch in anderen Kieslowski-Filmen auf) und als musikalisches Leitmotiv immer wieder auftaucht.

Etwas unglücklich hingegen finde ich die Dramaturgie des Streifens. Probleme habe ich vor allem mit dem Mittelteil, der aus einer Aneinanderreihung mehr oder weniger unzusammenhängender Einzelepisoden besteht: Einmal wird irgendein Kerl vor Julies Wohnung verprügelt (während sie nicht das Geringste dagegen unternimmt; zumindest die Polizei rufen hätte sie können), ein anderes Mal haben wir das erwähnte Ereignis mit den Mäusen, dann lernt Julie eine Prostituierte kennen, die im gleichen Haus wohnt (und nur in diesem wohnen bleiben kann, weil Julie sich weigert, eine Beschwerde der Anwohner zu unterzeichnen) und sie um Hilfe bittet, als ihr Vater in der Peepshow, in welcher sie auftritt, auftaucht und sie (also die Prostituierte) sich bei irgendwem ausheulen muss. An der Stelle kriegt der Film etwas von einer Soap Opera, was sich fortsetzt, als Julie die einstige Geliebte ihres Mannes kennen lernt, die auch noch von diesem schwanger ist. Oh, und da gibt’s auch noch irgendeinen Strassenmusikanten. Wie auch immer: Der Film stolpert also über weite Strecken einfach vor sich hin, ohne wirklich weiterzukommen. Da hätte man etwas kürzen können (so werden die 100 Minuten Laufzeit doch etwas lang).

Alles in allem krankt DREI FARBEN: BLAU etwas an dem etwas unzugänglichen Hauptcharakter und dem zu breit ausgewalzten Mittelteil, kann ansonsten aber durchaus überzeugen, vor allem dank der Kameraarbeit und der musikalischen Untermalung.

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