Review

Eine Kamerafahrt folgt einem Eisenbahngleis und steuert geradewegs auf ein flaches, in die Breite gezogenes, symmetrisches Gebäude zu. Sein Zentrum sowie Fluchtpunkt des Gleises bildet ein Turm, er fungiert gleichzeitig als Tor. Es ist das Tor, durch das unzählige Menschen gefahren, aber nicht wieder zurückgekommen sind. Es ist das Tor von Auschwitz.

Diese authentischen Bilder des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz sind die letzten und vielleicht auch intensivsten dieses Filmes, denn der Off-Kommentar beschreibt dazu begleitend einige Methoden und Grundsätze des Lagers. Die Worte stammen aus den Memoiren des Lagerkommandanten Rudolf Höß. Dieser ist es auch, der hier im Mittelpunkt steht, allerdings den Namen Franz Lang trägt. "Aus einem deutschen Leben" ist ein Film über sein Leben - seine Stationen, seinen Charakter. Durch einzelne Episoden, in denen vorangehend auf die jeweilige Zeit und Situation hingewiesen wird, verfolgen wir seinen Werdegang vom Soldaten bis hin zum Lagerkommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz. Für das Filmverständnis sei zunächst erwähnt: Ohne ein geringes Maß an historischem Hintergrundwissen könnte es schwer werden, die Bedeutung von Parteien, Charakteren und Handlungen vollends zu verstehen.

Die Einblicke in das Leben des Franz Lang beginnen mit einem disziplinierten, kriegswilligen jungen Mann. Wir erfahren nicht, wer ihn dazu motivierte, doch Langs unbedingter Wunsch ist es, an der Front im Ersten Weltkrieg zu kämpfen. Diese Heißblütigkeit, seinem Vaterland dienen zu wollen, bildet den Grundstein für seine späteren Taten und Entscheidungen, hinter denen eigentlich stets der Grundsatz "Für das Vaterland!" steht. Da wir nicht über Langs Jugend aufgeklärt werden, bleiben nur die aus dem historischen Kontext zuziehenden Spekulationen, dass dieser Grundsatz ihm vermutlich durch eine preußisch-tugendhafte Erziehung implementiert wurde.

Nach dem Krieg findet er Arbeit, macht sich aufgrund seiner übersteigerten Tüchtigkeit paradoxerweise unbeliebt und wird entlassen. Sein Weg führt ihn anschließend in ein Freikorps. Dort ist seine national gesinnte Natur gut aufgehoben und führt vorwiegend den Kampf gegen den Kommunismus, bei dem auch einmal ein Mitglied der KPD kompromisslos exekutiert wird. Er tritt in die NSDAP ein und macht später Bekanntschaft mit Heinrich Himmler, einem der schlimmsten Nationalsozialisten, der hier noch in viel zu positives Licht gerückt wird. Der Reichsführer der Schutzstaffel ernennt Lang zum Lagerkommandanten des Konzentrationslagers Auschwitz. Erst ein Jahr später erhält er den Auftrag, es in ein Vernichtungslager umzufunktionieren.

Egal in welcher Zeitepoche wir uns befinden, "Aus einem deutschen Leben" verzichtet konsequent auf die Erläuterung gesellschaftlicher Umstände oder historischer Ereignisse. Kriegsbilder gibt es nur aus dem Ersten Weltkrieg, auf technischer Ebene sind sie kaum der Rede wert; das Grauen des Schlachtfeldes wird dabei nicht vermittelt, war aber auch gar nicht Absicht des Regisseurs Theodor Kotulla. Was leider zugunsten der ausführlichen Fokussierung auf den Hauptprotagonisten ebenso vernachlässigt wurde und wirklich zu vermissen ist, ist die Emotionalisierung des Holocaust-Traumas.

Häftlinge sind farblos und umrisshaft; das Grauen des Lagers bleibt außerhalb des Sichtfeldes. Nüchtern und ohne jeglichen Einsatz musikalischer Mittel werden einem die wenigen sich mit den Gefangenen befassenden Bilder vorgesetzt. Die Atmosphäre wirkt deshalb aber nicht unbedingt unterkühlt, was passend wäre, sondern schlicht und ergreifend staubtrocken. Viel besser gelang es, die teils sehr starken Dialoge mit einer erschreckenden Kühle zu infizieren. Sie spielen bewusst mit der Kaltherzigkeit und Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus - etwa wenn Ärger über die noch zu "uneffektiv" arbeitende Vernichtung geäußert wird.

Die charakterliche Analyse des Franz Lang ist sehr ausführlich. Sein Universum dreht sich ausschließlich um die Erfüllung der von der Obrigkeit gestellten Befehle. Für Emotionen ist kein Platz. Franz Lang ist eine Marionette. Stets gehorchend, nie hinterfragend. Gewissensbisse sind ein Fremdwort. Am Ende hat er viele Menschen nicht in den Tod geschickt, weil er von der ideologischen Rassenlehre hypnotisiert war, sondern weil er lediglich stur nach höchster Disziplin, neutral und nie handgreiflich werdend seine Befehle ausführte. Dies ist jedenfalls der Franz Lang, wie Götz George ihn verkörpert. Tatsächlich soll Rudolf Höß eine knallharte, skrupellose Natur, die durchaus Gefallen an ihrer Arbeit fand, gewesen sein. Dies bleibt aber mehr spekulativ.

Am Ende ist "Aus einem deutschen Leben" ein gelungener, aber nicht gänzlich aus seinem Potenzial schöpfender Film über ein historisch sehr interessantes deutsches Leben. Ein Film über einen Nationalsozialisten, der eigentlich keiner war. Ein Film über Jemanden, der im Dienste des Todes stand.

Details
Ähnliche Filme