Tetsuo meets Mainstream: Knapp 20 Jahre nach seinem bahnbrechenden Underground-Werk „Tetsuo“ lieferte Shinya Tsukamoto mit dem dritten Teil „Tetsuo – The Bullet Man“ den inhaltlich und erzählerisch am leichtesten nachvollziehbaren Beitrag zu dieser außergewöhnlichen Filmreihe, der seine Story vergleichsweise direkt und simpel ausbreitet: Nachdem der kleine Sohn des einfachen Angestellten Anthony von Unbekannten ermordet wird, verwandelt sich der trauernde Vater in ein monströses Hybridwesen, teils Mensch, teils Maschine, und geht auf brutalen Rachefeldzug, um die Mörder zu finden und die Hintergründe der Tat aufzudecken – Hintergründe, die mit bizarren Experimenten zwischen seinem Vater und seiner Mutter zu tun haben.
Auch nach so langer Zeit bleibt sich die Trilogie stilistisch treu: Der Großteil des Films wird von einem entfesselten Bildgewitter dominiert, das die körperliche und seelische Veränderung des Protagonisten als unaufhaltsamen Albtraum darstellt. Irrwitzig rasante Stakkato-Schnitte, eine wild hin und her springende Kamera, die mitunter nur Details und Bildausschnitte erfasst, dazu in den besten Szenen ein enorm treibender Electro-Industrial-Score von niemand geringerem als Nine Inch Nails – auch diesmal wird dem Zuschauenden visuell wieder so einiges geboten. Bizarre Kampf- und Schießerei-Action wechselt sich mit blutigen Momenten und surrealen Bildfolgen ab, in denen der Metall-und-Fleisch-Fetisch dieser Reihe ein weiteres Mal ausführlich zelebriert wird. Wer die ersten beiden Teile mochte, wird auch hier immer wieder herausragende Sequenzen entdecken.
Allerdings bleibt „Tetsuo – The Bullet Man“ trotzdem ein gutes Stück hinter den beiden Vorgängern zurück. Das liegt nicht nur an der in erklärenden Dialogen und gehetzt wirkenden Rückblenden zu simpel erzählten Story, deren Geradlinigkeit diesmal durch den Eindruck einer arg billigen Inszenierung erkauft wird. Sondern auch damit, dass der Film rein technisch seine Underground-Wurzeln abzulösen versucht, um den Eindruck einer größeren Produktion zu erwecken – und damit doch ziemlich scheitert. Zwar wirken Kameraführung, Ästhetik und Aufwand die meiste Zeit professioneller als bei den älteren Filmen; dafür kann hier nicht darüber hinweggetäuscht werden, dass immer wieder Szenen auftauchen, die mit billigsten Mitteln arbeiten: Ein rasendes Auto wird vor allem mit sinnlos herumwackelnder Kamera und eingespieltem aufröhrendem Motor dargestellt, auch einzelne Actionszenen machen einen nervtötend verwackelten Bogen um den eigentlichen Bildinhalt, wohl um die nicht vorhandenen Spezialeffekte zu verwischen. Auch wirken viele Kulissen reichlich billig, weshalb die Kamera immer wieder so nah wie möglich an die Gesichter der Agierenden heranfährt, was hier aber keineswegs irgendeiner Charakterisierung oder ähnlichem zugute kommt. Die Leistungen der Darstellenden bleiben durchgehend bescheiden, vor allem in eigentlich sehr emotionalen Momenten, und nicht zuletzt gerät die Story dramaturgisch ganz schön ins Schleudern – plötzliche und nicht wirklich motivierte Twists und ein Antagonist, dessen Motive erneut nicht wirklich erklärt werden, lassen alles Geschehen ziemlich sinnlos im Raum stehen. Von der hanebüchenen Experimente-Hintergrundstory ganz zu schweigen.
Glücklicherweise begnügt sich auch „Tetsuo – The Bullet Man“ mit einer Laufzeit von knapp 71 Minuten, was das Entstehen größerer Durchhänger verhindert. Und wenn die Verwandlung in vollem Gange ist, entstehen (trotz leicht peinlicher Monster-Designs) schon immer wieder beeindruckende visuelle Explosionen, die in dieser Art weiterhin ziemlich einzigartig sind. Das beginnt schon mit der monochromatischen Farbgebung selbst ruhiger Szenen am Anfang, die ein Gefühl für Dunkelheit, Bedrohung und Surreales entstehen lassen. Für Fans bleibt also auch dieser dritte Teil ein sehenswertes Produkt eines der außergewöhnlichsten Regisseure Japans.