Dass eine zu hohe Erwartungshaltung bei einen guten Film oft zu Unrecht nur Enttäuschung hinterlässt, sah man an “Insomnia” recht gut. Nach Nolans “Memento”-Erfolg erwarteten viele erneut einen Paukenschlag und bekamen stattdessen einen sich gemächlich entwickelnden Krimi vorgesetzt, der es jedoch in sich hat.
Als Detective Dormer (Al Pacino) in einem Nest irgendwo in Alaska ankommt, um einen scheinbaren Routinefall aufzuklären, kann man die folgende Zerstörung seiner Psyche noch nicht ahnen. Dormer tritt selbstsicher, ja fast arrogant auf, und ist sich aufgrund seines Rufes der Bewunderung sämtlicher Kollegen sicher. Der Fall läuft jedoch aus dem Ruder, als er von seinem Partner Hap (Martin Donovan) erfährt, dass dieser vor dem Untersuchungssausschuss gegen ihn aussagen will, was Dormer wegen nicht immer korrekter Ermittlungsmethoden in Schwierigkeiten bringen könnte.
Noch schlimmer kommt es, als Dormer bei der Verfolgung des mutmaßlichen Mörders aus Versehen Hap erschießt und dem sich weiterhin auf der Flucht befindlichen Killer die Schuld in die Schuhe schiebt. Doch der hat den Unfall beobachtet und beginnt nun, Dormer zu erpressen...
Was wie eine routinierte Krimistory beginnt, lässt Regisseur Christopher Nolan zu einem packenden, diskussionswürdigen Schuld- und Sühne-Drama werden. In Dormer findet sich die perfekte Identifikationsfigur für den Zuschauer, weil seine moralischen Grundsätze der Meinung vieler Menschen entsprechen, jedoch auf einer kaum durchführbaren Ebene liegen, vor allem nicht in der Rolle eines Polizisten. Dormer handelte in der Vergangenheit oft nach seinem Gewissen, nicht nach seinem Berufskodex, was ihn nun zu einem leicht angreifbaren Ziel für den Untersuchungsausschuss werden lässt. Die unbeabsichtigte Tötung Haps ist ein weiterer Schritt auf dem Weg nach ganz unten, der durch die permanente Schlaflosigkeit Dormers nur beschleunigt wird. In Alaska wird es zu dieser Jahreszeit niemals Nacht, weshalb er nach sechs wachen Nächten sowohl äußerlich als auch innerlich nur noch ein Wrack ist.
Dormers Erlösung von der Schlaflosigkeit folgt einer unausweichlichen, bitteren Logik innerhalb der Geschichte, die in einem einsam gelegenen Haus am Ufer eines Sees endet. Dort begegnen sich mit Finch und Dormer zum letzten Mal zwei Menschen, die sich innerlich verbundener sind, als einem von beiden lieb ist, der dann auch nur noch ein Ziel hat: schlafen. Und wenn es das letzte ist, was er in seinem Leben tut.
Die Atmosphäre und Figurenzeichnung in „Insomnia“ ist beispiellos und wird von überragenden Schauspielern getragen, die hier Highlights ihrer Karriere abliefern. Pacino hat endlich mal wieder eine Rolle gefunden, die kein Selbstläufer für ihn ist, sondern in der er sein ganzes Können aufbieten muss. Williams ist kaum wiederzuerkennen und gibt in seiner Zurückhaltung einen der denkwürdigsten Psychopathen der letzten Kinojahre ab, Hillary Swank fällt dagegen trotz einer guten Leistung ein wenig ab.
Natürlich ist „Insomnia“ alles andere als gewöhnliche Genrekost, sondern vielmehr ein psychologisch durchdachter Krimi, der mitunter hohe Anforderungen an den Zuschauer stellt. Wer bereit ist, mitzudenken und sich über die moralischen Kontroversen ein eigenes Urteil bilden will, ist hier genau richtig. Garantiert nicht einschläfernd!