Vom Himmel herab fällt ein Mädchen, Sheeta. Ihr Talisman leuchtet, sie schwebt sanft und abgöttisch in die Arme des jungen Minenarbeiters Pazu, so wie es in Hayao Miyazakis Filmen immer möglich ist, mit Hilfe der Magie die Gravitation der Erde zu überwinden. Der Zauberstein, auch das ist bezeichnend für den Meister des japanischen Zeichentricks, besitzt eine Sonnen- und eine Schattenseite: Er behütet seinen Besitzer, bringt ihn gleichwohl aber überhaupt erst in Gefahr. Denn ein solcher Zauber zieht mit der Zeit unvermeidlich die Schatzjäger und Herrschsüchtigen an. Daher befindet sich das zierliche Mädchen auf ständiger Flucht vor dem Militär und einer Piratenbande, die allesamt den Talisman mit Laputa in Verbindung bringen, einer der Sage nach fliegenden Insel mit ungeahnten Schätzen.
20 Jahre nach seiner Entstehung beehrt Miyazakis "Das Schloss im Himmel" die deutschen Kinos, in denen zuletzt sein "Wandelndes Schloss" gastierte. Obwohl immerhin fast zwei Jahrzehnte zwischen beiden Werken liegen, ist ihnen dies beinahe nicht anzumerken, denn die Zauberformel ist noch immer die gleiche und wird - man kann diese Prognose wohl wagen - immer die gleiche bleiben. Ein Miyazaki-Film lässt sich anhand der herzergreifenden Musik identifizieren, die eine Symbiose mit dem malerischen Naturportrait einzugehen scheint. Virtuos sind die Bilder seit jeher, kräftig und detailverliebt. Die Zeichnungen lassen die Überbordung der japanischen Phantasie erleuchten und sind andererseits in der zweiten ihrer ambivalenten Funktion ebenso Zeugnisse einer weisen Metaphorisierung, deren Aussagen für gewöhnlich sehr mannigfaltig sind.
Von jungen Menschen mit großen Seelen erzählen die Geschichten, deren Figuren vor Kühnheit und Weltoffenheit glühen. Nichts mag ihnen zustoßen können, ihre Reinheit ist ein Schutzengel. Etwas humorvoll Kindliches haftet ihnen unzweifelhaft an, man könnte es auch pubertäre Tollpatschigkeit nennen. Diese Eigenschaft ist der Weg zur Sympathie, will aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Miyazakis rechtschaffene Protagonisten sich in einem ständigen Reifeprozess befinden und an sich selbst wachsen müssen. Konsequent gibt es dazu immer einen Gegenpol, das dem Guten gegenüberstehende Böse, das - und darin verbirgt sich ein wesentlich höherer Anspruch gegenüber der Eindimensionalität der amerikanischen Disney-Animation - keine feste Gestalt annimmt, sondern seine Formen zu wandeln oder gar gänzlich aufzulösen imstande ist.
In "Das Schloss im Himmel" sind es vor allem die Piraten, deren augenscheinlich ruchloser Habitus sich ins Positive verkehrt. Erst Feind, dann Freund ist jene tölpische Horde von Muttersöhnchen, die von der androgyn anmutenden Dola, einer raubeinigen und doch liebenswerten Powerfrau, angeführt wird. Auch die Leibroboter Laputas zeigen zwei Gesichter, wenn sie als zerstörerische Kampfmaschinen einerseits apokalyptisch wüten und als feinfühlige, bemooste Gärtner andererseits jedes Vogelnest behüten.
In vielerlei Hinsicht lässt sich dieser Einklang von beseelter Natur und Technik beobachten. Miyazakis Blick auf die Industrialisierung und ihre Errungenschaften ist ein zutiefst romantischer. Beeindruckend etwa in Szene gesetzt sind dampfende Lokomotiven, die auf gewaltigen Holzbrückenkonstruktionen mächtigen Tälern trotzen, in denen pittoreske Dörfer mit der Landschaft verwurzelt sind. Der technisch sich entwickelnde Mensch ist Teil des Ökosystems, hat sich selbst an Felswänden tiefer Schluchten sein Heim errichtet. Dass diese Koexistenz kein spannungsloses Verhältnis darstellt, rückt jedoch immer dann ins Bewusstsein, wenn die zivilisatorische Kehrseite, Militarismus und Ausbeutung in Erscheinung treten. Trotz der idyllischen Panoramen beherrscht die latente Zerstörungsfähigkeit des zwiespältigen Homo sapiens Miyzakis Filme. Die Armee ist es in diesem Falle, die mit Artilleriefeuer in den fragilen Biotopverbund einbricht und das Paradies der Lüfte schändet.
Dennoch überwiegt letztlich ohne Zweifel jenes Gefühl der Naturverbundenheit und das Leitmotiv der Schwerelosigkeit und des Fliegens. Hinauf in den Himmel geht es immer wieder, mit Fluggeräten aller Art: mit schwebenden Festungen und kleinen filigranen Fluggleitern, nachempfunden wiederum dem Tierreich und seinen Insekten. Dort oben dann, in der Höhe, eröffnen sich faszinierend schwindelerregende Blicke: Wolkendecken reißen auf und werden geschnitten, Abgründe und Turbulenzen. Wie ein Trapezkünstler gewinnt Pazu den Kampf gegen die Schwerkraft und vollführt einen akrobatischen Tanz im Baumwurzellabyrinth Laputas. Der Himmel, der Flügel, das Fliegen, das sind die Attribute der Freiheit. Ein Freigeist ist der alles zusammenhaltende majestätische Baum im Herzen der fliegenden Insel, die am Ende davonzieht und aus den Augen verloren wird, während Sheeta, Pazu und die Piraten auf ihren Insektenflugmaschinen sitzen, deren Flügel schlagen. Noch einmal wird Miyazakis Naturpatriotismus in die Welt getragen und verkündet inbrünstig mit aller Kraft: Du bist die Flügel, du bist der Baum.