Review

Wie aus heiterem Himmel bricht das Unheil über den sechzehnjährigen Bobby Rullo (Danny Lopes) herein, der nach dem mysteriösen Tod seiner Mutter Mary (Christie Sanford) im katholischen Kloster St. Anthony's aufwächst. Erst stirbt eine Nonne bei einem höchst bizarren, von ihm verursachten Unfall (der Propeller eines Modellflugzeuges fräst sich in ihr Gesicht), dann sorgen dämonische Erscheinungen, beunruhigende Alpträume und seltsame Vorkommnisse - ein Schulkamerad wird z. B. im wahrsten Sinne des Wortes vor seinen Augen von der Erde verschluckt - für weiteren Schrecken. Als eine zweite Nonne von einer sich verselbständigenden Schere niedergemetzelt wird, eilen Bobbys Vater (Salvatore Paul Piro) und seine Großmutter Matilda (Irma St. Paule) dem verängstigten Jungen zu Hilfe. Doch auch sie stehen dem sich stetig steigernden Grauen ohnmächtig gegenüber.

Mit Desecration legte der damals dreißigjährige Dante Tomaselli ein beachtliches, in seinen besten Momenten fast schon visionäres Spielfilmdebüt vor, das trotz seiner Herkunft von einem zutiefst europäischen Flair durchzogen ist. Der gänzlich in New Jersey für wenig Geld ($ 150.000) entstandene Independent-Schocker lebt vor allem von seiner unheilschwangeren Atmosphäre, die sich im Laufe des Filmes immerzu verdichtet und den Zuseher mehr und mehr verunsichert. Wie Quentin Tarantino bedient sich auch Tomaselli recht frei aus der Schatzkiste der Filmgeschichte und bastelt aus den alten Versatzstücken etwas gänzlich Neues und überraschend Originelles.

Die mannigfaltigen, kaum zu übersehenden Einflüsse reichen von Dario Argento (Suspiria) bis Jean Rollin (Lèvres de Sang), wobei hin und wieder auch das Wirken amerikanischer Regisseure zwischen den Bildern hervorlugt. Filmemacher wie Sam Raimi (The Evil Dead), Don Coscarelli (Phantasm), David Lynch (Eraserhead) oder Alfred Sole (Communion aka Alice Sweet Alice) kommen einem da unweigerlich in den Sinn (von letzterem ist Tomaselli übrigens der Cousin). Allerdings muß man anmerken, daß Tomaselli nicht so offensichtlich zitiert wie Tarantino; man hat fast den Eindruck, daß sich seine Idole eher unbewußt in sein Werk schleichen. Daß es ihm gelingt, dem Film trotz der verschiedenen Zutaten seinen eigenen Stempel aufzudrücken, ist ihm hoch anzurechnen und zeugt von seinem beträchtlichen Talent.

In einer schönen Szene des Filmes baut Matilda ein kleines Puzzle zusammen, und das sich ergebende Bild sieht recht harmlos und unspektakulär aus. Doch als sie die letzten beiden Teile einsetzt, kehrt sich der Eindruck ins Gegenteil um. Das Bild ist plötzlich bedrohlich, unheimlich, schaurig. Desecration ist ebenfalls eine Art Puzzle, welches unheimliche Ausmaße annimmt. Tomaselli wirft dem Zuschauer viele Teile hin, und es liegt an ihm, ob er willens ist, die Stücke zusammenzufügen. Der Unterschied ist aber, daß selbst nach getaner Arbeit das Gesamtbild bestenfalls verschwommen wahrnehmbar ist. Ist zu Beginn der rote Handlungsfaden noch relativ klar ersichtlich (so dünn er auch sein mag), so verliert sich dieser nach und nach in der surrealen Alptraumwelt, die das Geschehen bald zu überlagern bzw. verdrängen beginnt. Man stürzt quasi kopfüber in einen halluzinatorischen, mit viel Symbolik aufgeladenen Fiebertraum, und die Grenzen zwischen Realität und Traumwelt verschwimmen dabei immer mehr.

Als Zuschauer wird man eingelullt und befindet sich beinahe in einer Art Trancezustand, was durch das teils theatralische Spiel der Darsteller, die gekünstelt wirkenden Dialoge und die entschleunigte Erzählweise verstärkt wird. Tomaselli selbst beschreibt das Dargebotene als "being in a psychedelic fun house", wobei sich die Ereignisse den Gesetzen der Logik spielerisch entziehen. Der Regisseur macht auch keinen Hehl daraus, daß ihm Form, Struktur und Design des Filmes wichtiger sind als eine lineare, nachvollziehbare Handlung. So ist es wenig verwunderlich, daß Desecration einer abenteuerlichen Reise durch eine verstörende Alptraumwelt ähnelt, voller starker, eindrucksvoller Bilder, aber ohne einen klar ersichtlichen Sinn. Und leider auch ohne Seele, findet eine emotionale Bindung zu den Charakteren doch in keinster Weise statt.

Mit Desecration, der auf dem unmittelbar nach seinem Filmstudium gedrehten Kurzfilm gleichen Namens basiert, setzt Tomaselli jedenfalls ein dickes, fettes Ausrufezeichen. Der ambitionierte Film ist zwar nicht gänzlich gelungen, hadert manchmal mit seinem geringen Budget (die wenigen Gore-Effekte können leider nicht überzeugen), ist vielleicht eine Spur zu selbstverliebt und prätentiös und kommt darüber hinaus etwas zu verschroben und wirr daher, aber er hinterläßt ordentlich Eindruck und macht Lust auf weitere Arbeiten des unkonventionellen Filmemachers. Drei Jahre später läßt Tomaselli mit dem simpel aber treffend betitelten Horror ein kleines aber feines Meisterwerk folgen.

Details
Ähnliche Filme