Review

Richard Dunn (Daniels) ist ein Autor auf der Suche nach Inspiration. Sein erfolgloser letzter Roman bringt ihn in Zugzwang, mit dem nächsten Roman was gescheites auf die Beine zu stellen. Zu diesem Zweck schickt er sich ins Exil der Küstenstadt Long Island, die in der kalten Jahreszeit bis auf die wenigen Bewohner menschenleer ist. Dort will er die fehlende Konzentration finden. An was es Richard des Weiteren mangelt ist Reife. Denn Richard hat auch als End-Vierziger noch ein Überbleibsel seiner Kindheit, das er durchweg mit sich herum schleppt. Einen imaginären Freund namens Captain Excellent (Reynolds).

Als Richard eines Tages mit seinem viel zu kleinen Fahrrad in die Stadt fährt, fällt ihm die Jugendliche Abby (Stone) auf, die auf den einsamen Straßen herumlungert. Abby ist eine jugendliche Außenseiterin, die in ihrer Kindheit einen schlimmen Einschnitt hinnehmen musste und seitdem nicht verkraftet hat. Ihr Freund ist Bryce (Parrish), der sie schlecht behandelt und vor anderen herunterputzt. Da er als Gesprächspartner nicht sonderlich taugt, hängt Abby häufig mit dem Emo Christopher (Culkin) herum, der ihr als seelischer Anker dient.

Auf der Suche nach menschlichem Input in der Tristesse bucht Richard sie kurzerhand als Babysitter, ohne natürlich ein Baby greifbar zu haben. So entwickelt sich eine ungleiche Freundschaft, die für beide das Leben verändert..


Therapie

„Paper Man“ als Film zu greifen und per Text zu vermitteln ist nicht so einfach. Zu erst einmal liegt hier ein astreiner Independent-Film vor, der seine Werte eher sparsam und bewusst einsetzt. Effekte gibt es hier im Prinzip keine zu sehen. Auch wenn der Titel vielleicht etwas anders anmutet, ist das kein Film über einen Superhelden. Das gesamte Geschehen baut auf Dialog und zugehörige Handlungsszenen auf. Wertvoll insbesondere ist hierbei der Ort des Geschehens, in dem sich die Geschichte abspielt. Die trist wirkende und ausgestorbene Stadt legt einen passenden Rahmen um die dramatisch aber doch herzlich angelegte Handlung.

Sehr schön sind natürlich die Szenen zwischen Daniels und Stone, wenn sie sich gegenseitig den beiderseits fehlenden menschlichen Respekt und die Wärme vermitteln, die ihnen im eigenen Alltag allzu häufig abgehen. Dargestellt wird dies mittels ganz spezifischer Situationen, die für beide enorme Bedeutung annehmen. Als Abby etwa für Richard eine Suppe zubereitet mit einer Kreation von Kühlschrank-Allerlei, so ist das die Initialzündung für Richards Erkenntnis, dass Kreativität nicht immer von Ungefähr gegeben wird, sondern etwas ist, das man sich durchaus auch nehmen und selbst zubereiten kann.

Genau diese Spielereien machen die Detailverliebtheit des Filmes und die Darstellung des Casts aus. Die Emotionen und auch die Motive werden auf eine unterschwellige Ebene gesetzt und gegenüber dem Zuschauer nicht sofort offenbart. Was er zu sehen bekommt, sind die offensichtlichen Auswüchse, die sich durch das Verhalten niederschlagen. Und der dramaturgische Bogen des Filmes ist der Bruch des Verharrens auf Emotionen der Vergangenheit durch die beiden zentralen Charaktere. Hierbei ergänzen sich Stone und Daniels hervorragend und geben ein ungleiches Paar ab, das sich vielleicht nicht gesucht, aber sicherlich gefunden und definitiv gebraucht hat.


Diagnostik

Die gesamte Handlung, insbesondere um Richards imaginären Freund, wirkt natürlich auf den ersten Blick etwas kurios. Richard fällt in dem einsamen, spartanischen Haus herum und unterhält sich mit einem Ryan Reynolds, der in einem glitzernden Superheldenkostüm steckt. Es ist fast so, als würde er die Farbe in Richards graues Gefühlsleben bringen. Dies ist ein bewusster Bruch, der recht einfach gelöst ist. Der Superheld ist zuerst einmal gar nicht ‚da’, sondern dient als imaginärer Gesprächspartner, mit dem sich der verzweifelte Autor verständigen kann. Dass in diesem Film der imaginäre Freund ein ausgelagertes Element von der Persönlichkeit ist, macht die Sache aber grundsätzlich schon spannend, da man der inneren Stimme des Charakters in Form eines Dialoges folgt, ohne als Zuschauer eine Stimme aus dem Off zur Seite gestellt zu bekommen.

Auch wenn es die entwicklungspsychologische Definition des imaginären Freundes nicht 100%ig trifft, so macht es im Rahmen dieser Erzählung Sinn. Und die Darstellung des imaginären Freundes macht ebenso Sinn, da er das verkörpert, was eben verdrängt und externalisiert wird. Richards imaginärer Freund Captain Excellent ist für Richard das ausgelagerte und personifizierte Defizit von Durchsetzungsfähigkeit und dem Mut, Dinge einfach anzupacken.


Rohrschach-Test

Was um so mehr die Erzählung verschärft ist der Alltag von Abby, in dem sie sich von ihrem Freund gängeln lässt. Eine besonders treffende Szene ist der lieblose Sex im Auto, zu dessen Anlass Bryce zu geizig ist, den Motor für die Heizung laufen zu lassen. Aber als er Abby kurzerhand nach der Nummer aus dem Auto schmeißt, macht er es sich wohlig warm und fährt von Dannen. Abby komplettes Leben ist als eine Art der eigenen Bestrafung aufgebaut, die ihr kein positives Erlebnis erlaubt. So gibt sie sich ihrem Schicksal mehr oder weniger hin.

Richard und Abby durchleben nun beide einen Lernprozess, der es ihnen am Ende ermöglicht, von dem Punkt aus, an dem sie sich verbissen haben, weiterzugehen. Erst indem sich beide treffen, beide ihre Päckchen auspacken, kann die Vergangenheit als Vergangenheit abgelegt werden. Richard findet nach knapp der Hälfte seines Lebens zum ersten Mal einen Weg, sich selbst als Person zu definieren. Und Abby findet einen Weg, sich wieder selbst leiden zu können und ihren Weg in die Zukunft anzutreten. Diese Kombination, dass sich – wenn man so will – beide Dimensionen der Verzweiflung gegenseitig ausspielen, ist im Rahmen der Erzählung gelungen und gibt eine herzzerreißende Geschichte ab.

Was dabei stellenweise seltsam wirkt ist die Suggestion der Gefahr. So wird es zum Beispiel zum Element der Erzählung gemacht, dass Abby eine Gefahr für Richard werden könnte. Das ganze geschieht in dann im Einklang mit Perspektiven der Observation, die einen gewissen Bedrohungsfaktor ausstrahlen, der jedoch so gar nicht in den Kanon der Erzählung passen will. Andererseits ist die Gefahr durchaus gegeben, aber das zeigt sich erst im Verlauf der Erzählung.


Was von der Suppe übrig blieb

Das Regie-Debütanten-Paar Michele und Kieran Mulroney haben hier ein schönes Stück Kino abgeliefert. Kieran war auch schon in der Vergangenheit mehrfach in Filmen zu sehen, erreichte aber nie den Ruhm seines Bruders Dermot. Dass sich das Pärchen aber mit „Paper Man“ auch als Drehbuch-Duo etablierte, beweist die Tätigkeit für die „Sherlock Holmes“- Fortsetzung.

Was die deutsche Synchronisation von „Paper Man“ betrifft, so ist diese etwas uneinheitlich. Die Stimmen-Besetzungen für Stone und Daniels sind ganz okay, treffen auch die Seele der Charaktere. Bei der Besetzung für Kudrows Stimme hat man aber ziemlich daneben gegriffen. Aber wie man es auch dreht und wendet, über die eigentliche Stimme von Emma Stone geht nichts. Ihre heisere Stimme verleiht der Figur Abby ein eindringliches Gefühlsleben.

Es wäre ein Fehler, diesen Film als klein zu bezeichnen. Von seiner Aufmachung mag er vielleicht klein sein, aber er besitzt eine Größe, die viele augenscheinlich größere Filme nicht im Ansatz haben. Es handelt sich um einen feinfühligen und voller Tragik steckenden Film, der zauberhaft umgesetzt ist. Jeff Daniels kann sein Talent mit dieser zuerst etwas unreif und zerstreuten Figur vollends ausleben. Ihm gegenüber wird als seine Frau die recht gut aufspielende Lisa Kudrow gesetzt, die auch in diesem Drama ihr komödiantisches Timing zur Geltung bringt. In einer netten, kleineren Rolle ist Hunter Parrish, der Silas aus der Serie „Weeds“, zu sehen. Als beeindruckend ist jedoch Emma Stone hervorzuheben, die ihrer Rolle eine mitreißende Tiefe verleiht. Konnte Stone zuvor mehr in Komödien („Superbad“, „Zombieland“) punkten, so beweist sie mit „Paper Man“ dass sie eine viel versprechende Darstellerin ist, von der wir auch in Zukunft noch einiges hören und sehen werden. Nicht zuletzt erhielt sie für dem Film „Easy A“, der nur kurze Zeit nach diesem produziert wurde, ihre erste alleinig tragende Hauptrolle. Hier jedenfalls verleiht Stone mit ihrer Darstellung der Figur Abby eine tragische Dimension, die dem Zuschauer direkt ins Mark geht.

„Paper Man“ ist nicht für jeden Geschmack etwas. Die meisten Zuschauer werden ihn vielleicht sogar für langweilig erachten. Und es stimmt schon, dass es keine wirkliche Action gibt. Es ist eine Erzählung, die alleine durch das sehr starke Ensemble aus sechs Personen Form annimmt. Wer damit nicht so viel anfangen kann, wird auch mit „Paper Man“ nichts anzufangen wissen. Das Genre bietet sicherlich eine ganze Reihe von langweiligen Filmen, dieser hier gehört allerdings nicht dazu und wer sich darauf einlassen möchte, sollte nicht zögern. „Paper Man“ funktioniert richtig gut und macht Spaß wie schon lange kein Film mehr aus dieser Kategorie. Denn trotz aller Tragik, es gibt einiges zu Lachen. Die Charaktere und der skurrile Stil der Figurenkonstellation geben eine ganze Reihe von lustigen Situationen her, die stellenweise den dramatischen Kontext vergessen lassen.


“Richard regarded his solitude as something sacred as a well earned badge of honor, a cloak to be worn to ward off life.”

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