Wäre Full Contact ein Rocksong, dann würde er im Radio zwischen Smoke on the Water und Back in Black gespielt werden. Laute, dominierende E-Gitarren, ein charismatischer, unverwechselbarer Sänger, und ein cooler, treibender Rhythmus, bei dem man einfach mit muß. Ja, Full Contact wäre ein zeitloser, mitreißender Song zum immer-wieder-hören und abrocken. Umgelegt auf das Medium Film heißt das nichts anderes, als daß Ringo Lams Actionkracher abgeht wie ein an eine 220-Volt-Leitung angeschlossener Duracell-Hase.
Chow Yun-Fat ist Jeff, ein Kleinkrimineller, verheiratet mit der Nachtclubsängerin Mona (Ann Bridgewater) und eng befreundet mit dem naiven Sam (Anthony Wong Chau-Sang). Letzterer hat sich aus noblen Gründen (er wollte das Begräbnis von Jeffs Mutter bezahlen) beim Kredithai Hung (Nam Yin) hoch verschuldet und kann nun die geliehene Summe nicht zurückzahlen. Um an das nötige Geld zu kommen, lassen sich die Freunde mit Sams Cousin Judge (Simon Yam Tat-Wah) ein, einem charismatischen Gangster, der seine Raubzüge mit ungeheuerlicher Brutalität durchzieht. Ein fataler Fehler, wie sich bald herausstellt, denn der Überfall auf einen Waffentransport endet mit Verrat, Tod und immensen Kollateralschäden. Jeff überlebt mit Müh und Not, ist stinksauer, und startet einen unbarmherzigen Rachefeldzug.
So weit, so gewöhnlich. Die Geschichte bietet wenig mehr als eine Variation von altbekannten Versatzstücken des Heroic Bloodshed Genres, doch was Full Contact aus der Masse heraus katapultiert ist die so schnörkel- wie kompromißlose und visuell beeindruckende Umsetzung der Story durch Ringo Lam. Mit dem perfekt durchkomponierten Todesballett eines John Woo hat diese grimmige, bisweilen schmerzhaft zynische Gewaltorgie kaum noch etwas zu tun. Die allgegenwärtige Gewalt hat nichts "Cooles" oder "Ästhetisches" an sich; sie ist dreckig, blutig, und tut weh. Und sie geht von allen Seiten aus (die einzige "nette" Hauptfigur, an deren Händen kein Blut klebt, ist Mona). Selbst Jeff ist beileibe kein Unschuldslamm, im Gegenteil. Aber mangels Alternativen beginnt man als Zuschauer schon bald, mit diesem unmoralischen, kaltschnäuzigen Antihelden mitzufiebern, der wie eine Mischung aus Punisher und Django daherkommt und ohne mit der Wimper zu zucken seine Feinde ausradiert. Als Chow Yun-Fats Gegenspieler brilliert Simon Yam, der seiner schillernden, homosexuellen Figur auf faszinierende Weise grausames Leben einhaucht und nach folgendem Credo lebt: "You must be cruel to be successful! The world is insane. Sympathy will kill you. If you want to live, you must be insane!" An seiner Seite tummeln sich mit der sexgeilen Virgin (Bonnie Fu Yuk-Jing) und dem hünenhaften aber etwas beschränkten Psycho (Frankie Chan Chi-Leung) zwei weitere schrille und hassenswerte Charaktere. Erwähnen möchte ich noch Teddy Robin Kwans großartigen Score, die tolle Szenenausleuchtung (oft in kaltem blau oder feurigem rot), und den virtuosen Einsatz der "Bullet-Cam", die der Kugel hinterher jagt bzw. deren Flug seitlich verfolgt. So ist man z. B. hautnah dabei, wenn die Kugel auf ein Opfer zusaust und durch das Auge in dessen Schädel eindringt.
In seinem höchst empfehlenswerten Buch Film ohne Grenzen - Das neue Hongkong Kino (1996) schreibt Ralph Umard zu Recht von einem "grellen Gewaltspektakel" und einer "ultraharten 'Tour de Force' durch eine Welt voller Widersprüche" (Seite 313, zweite Spalte, erster Absatz). Treffender kann man es kaum formulieren. Full Contact ist nicht nur ein furioser, energiegeladener Actionfilm, sondern gleichzeitig auch eine blutdurchtränkte, mit Gusto inszenierte Sternstunde des wilden, ungezähmten (*) Hongkongkinos.
(*) Wobei ich das relativieren muß, denn diversen Quellen zufolge wurde Full Contact leider doch ein wenig gezähmt, und zwar von der Zensur, die zumindest einmal rigoros einschritt. Als Beweis für Jeffs Tod sollte Sam dessen Augen mitbringen. Da Sam es nicht fertig brachte, Jeff zu erschießen, übergibt er Judge stattdessen die Augen eines der im Kugelhagel getöteten Unschuldigen, die Judge danach verspeist! Das war dann für die generell eher lockere Zensur in Hongkong doch des Guten zuviel. Wenn man sich besagte Sequenz genau ansieht, wird man feststellen, daß an der "Augengeschichte" etwas dran sein sollte. Als Sam das Haus verläßt, sieht es so aus, als ob er etwas Blutiges in seiner rechten Hand hält. Außerdem spricht Judge im Laufe des Filmes wiederholt von Jeffs faszinierenden Augen. Das sind immerhin zwei Indizien die darauf hindeuten, daß tatsächlich ein Zensureingriff stattgefunden hat.