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Am 10. Mai 1940 marschieren deutsche Soldaten in Belgien, den Niederlanden und Luxemburg ein. Bereits in den Tagen zuvor fanden Truppenkonzentrationen in der Nähe der Schweizer Grenze statt. Ein Leidtragender dieser Ereignisse ist der junge Werner Kramer, der wegen loser Reden gerade aus dem Deutschen Reich in die Schweiz geflüchtet ist, und den Unterschied zwischen dem Gestern und dem Heute schmerzhaft lernen muss. Der freundliche Fernfahrer, der ihn eben noch durch die Patrouillen durchschmuggelt, lässt ihn (immerhin mit bezahlter Zeche) sitzen, und wegen deutscher Worte am Zürcher Hauptbahnhof wird er von Passanten übel beschimpft. Ob es wirklich das Beste ist, heimlich bei seiner Jugendfreundin Anna zu wohnen? Oder sollte er sich nicht besser der Polizei stellen? Obwohl, als geflüchteter Deutscher …

Es gibt in DER 10. MAI Szenen, die in ihrer Inszenierung an die klassischen Noirs erinnern, und mit Schattenbildung und Düsternis sehr intensiv sind. Wenn Werner verzweifelt und übermüdet in seinem Versteck sitzt, einer Näherei, und nicht weiß ob nicht sogleich jemand Fremdes den Raum betritt und ihn der Polizei übergibt. Oder wiederum Werner, der in einem Lokal vom Fernfahrer eben noch verköstigt wurde, und nun, verfemt und beschimpft, einfach sitzengelassen wird in seinem Elend. Heinz Reincke, so klein und dünn und verletzlich, schaut wie ein junger Hund mit dem niemand spielt. Seine Verzweiflung und Einsamkeit ist mit den Händen zu greifen und tut richtig weh. Oder auch das jüdische Ehepaar Herz, das eigentlich am Abend die Schweiz verlassen wollte, dann aber doch geblieben ist und auf den Einmarsch der Deutschen wartet. „So wird es sein wenn sie kommen und uns holen: Ein Auto hält, es klingelt …“ Man hat resigniert, man hat sich mit dem Schicksal und dem Tod abgefunden.

Diese Szenen sind stark und machen viel her. Sie zeigen eine Gesellschaft am Rande des Zusammenbruchs, eine Welt, die ein soziales Leben nur noch innerhalb ihrer eigenen Zugehörigkeit hat, und sich nach außen hin, zu Fremden, rigoros abschottet. Man hilft sich, und auch wenn man unterschiedlicher Meinung ist gehört man doch zusammen, aber wehe es zeigen sich Merkmale des Andersseins. Seltsam, wie hochaktuell DER 10. MAI im Herbst 2018 wirkt. Und im Frühjahr 2020 …

Aber leider sind diese Szenen in der Minderheit, und werden durch andere Szenen zusammengehalten, die eher an die FAMILIE HESSELBACH erinnern. Bis ich las, dass dies der erste Schweizer Film im Breitwandformat war, bin ich sicher gewesen, dass es sich bei DER 10. MAI um eine Fernsehproduktion handelt, so hilflos spießig und harmlos kommt vieles daher. Gerade in den Momenten der Abschottung merkt man deutlich, dass der Regisseur Franz Schnyder eher Erfahrung hatte mit Filmen wie HEIDI UND PETER oder ZWISCHEN UNS DIE BERGE. Die unterschwellige Aggressivität der Gesellschaft, die man in DER 10. MAI so oft spürt, ist deutlich nicht seine Welt, und da wird es dann leider auch sehr spröde in der Narration. Spröde und dummerweise auch langatmig. Oder anders ausgedrückt: Ich musste den Film auf zweimal sehen, weil ich beim ersten Mal schon eingeschlafen bin, und beim zweiten Mal ging es mir nicht anders. Und das spricht dann halt schon irgendwie gegen ein reines Filmvergnügen …

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