BESTIALITA ist kein einfacher Film.
Obwohl er vordergründig als Sexploitation-Schocker gesehen werden könnte (und sicher auch eindeutige Elemente dieses Genres enthält) dürfte er im Gesamtkontext deutlich vielschichtiger sein. Wer nur auf Schauwerte aus ist wird deshalb ziemlich enttäuscht werden. Leider lassen sich auch in den (überwiegend kurzen) Rezensionen in der imdb keine weiterführenden Hinweise oder Erkenntnisse finden. Zur formal-inhaltlichen Beschreibung sei auf die Texte von Christian Ade und brainbug1602 verwiesen, die ja auch beide der Vermutung nachgehen, daß hinter dem Film mehr stecken könnte, als es sich bei einer einmaligen oder oberflächigen Sichtung erschließt. Im Nachfolgenden möchte ich mich deshalb in einer tiefgreifenderen Analyse versuchen.
Dazu habe ich den Film zweimal geschaut und zwar in einer Version mit englischen Untertiteln. Ohne diese dürfte es kaum möglich sein dem Inhalt der Geschichte dezidiert zu folgen, es sei denn man ist des Italienischen mächtig, denn bisher ist der Streifen offiziell nur in Form einer italienischen DVD ohne Untertitel erhältlich.
Der Film schockiert zunächst einmal über die Eröffnungsszene durch das Tabuthema Sodomie (resp. Zoophilie, wie es wissenschaftlich korrekt heißt). Der weitere Verlauf gestaltet sich aber deutlich weniger provokant bzw. transgressiv. Er erscheint in Teilen sogar etwas surreal. Vielleicht handelt es sich eher um eine Art Traumerlebnis. Darauf könnte die zweite Szene hindeuten, in der man den Hauptprotagonisten Paul sinnierend auf einen spiralförmig gemusterten Teppich starren sieht (quasi hypnotisiert). Dann folgt die Geschichte um das reifere, voneinander entfremdete Ehepaar, welches bei seinem Urlaub auf der Mittelmeerinsel auf die geheimnisvolle junge Frau mit ihrem Hund trifft. In der letzten Szene wird wieder auf den gedankenverlorenen Paul zurückgegangen, dem ein Arzt schließlich eine unheilvolle Nachricht vermittelt.
Diese Struktur eines möglichen Traumerlebnisses führt mich zu der Vermutung, daß sich die Story von Luigi Montefiori (alias George Eastman) womöglich an der psychonalytischen These Sigmund Freuds orientiert hatte und darin eingebettet das Mensch-Tier-Verhältnis hinsichtlich seines moralischen Kodex unter die Lupe nimmt. Ich möchte betonen, daß meine nachfolgenden Gedanken rein hypothetischer Natur sind. Ich bin bei weitem kein geschulter Psychoanalytiker, sondern habe mir lediglich einige Grundkenntnisse angelesen.
Die Zoophilie ist ein in der menschlichen Kulturgeschichte Jahrhunderte oder gar Jahrtausende altes bekanntes Phänomen und wird allgemein als Tabu bewertet. Dies gewiss nicht zu Unrecht, denn abgesehen von ästhetischen oder hygienischen Gesichtspunkten, beruht sie in den meisten Fällen de facto auf einer unilateralen Machtkonstellation, bei der das Tier - wie so oft - als Ausbeutungsobjekt herhalten muß. Denn die Kreatur ist ganz ihren Affekten und Trieben unterlegen. Sie verfügt im Gegensatz zum Menschen über keine Möglichkeiten der Kontrolle darüber. Deshalb kann sie auch von diesem entsprechend manipuliert werden.
Im Gegensatz dazu steht das Strukturmodell der menschlichen Psyche, in dem das ICH die Ratio, also den Verstand repräsentiert, welches die Kontrolle über das ES, den Affekt (bei Freud v.a. die Libido) ausübt. Zudem ist der Mensch in der Lage, Normen und Gesetze (das sog. ÜBER-ICH) zu postulieren, an die sich die Mitglieder einer bestimmten Kultur resp. Gesellschaft zu richten haben, um ein soziales Miteinander zu gewährleisten.
Auch die Zoophilie unterliegt in den (meisten) menschlichen Kulturen der Kontrolle von ICH und ÜBER-ICH. Wird sie überschritten erfolgt ein Verfall in die reine Triebhaftigkeit, in das Animalische. Der Mensch wird quasi zum Tier. Daraus könnte sich die Frage ableiten, wer dann die eigentliche Bestie ist?
In Bezug auf die Eröffnungsszene würde sich diese Frage erschließen, denn hier mißbraucht die Dame des Hauses (und Mutter des Mädchens, welches Zeugin der Szene wird) die Triebhaftigkeit des Hundes, um die eigene (animalische), zu befriedigen.
Auch das Ehepaar verkörpert ein Spiegelbild Freud'scher Psychoanalytik. ER symbolisiert (unter Verlust der Libido) das ICH, wohingegen SIE in ihrem sexuellen Verlangen für das ES steht.
Eine weiterer interessanter Aspekt ist der Subplot um die „upper class“ Gesellschaft von weiteren Urlaubern oder Bewohnern auf der Insel. Man fragt sich zunächst, was ihr skurriles Gebaren soll. Sie weisen allerlei Merkmale von Dekadenz bzw. Anleihen an die sogenannten „Sieben Todsünden“ wie bspw. Hochmut, Völlerei oder Wollust auf. Sie könnten deshalb ebenfalls für das ES stehen. Denn auf den von ihnen initiierten Partys wird das Ehepaar sichtlich in Versuchung geführt; hier können aber beide (noch) „problemlos“ standhalten bzw. scheinen sogar eine gewisse Aversion gegenüber den Anderen zu empfinden.
Ihr Verhalten ändert sich jedoch beim Zusammentreffen mit dem geheimnisvollen Mädchen, das zunächst Paul und dann auch seine Frau Yvette in den Bann und schließlich in eine ménage à trois zieht. Die Libido hat die Kontrolle übernommen. Pauls ICH ist aufgelöst, Yvettes ES hat ihre Erfüllung gefunden.
Im dramatischen Höhepunkt gegen Ende des Films offenbart sich dann, daß das Mädchen keinesfalls die vermeintliche Unschuld ist, sondern das personifizierte ES darstellt. In Anlehnung an die alte Bauernweisheit „Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ könnte man auch sagen „Der Baum steht nicht weit vom Apfel“. Und um den ganzen Reigen noch zu vervollständigen gibt es zudem eine weitere geheimnisumwitterte Person in Form eines grantigen Fischers, der schlußendlich die Rolle des ICHS vertritt (oder sogar ÜBER-ICHS) und damit „die Ordnung“ wieder herstellt. Für das Ehepaar wird der Ausflug in die Sphären des ES jedoch fatale Folgen mit sich bringen...
Als Fazit könnte man konstatieren, daß es bei BESTIALITA um die Folgen einer vollendeten Form des psychoanalytischen ES geht, wenn also der Mensch seine Humanität gegen eine pervertierte Form der Animalität eintauscht. Es ist somit weniger ein Film über die Bestialität des Tieres, sondern vielmehr um die Abgründe der menschlichen Psyche. Oder anders ausgedrückt: Um die Bestie im Menschen.
Zum Abschluß noch etwas interessante Trivia (entnommen aus der imdb):
- Bei dem Dobermann soll es sich um den eigenen Hund von George Eastman gehandelt haben.
- Für die Musik zeichnete Coriolani Gori verantwortlich. Bei der prägnanten Hauptmelodie handelt es sich jedoch um „The Pearl Fishers“, komponiert von Georges Bizet und dargeboten vom James Last Orchester!