In der Reihe "Prequels, auf die die Welt mit angehaltenem Atem gewartet hat" findet sich dieses obskure Kleinod aus den frühen Siebzigern. Während heutzutage alles und jedes "remade" wird, so hatte man damals noch den Einfall, zu bekannten Geschichten/Verfilmungen einfach eine Vorgeschichte zu erfinden. Im gegebenen Fall zu einem Klassiker der angloamerikanischen Literatur der Jahrhundertwende, nämlich "The Turn of the Screw" ("Die Daumenschraube") von Henry James, der, wie Fans des Geisterfilms wissen, schon von Jack Clayton mit Deborah Kerr als Miss Jessel in den frühen Sechzigern unter dem Titel "The Innocents" ("Schloß des Schreckens") in jeder Hinsicht phantastisch verfilmt wurde, welcher aber skandalöserweise zum Zeit der Abfassung dieser Rezension noch keine DVD-Veröffentlichung erfahren hat. Dafür gibt es jetzt die noch viel obskurere "Vorgeschichte" von Michael Winner, der ja eigentlich eher als wenig zimperlicher Action-Regisseur bekannt geworden ist, nicht zuletzt durch seine Bronson-Vehikel "Chatos Land" oder die "Death Wish"-Serie, und der auch hier bisweilen vom "karrumms!"-Bedürfnis übermannt wird.
In James' Kurzgeschichte (oder besser: Novelle, denn wirklich kurz ist sie nicht), ensteht die Spannung dadurch, daß eine viktorianisch prüde Gouvernante zu zwei verwaisten Geschwistern aus gutem Haus geschickt und vor Ort mit der Tatsache konfrontiert wird, daß sie mitnichten in strenge und anständige Verhältnisse kommt, sondern daß der ehemalige Gärtner mit ihrer Vorgängerin ein heftiges SM-Verhältnis hatte, wobei man sich keine große Mühe gab, dieses vor den restlichen Hausbewohnern - u. a. eben den Kindern - zu verbergen. Beide kamen auf merkwürdige Weise ums Leben und es bleibt bewußt unklar, inwieweit die Kinder dabei beteiligt gewesen sein könnten. Quint, der Gärtner, scheint eine animalisch anziehende Figur in seinem gänzlich unviktorianischen Libertinismus zu sein, selbst post mortem, denn die neue Gouvernante, Miss Giddens, beginnt sich in...ähm!...schweißtreibenden Träumen zu wälzen und vermeint die Liebessessions in staubigen, sonst versperrten Zimmern zu hören. Immer wieder wispern die Kinder untereinander. Welche grauenvollen Geheimnisse teilen sie? Daß das Ganze natürlich zur Katastrophe führen muß, ist klar, Sex = Untergang.
James, wie auch sein kongenialer Verfilmer Clayton, halten penibelst die Waage zwischen möglicher Geisterscheinung und möglichen Sinnesverwirrungen einer hysterischen Gouvernante, sodaß es dem/der Rezipienten/in überlassen bleibt, für welche Sichtweise er/sie sich entscheidet. In jedem Fall bleibt die wichtigste Erzählung von James neben Daisy Miller eine der besten Studien repressiver Sexualität im viktorianischen Zeitalter.
Diese Voraussetzungen lagen Michael Hastings Drehbuch also zugrunde und es müßte eigentlich schon ersichtlich sein, daß die gesamte Subtilität von "The Turn of the Screw" natürlich dem genauen Gegenteil, nämlich großer Exploitation, weichen mußte: 1. ist die SM-Schiene einfach zu gut, um sie nicht auszuwalzen, 2. kommt man auch gar nicht darum herum, denn die im wahrsten Sinne des Wortes Verstrickten leben ja noch, also fällt das übernatürliche Element weg und 3. hatte man sehr konkrete Vorgaben, wie sich die Geschichte zu entwickeln hätte, also blieb nicht allzuviel Spielraum für Improvisation, denn man hat sich ja vorgenommen genau das zu verfilmen, worüber sich die Hauptgeschichte nur in dunklen Andeutungen ergeht. Daß dieses, schlimmste Befürchtungen weckende Gebräu trotzdem funktioniert, soll im Folgenden erläutert werden.
Zuallererst, und das fällt einem schon beim Betrachten des Covers oder Kinoplakats ins Auge, ist da der Hauptdarsteller Marlon Brando, dessen Name 1972 wohl noch mehr Klang hatte als einige weitere solcher Filme später. Er darf als Quint einen bizarren Dialekt faken, bei dem man nicht so genau weiß, ob das jetzt irisches oder Midlandenglisch sein soll. Jedenfalls übt er schon gewaltig für "The Godfather", denn sein Genuschel ist kaum zu verstehen. Was auch weiter nichts macht, denn er muß ohnehin nur den svengalihaften, meist betrunkenen Satan mimen, der nicht nur die weibliche Hauptrolle, Stephanie Beacham als Miss Jessel, auf eine Art in Bondage werfen darf, die selbst im in dieser Hinsicht kaum zu schlagenden Japan durchgehen würde, sondern auch die noch ungefestigten moralischen Grundsätze in den Kindern korrumpieren. Insbesondere der junge Miles ist von dessen "Erziehung" sehr angetan und macht so ziemlich jeden Blödsinn mit, denn der Gärtner inszeniert.
Brando ist für einige der größten Zwerchfellfetzer verantwortlich. Der Höhepunkt ist ein gut 5-minütiges Solo, in dem er erzählt, wie sein Vater einem Zigeuner eine Schindmähre verkaufen wollte und diese zu dem Behuf ein wenig "frisiert". Man hat den Eindruck, der Schauspieler war sturzbesoffen als diese Szene gedreht wurde und wenn man sich Brandos tragische Biographie so ansieht, so mag die Annahme vielleicht gar nicht so daneben liegen. Wie eine Mischung aus Klaus Kinskis desinteressierter Szenefresserei in vielen italienischen Filmproduktionen und Jack Nicholsons Gesichtseinsatz kommt einem Brandos Performance vor und es scheint, als ob der Film damit auch schon seinen Hauptkostenfaktor abgehakt hat.
Beacham hingegen geht nur bedingt als "Beauty" zum "Beast" durch, obwohl ihre Oberweite - mehr gibts leider nicht - durchaus ansehnlich ist (hach, die Zeiten als noch alles echt war!), aber sie kämpft sich wacker durch und wenn auch nicht weiter erinnerungswert, so kann sie immerhin einen Superlativ für sich verbuchen: sie "spielt" eine der besten Frauenleichen, die ich jemals in einem Film gesehen habe - und das komplett ohne prosthetische Make-up Effekte, denn sie ertrinkt.
Schon besser, zumindest was die Lachmuskulatur betrifft, ist da Thora Hird als Mrs. Grose, die Statthalterin des legalen Vormunds der Kinder, der mit den ganzen Sauereien sonst nichts zu tun haben will (der ist ja auch nicht blöd, der Onkel), die den englischen Hausdrachen mimen darf und das so beängstigend authentisch, daß man glaubt, einen tatsächlichen Avatar aus dem England der Jahrhundertwende vor sich zu haben. Ihren Haß auf Quint und die Mischung aus Mitleid und Ekel Miss Jessel gegenüber kann sie völlig überzeugend vermitteln und sonst trippelt sie geschäftig mit ihrem Kerkermeister-Schlüsselbund und einem beunruhigenden Staubwedel durchs Haus und läßt sich von den Kindern verarschen.
Diese hinwiederum, dargestellt von den Nonames Verna Harvey und Christopher Ellis, erinnern irgendwie an die Stooges, so eingespielt clownesk benehmen sie sich. Immerhin sind die Kinder im Original auch als unergründliche Gestalten konzipiert, für die die Verstrickungen der Erwachsenen nur ein weiteres "lustiges" Spiel sind. So gesehen ist die Leistung durchaus adäquat, wenngleich sie auch für lachtränenauslösende Momente sorgen, wie z. B. die Imitation der Fesselspielchen ihrer "Erzieher": Nicht begreifend, was sexuelle Erregung eigentlich sein soll, ahmen sie lediglich die komplexen Vertäuungen nach und kommentieren dies aus der Sicht der Noch-nicht-Geschlechtsreifen, was an sich schon schwachsinnig genug ist angesichts des wirklichen Alters der Schauspieler. Alles aus war dann allerdings ab dem Moment, als Mrs. Grose mit großem Entsetzen in der Tür steht, während Miles gerade über dem Körper der am Bett liegenden Schwester Flora kniet (sie ist nur halbentkleidet), und eine sofortige Erklärung fordert, was hier vor sich ginge, woraufhin der junge Mann mit dem Stolz eines gerade ein Gedicht korrekt rezitiert habenden Pennälers antwortet: "We, Mrs. Grose, have been having...sex!"
Nun, einige weitere solcher Szenen und Mrs. Grose hat genug, will den Onkel der Kinder informieren und die zwei Lustmolche (also, die erwachsenen) vom Landsitz entfernen lassen. Dies sehen die Kinder, die ihrer zwei lebenden Spielzeuge drohen verlustig zu gehen, klarerweise als Gefahr und interpretieren Quints alles andere als kanonisch-christliche Interpretation des Lebens nach dem Tod ("see, the dead are going nowhere, they have nowhere to go") auf ihre Weise, indem sie sie Quint und Miss Jessel "bleiben machen". Denn auch ihre Eltern wurden auf dem Familiensitz begraben, nachdem sie bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Quint bekommt einen bemerkenswerten Sportbogenpfeil mitten in den Scheitel, was angesichts des Bogens und der Tatsache, daß es sich nicht um einen Stahlpfeil handelt, ein bißchen auf Winners im Film vermutlich zu stark praktizierte Zurückhaltung verweist - es mußte am Ende einfach raus! Jessel hingegen, sie kann nicht schwimmen (anständige Frauen zogen damals ja auch keine Badeanzüge an), ersäuft mittels eines gekonnt leckgeschlagenen Boots.
All meine Ausführungen weisen auf eine Trash-Granate hin, was zu einem Teil auch stimmt, zum anderen aber hat der Film zugleich eine Ebene, auf der die Intention des Gezeigten eine gewisse Wirkung hat: die Sexszenen erreichen, trotz weitgehender Zurückhaltung mit Blick auf die Freigabe, durchaus Intensität, die "Spiele" der Kinder werden zunehmend unangenehmer, die Musik schafft es zu den richtigen Momenten Dramatik zu erzeugen und der Kameraarbeit von Robert Painter gelingt es, die herbstliche englische Landatmosphäre in all ihren Facetten von Nebel bis roter Nachmittagssonne stimmungsvoll einzufangen. Beim zweiten Hinsehen wird auch offenbar, daß viele der vermeintlich mißlungenen Szenen mit einer gewissen Absicht karikiert wurden, also ein gerüttelt Maß Selbstironie am Werke war, was die sehr entspannte Inszenierung erklärt. Selbst der Originaltitel "The Nightcomers" hat mit seinen sexuellen Implikationen einen Drall in die Richtung.
Wie es dieses obskure Teil allerdings auf DVD geschafft hat, noch dazu in weitgehend gutem Mastering, entzieht sich nun wirklich meiner Kenntnis. Da mich "The Innocents" und damit im Zusammenhang Henry James' Story schon sehr früh begeisterten, bin ich relativ bald auf den Film gestoßen, es hat aber dennoch einige Jahre gebraucht, bis ich die englische Videoveröffentlichung ergattern konnte, womit ich sagen will, daß sich der kommerzielle Erfolg, trotz "dem" großen Namen, wohl in eher stärkeren Grenzen gehalten haben muß. Zudem kam "Das Loch in der Tür" (und nicht nur dort, kann ich euch sagen!) auf dem Kinowelt-Sublabel Arthaus heraus, wo man ihn nun wirklich nicht vermuten würde, und der Print ist offenbar ein amerikanischer, wie an der "R"-Ratingcard am Ende ersichtlich. Vielleicht hat man Avco Embassy Konkursmasse über Canal+ im Päckchen gekauft und mußte nun irgendwas damit tun, wer wills wissen. Trotzdem ist es bizarr, daß der wesentlich bessere Film, "The Innocents", der noch dazu einer großen Firma, 20th Century Fox, gehört, weiterhin auf eine entsprechende Vermarktung warten muß, während diesem Teil hier die Ehre bereits zuteil wurde. Extras gibt es erwartungsgemäß nicht viel, aber immerhin einen Beuschelreißer mehr: einen kurzen Teaser, der mit der Tagline "Brando. Brutal. Beautiful." wirbt. Das war dann der Abschlußwieherer, der meine Frau leider aus dem Schlaf gerissen hat.