Review

Inzestuöse Isolation der leckenden Lügner

Wer wie Lanthimos mit "The Lobster" letztes Jahr so einen nachhaltig genialen & besonderen Eindruck hinterlässt, hat es verdient, dass man sich auch seine vorangegangenen Filme näher anschaut. Und da kommt man natürlich um seinen oscarnominierten Publikumsspalter "Dogtooth" schwer herum. Arthouse pur trifft verstörendsten Psychohorror mit ein paar Sprenklern schwarzem Humor - ein explosiver Mix, wenn man sich auf ihn einlässt & ihn versteht. Eine perverse Schlaftablette wenn nicht. Wenn ich mich nicht selbst zwischen den Stühlen befinden würde, würde ich fast sagen klassischer Fall von Love or Hate. Doch davon gibt es in unserer extremen Zeit schon genug, sodass man einen cleveren & speziellen Film wie "Dogtooth" auch künstlerisch & inhaltlich schätzen, jedoch unterhaltungstechnisch enttäuscht sein kann. 

"The Lobster" kann ich da eindeutiger empfehlen & ich kann hier jeden verstehen, der den positiven Hype nicht ganz nachvollziehen kann - solang die dann immerhin den absurden Funken in diesem Film sehen, wie er Themen wie Isolation, Diktatur & Einsamkeit einmalig seziert. Wie kein anderer Film. Das muss man nicht toll & spaßig finden, Letzteres will der Film auch nur bedingt sein, doch man sollte es nicht als Müll abtun. Denn gute Kunst hat schon immer polarisiert, zu Gesprächen & Gedanken animiert - und "Dogtooth" ist ein Paradebeispiel irgendwo zwischen lustigem Sprachexperiment, Nordkorea, Joseph Fritzl & "The Human Centipede".  Kranke Scheisse & nicht für jedermann. Doch umso mehr Zeit vergeht, desto eher kann ich die Fans verstehen. Wenn es doch nur allen enttäuschten Zuschauern, Kritikern & extremen Hatern von Lanthimos' abstraktem Kammerspiel so gehen würde...

Der Film spielt fast ausschließlich in einem abgeschotteten Haus irgendwo in Griechenland - dort zieht ein ziemlich stranges & strenges Ehepaar ihre zwei Töchter & einen Sohn groß. Die Kinder dürfen nicht das Anwesen verlassen, haben keinen Kontakt zur Außenwelt & werden zu einem sehr einseitigen, kranken Leben gezwungen. Sie kennen es nicht anders, doch auf den Zuschauer wirken Inzest, seltsame Sprachummodelierung oder ausufernder Katzenhass arg verstörend. Es gibt Szenen, von kleinen Redewendungen bis unreifem Verhalten, über die ich laut lachen musste. Doch genauso gab es Szenen, die in ihrer Perversion, Mitleid, Wut & Neugier wie es dazu kommen konnte, entfachten. Da können die meisten Torture-Porn-Kracher in ihrer Nachwirkung nicht mithalten. 

Leider besteht der Film aus genauso viel langweiligen Szenen wie Alptraum-Futter. Eher 70:30. Er ist eigentlich nur ein ausgebufftes Gedankenexperiment, aneinandergereihte Szenen ohne große Handlung oder Fortschritt. Das kann an den Kräften & der Geduld zehren. Doch wer es anspruchsvoller, psychologischer & kranker mag, der könnte hier einen Hit für sich entdecken. Gerade in seiner Überhöhung bzw. als Metapher gesehen - auf abgeschottete Staaten, Gesellschaften, Menschen - funktioniert dieses Griechenexperiment grandios. Doch nur ein Bruchteil der Zuschauer kommt leider bis dahin...

Fazit: von anstrengend über langweilig bis stark verstörend packt dieser griechische Polarisierer alles in seine 90 Minuten - ich bin ehrlich gesagt etwas sprachlos. Mutig & ohne Zweifel clever. Etliche Fragen stehen im Raum & jeder muss für sich selbst Antworten finden. Trotzdem ist "Dogtooth" in vielerlei Hinsicht eine Tortur. Gewollt in manchen Aspekt, nervig prätentiös in anderen. 

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