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Das Porträt einer dysfunktionalen gutbürgerlichen Familie: Als sich die Ehepartner mit ihren jeweiligen Geliebten auf ihrer gemeinsamen Sommerresidenz begegnen, scheinen sie anfangs noch recht gut mit der Entdeckung leben zu können. Doch die Ankunft der traumatisierten, gehbehinderten und auf Rache sinnenden Tochter lässt die Lage zusehends eskalieren.

Mit einer Riege hochkarätiger deutscher Schauspieler, einem begrenzten Setting und starken Dialogen entwickelt Deutschlands Kult-Regisseur Rainer Werner Fassbinder einen intensiven Psycho-Reigen, der die seelischen Verwerfungen seiner Figuren Stück für Stück entblättert und sich heimlich, still und leise in ein bitterböses Finale hineinsteigert.

Wie so oft bei Fassbinder ist das Gesamtergebnis dabei eine gelungene Mischung aus allen verwendeten filmischen Elementen: Die Darsteller machen ihre Sache superb - auch wenn sie anfangs etwas steif und irritierend theatralisch agieren, entwickeln sie mit der Zeit eine immer intensiver werdende Charakterisierung ihrer jeweiligen Rollen. Vor allem in den Dialogduellen, in denen vieles nur angedeutet oder metaphorisch umrissen wird, machen sich die jahrelang unterdrückten Abneigungen und Empfindungen immer deutlicher. Das sehr natürliche Auftreten der Akteure, das sich mit laufendem Film immer mehr vom Theatralischen entfernt, verstärkt den emotional mitreißenden Eindruck noch, sodass man als Zuschauer irgendwann nur noch gebannt den minimalistischen Handlungen der Figuren folgt.

Diese fesselnde Atmosphäre hängt auch mit der strengen formalen Inszenierung zusammen. Fassbinder und seine beiden Kameramänner (einer davon der spätere Hollywood-Star Michael Ballhaus) verstehen es gekonnt, die einfachen Settings, die eine herrlich biedere deutsche 70er-Jahre-Architektur wiedergeben, mit simplen, aber originellen Kameraeinstellungen in faszinierende Hintergründe für das zunehmend psychisch labile Handeln der Figuren zu verwandeln. Die Kamera selbst erweist sich dabei als meisterhaftes, subtiles Element - die beinahe böswillige Beiläufigkeit, mit der sie in einzelne Szenen hinein und wieder aus ihnen heraus fährt, verleiht dem an sich recht starren Film eine große bildhafte Dynamik, ohne dass es brutaler Schnitte oder treibendem Soundtrack bedürfte. Ganz im Gegenteil wird die Musik nur punktuell, dann auch relativ leise und hintergründig eingesetzt, und verleiht so einzelnen Szenen ungeheure Intensität.

Das alles wird unterlegt mit für Fassbinder typischen Dialogen, die immer wieder vom natürlich-alltäglichen Geplapper in beinahe surreale metaphorische Ausbrüche kippen. Wie die Figuren hier mithilfe der Sprache einander umkreisen, sich immer näher ihren seelischen Verheerungen nähern, ohne diese je direkt zu bennen, ist ein Meisterstück subtiler Dialogkunst. Die psychische Eskalation geschieht leise und doch ungeheuer nachdrücklich, die bösen Psycho-Spielchen, denen sich die Handelnden gegenseitig aussetzen, fesseln ungemein, bis hin zum bitteren Finale, das immerhin nicht ganz so drastisch endet wie manch anderer Fassbinder-Film. Ein kleines bisschen Hoffnung auf eine Gesinnungsänderung, auf einen Ausweg aus der selbst auferlegten psychischen Finsternis scheint es hier zu geben, wenn auch nur angedeutet.

„Chinesisches Roulette" gehört zu den intensivsten, kammerspielartigen Psycho-Dramen des genialen Regisseurs, das mit wenigen Kulissen, einer Handvoll Darsteller und brillanten Dialogen für ein Höchstmaß an Spannung und dichter Atmosphäre zu sorgen vermag. Eher als Nebenwerk angesehen, sollte es doch von jedem Fassbinder-Apologeten unbedingt gesehen werden.

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