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Das Japanische Zeichentrickproduktionsstudio "Ghibli" dürfte hierzulande vor allen Dingen durch den mehrfach ausgezeichneten Fantasyhit "Chihiros Reise ins Zauberland" bekannt geworden sein und feiert nun mit jedem weiteren neu- und nachveröffentlichtem Film riesige Erfolge. Zahlreiche kreative Köpfe des Studios schufen insbesondere Abenteuer- und spektakuläre Fantasywerke, doch hin und wieder erschienen auch spezielle Genrebeiträge, wie etwa das größte Drama im Zeichentrickformat aller Zeiten "Die letzten Glühwürmchen", oder der ergreifende Liebesfilm "Stimme des Herzens". In Letzterem dreht sich alles um die junge Shizuku, ein japansiches Mädchen mit einem echten Lesewahn. In allen Büchern der Bibliothek, die sie las, liest und noch lesen wird, findet sie den selben Männernamen auf der Leihkarte wieder: Seiji Amasawa. Als sie den Jungen dann durch Zufall kennenlernt, werden ihr nicht nur die Augen für ein hohes Ziel im Leben geöffnet, sondern auch noch für die große Liebe.

Regisseur Yoshifumi Kondo gestaltet die Geschichte sehr ruhig, beschäftigt sich lange mit dem Alltag und dehnt den gesamten Ablauf, dabei allerdings hat der Zuschauer niemals das Gefühl, die Handlung werde künstlich verzögert. Stattdessen erlebt man ein sehr realistisches Bild eines heranwachsenden Mädchens, die mit allerhand Problemen zu kämpfen hat, sei es im freundschaftlichen Umfeld, in der eigenen Familie, oder mit sich selbst. So kümmert sich Shizuku anfangs insbesondere um ihre beste Freundin Yuko, indem sie sie dabei unterstützt eine Liebesbeziehung aufzubauen, mit Briefen und allem was dazu gehört, wie es in dem Alter eben so ist. Als Gegenzug wird sie von Yuko hin und wieder ermahnt, weniger Unterhaltungsliteratur zu lesen, und stattdessen etwas für die Schule zu tun. Diese Freundschaft, das gegenseitige Beratschlagen und Anspornen, erstreckt sich über weite Teile des Filmes, dient aber als sehr ausführliche und letztendlich auch notwendige Charakterisierungsmaßnahme der Hauptfigur. Im weiteren Handlungsverlauf stößt Shizukus ältere Schwester Shiho hinzu und mit ihr die ersten familiären Probleme. Die Studentin Shiho kümmert sich vermehrt um den Haushalt und drängt Shizuku sich aktiv zu beteiligen. Außerdem rutschen die Noten des jungen Mädchens in den Keller und so droht Shizuku ihr Hobby, das Lesen, weitesgehend einschränken zu müssen. Diese ausführlichen Charakterstudien erstrecken sich in der Tat über weite Filmlängen und lassen kaum bis gar keinen Platz für besondere Ereignisse im Alltag des Mädchens. Der Zuschauer wird bis hierhin ausschließlich mit Alltäglichkeiten konfrontiert und erlebt bis auf zahlreiche, sehr intensive Dialoge, gar nichts. Und genau hier liegt die Stärke dieses Liebesfilmes. Obwohl soweit alles an eine schlechte Seifenoper erinnert, fühlt man sich in der Geschichte richtig wohl, richtig heimisch. Die Probleme der kleinen Shizuku und die ihres Umfeldes sind allesamt nachvollziehbar, glaubwürdig und zu keiner Zeit völlig überzogen, oder absolut dämlich. Stattdessen bleibt Yoshifumi Kondo mit seiner Geschichte auf dem Boden der Tatsachen, wodurch im Endeffekt alles nur noch ergreifender wird.

Richtig interessant wird es, als Shizuku auf dem Weg zur Bibliothek einer Katze folgt und schließlich in einem kleinen Antikwarengeschäft landet. Sie lernt dessen Besitzer kennen und mögen und besucht den Laden ab sofort desöfteren. Diese Passagen dienen dem jungen Mädchen als Flucht aus dem Alltag, eine Abwechslung die ihr sichtlich Freude bereitet und ein Glücksgefühl, dass sich so ghiblitypisch auch auf den Zuschauer überträgt. Der alte Ladenbesitzer, Herr Nishi, behandelt Shizuku sehr liebevoll, weist sie in seinen Laden ein, zeigt ihr einige ganz besondere Antiquitäten und hat für sie immer ein offenes Ohr, sowie einen weisen Rat. Dieser Ort gestaltet sich nicht nur aufgrund der Zuneigung Herrn Nishis gegenüber der Protagonistin als besonders angenehmer Schauplatz, sondern insbesondere auch aufgrund des Kontrastes zwischen dem eintönigen Großstadtleben zu Hause und der Idylle in einem Holzhaus auf einem Berg inklusive einer wunderschönen Aussicht. Dass sie genau hier den langgesuchten Seiji Amasawa kennen- und liebenlernt ist nur konsequent und auch, dass sie an diesem Ort ihr großes Lebensziel findet ist die logische Folge auf ihre, mit dem neuen Umfeld verbundenen, Gefühlsschwankungen. Auf den Boden der bitteren Realität allerdings holt Shizuku sich schon sehr bald selbst, nämlich als sie feststellt, dass die Verwirklichung ihres persönlichen Traumes nicht mit ihrer großen Liebe kompatibel ist. An dieser Stelle spielt der Film dann seine ganz große Stärke aus. Wenn der Junge für zwei Monate verreist, um eine Ausbildung zu machen und sich das Mädchen dann einem persönlichen Test unterzieht, ob sie dem gewünschten Beruf gewachsen ist, dann ist das schon ein rührender Anfang für ein packendes Finale. Doch, wenn die junge Shizuku, ihre selbstgeschriebene Geschichte nach zwei Monaten bei ihrer Vertrauensperson, Herrn Nishi, einreicht, und dieser die Geschichte beurteilt, dann ist das herzzerreißend. Und wenn sich die beiden verliebten Kinder, ganz am Schluss, nach zwei Monaten wiedersehen, dann ist das einfach nur Ghibli.

Ganz genau so ghibli wie die Darstellung durch Regisseur Yoshifumi Kondo. Um seine sehr realistische Geschichte so authentisch wie möglich zu gestalten, ist die Umwelt so komplex wie möglich gehalten. Auf den Straßen herrscht reines Verkehrschaos, in der Schule toben randvolle Klassenräume und selbst kleinere Details wie Hunde im Vorgarten bleiben nicht aus. Kondo hat sich hier wirklich sehr viel Mühe gemacht und nur dadurch gibt es auch in den wirklich sehr umfangreichen, ruhigen Passagen immer etwas zu entdecken. Ebenfalls auffällig und extrem studiotypisch sind die kleinen Besonderheiten, die den Ghiblianime von allen anderen Zeichentrickproduktionen abheben. Sei es ein bellender Hund, der von dem liebevollen Mädchen beim Vorbeilaufen gegrüßt wird, oder die streunerne Katze, die den Wachhund ärgert. Nur wenige Beispiele für die vielen Szenen mit dem Ghiblieffekt. Der unterstützende Sound (hier oftmals Orchesterklänge) fügt sich wie immer wunderbar ins Gesamtbild und untermalt hier teilweise ganze Passagen sehr sinn- und stilvoll.

"Stimme des Herzens" ist ein typischer Ghiblifilm, mit einer besonderen Thematik. Selten wird die Liebe so indirekt behandelt und selten ist ein Liebesfilm so glaubwürdig. Kondo macht gar keine Anstalten eine komplizierte Geschichte zu erfinden, um zwei Menschen zusammenzuführen, und diese tragisch oder fröhlich enden zu lassen. Nein, er bedient sich dem kompliziertesten Ideenpool: der Realität. Durch den sehr ruhigen Handlungsablauf und der glaubwürdigen Geschichte erscheint das besondere Ende umso beeindruckender. Viele Details, die es so nur bei Ghibli gibt, machen den Film zu etwas Besonderem, insbesondere die Katerfigur, der Baron, hat eine Nebengeschichte, die in ihrer ca. zweiminütigen Länge einen Großteil der westlichen Zeichentrickproduktionen in den Schatten stellt. Ein ganz großer Emotionsfilm.

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