Die Leiden des jungen Godard
Jede Generation muss sich gegen Vorwürfe der Älteren und „Schlaueren“ wehren bzw. diese zumindest ertragen. Die Jugendlichen seien ungebildet, stumpf, uninteressiert, oberflächlich, dümmlich, vor allem politisch kaum involviert und interessiert. Ob an solchen Einschätzungen wirklich etwas dran ist?! Teils ja, teils nein. Wer weiß. Jedenfalls gibt’s das heutzutage genauso wie damals in den 1960ern als Jean-Luc Godard der aufstrebende Star am Regiehimmel war. Egal ob in Übersee, in der Bundesrepublik oder eben in Frankreich. Und das nahm Godard für seinen „Masculin Feminin“ gerne auf und rückte die Jugend in unterschiedliche Lichter und gesellschaftspolitische Richtungen - in dem er vignettenhaft einen jungen Mann sich verknallen lässt und ihn sich grob gesagt zwischen Coca-Cola und Sozialismus entscheiden lässt…
Zwischen Hollywood und Marx
„Masculin Feminin“ ist höchst politisch, höchst fragmentarisch und höchst Godard. Interviews, Collagen, Ellipsen, Sequenzen. Aber das klingt erstmal deutlich „schlimmer“ bzw. anspruchsvoller und theoretischer als es sich dann in Wahrheit entpuppt. Denn „Masculin Feminin“ ist ebenso jugendlich und energisch, verliebt und tolerant, offen und fortschrittlich, diplomatisch und intuitiv. Hübsch und stilvoll eh ohne Ende. Sodass das Endergebnis dann doch viel, viel saftiger und flüssiger die Kehle eines jeden Filmfans heruntergeht als man meinen könnte. Das ist rebellisch, das ist analytisch, das ist dennoch nie boshaft, predigend oder rechthaberisch. Ganz im Gegenteil. Godard zeigt hier schon enorme Neutralität und Reife - dabei machte er zu diesem Zeitpunkt noch nichtmal 10 Jahre eigene Filme! Aber seine Filmkritiker- und Schriftstellererfahrung hilft ihm, Dinge von verschiedenen Richtungen und Winkeln zu betrachten. Eine exzellente Fähigkeit, die so vielen Regisseuren (aber auch Menschen allgemein und sogar Politikern!) heute gefährlich abgeht. „Masculin Feminin“ hat mich jedoch mit seiner Energie und Aura in keiner Minute hängenlassen oder gelangweilt. Und er wirkt momentan wie gesagt akuter und aktueller und lehrreicher denn je.
Wird die Menschheit wirklich dummer? Oder nur radikaler?
Fazit: „Masculin Feminin“ ist in vielen seiner Momente ein stilsicherer, geistreicher, lustiger und jugendlicher Geniestreich - und er funktioniert trotz (/gerade wegen?!) seiner Sprunghaftigkeit, seiner künstlerischen Ader und seiner fragmentierten Erzählweise. Eine famose und fordernde Momentaufnahme des hin- und hergerissen Paris der 1960er. Zwischen Pop und Politik, zwischen Popos und Paraden, zwischen Paroli und Programm.