Review

Die deutsch-österreichische Co-Produktion „Herrenkinder“ beleuchtet die Geschichte der nationalsozialistischen Eliteschulen „Napola“, deren unmenschliche Erziehungsmethoden – und die langfristigen Folgen dieser Erfahrung auf einige ehemalige Schüler und deren Nachfahren. Interviews mit bekannten Persönlichkeiten wie Hellmuth Karasek oder Marianne Schuppe, deren Vater an einer Napola-Schule war, wechseln sich ab mit Archivaufnahmen aus dem Dritten Reich und sind so bestrebt, ein vielschichtiges Bild dieses dunklen Kapitels der Erziehungsgeschichte zu zeichnen.

Erzählerisch ist das den üblichen modernen Dokumentarfilmmotiven verpflichtet: kein Erzähler aus dem Off, nur berichtende Zeitzeugen und eine Schnittmontage, die auf leicht assoziative Weise eine Art Kommentar zum Erzählten zu erzeugen versucht. Der Einstieg ist stark und intensiv gewählt, indem direkt von einem Doppelsuizid erzählt wird, den ein Elternpaar Ende der 80er beging – der Vater war ein ehemaliger Napola-Schüler und hatte laut Berichten der Tochter und ihrer eigenen Söhne stets eine schwierige Beziehung zu Frau und Tochter. Durch die distanzierte Art, auf die die Tochter von diesem schrecklichen Ereignis berichtet (zum Zeitpunkt der Dreharbeiten immerhin schon 20 Jahre her), entsteht direkt in den ersten Minuten ein gewisser Schockeffekt, der die schrecklichsten Nachfolgen der brutalen Erziehung aus körperlichem Drill und geistiger Unterdrückung eindrücklich aufzeigt.

Bei anderen Erzählenden entsteht da schon ein differenzierteres Bild. Und vor allem ein interessanter Effekt, der besonders in der ersten Filmhälfte immer wieder ein unangenehmes Gefühl entstehen lässt: Denn einige, wenn auch nicht alle, der Berichtenden können in einigen Passagen ihre Selbstherrlichkeit und ihre altertümliche Sichtweise nicht verbergen. Da wird erklärt, man habe es gemocht, dass man zu Anstand, Treue und Ehrlichkeit erzogen wurde, oder man habe sich damals geehrt gefühlt, weil man ja zur Elite gehören wollte – das jedoch in einem Ton, der spüren lässt, dass man diesen Gedanken auch heute nicht ganz fallen gelassen hat. Lange Zeit drängt sich dem Zuschauenden hier die Frage auf, inwiefern die Interviewten überhaupt mit ihrer Vergangenheit abgeschlossen haben.

Erst im Schlussteil des Films wird das dann allerdings auch direkt thematisiert, was dem Film selbst und auch den Interviewten ein deutlich höheres Maß an Reflexion verleiht. So gibt „Herrenkinder“ spannende, mitunter bestürzende Einblicke in die seelischen Langzeitfolgen einer Erziehung, die hinter der Fassade von „Elitenbildung“ vor allem Soldaten mit der Bereitschaft zu absolutem Gehorsam erzeugen wollte.

Leider unterscheiden sich die Interviews qualitativ mitunter deutlich. Neben packenden Erzählsträngen wie eben der Tochter der suizidalen Eltern gibt es auch Berichte, denen man ein gehöriges Maß an Selbstdarstellung anmerkt – allen voran Marianne Schuppe, deren Art zu sprechen, permanent zu lächeln und mit der Kamera zu flirten in keiner Weise mit den harten Inhalten zusammenpasst, von denen sie (allerdings auch in seltsam metaphysischen Begriffen) redet. Überhaupt wird der Familie Schuppe zu viel Raum gegeben, sodass hier eine Zeitlang eine etwas anstrengende Parallelhandlung um eine einzige Familie und ihre destruktiven Verhaltensmuster entsteht. Das bremst mitunter die Spannung und das Interesse des Zuschauenden enorm aus.

Auch bleibt die formale Einrichtung des Films durchaus diskutabel. Als Illustration der damaligen durch Propaganda gezeichneten Zeit alte Archivaufnahmen von Wehrsportgruppen und trainierenden Jugendlichen zu zeigen ist eine Sache; permanent alte Propagandalieder über Vaterlands- und Führertreue, Todesbereitschaft und die „Herrenrasse“ einsingen zu lassen, scheint dann aber doch deutlich über das Ziel hinauszuschießen und verleiht manchen Momenten einen unangenehmen Anstrich von Verherrlichung der alten Zeiten. Hier wäre weniger mehr gewesen. Und im letzten Drittel zerfasert die Erzählung dann auch zusehends, sodass sich doch ein gewisses Maß an Langeweile einschleichen kann.

Insgesamt besticht „Herrenkinder“ durch die akribische Aufarbeitung seines Themas, seine distanzierte, aber dennoch Emotionen zulassende Erzählweise und einige packende, bestürzende Interviews und Lebensgeschichten. Wenn es etwas weniger Selbstdarstellung und Drittes-Reich-Bebilderung am Rande der Geschmacklosigkeit gegeben hätte, wäre er indes noch deutlich intensiver gewesen.

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