Jamin Winans war dankbar, als sein für lumpige 250.000 Dollar gedrehter „Ink“ zu einem Renner unter Raubkopierern wurde und sich sein Fantasyfilm auf diesem illegalen Wege wie ein Lauffeuer verbreitete – eine Bestätigung dafür, daß er offensichtlich einiges richtig gemacht hatte.
Und tatsächlich handelt es sich bei dem hierzulande noch nicht erschienenen „Ink“ um einen dieser Filme, denen man den Enthusiasmus und das Herzblut ansieht, mit denen sie gedreht wurden. Winans hat hier wirklich etwas zu erzählen, nämlich eine ebenso rührende wie komplexe Geschichte um Liebe und Verlust, um Mut und Zusammenhalt, um das klassische Gut gegen Böse und umgekehrt.
Als zweifelsohne schwierig erweist sich der Zugang: Es wird nicht wenige geben, die verfrüht das Handtuch werfen, denn ohne großes Federlesen werden vom Start weg rätselhafte Szenen aneinandergereiht, die erst im weiteren Verlauf vernünftig eingeordnet werden können. Dazu erwecken dauerhaft vernebelte und in düsteren Blautönen gehaltene Bilder den Eindruck eines Traums, während eine wuselnde Kamera und eine hyperaktive Schnittarbeit mit optischen Spielereien etwa bei den Kampfszenen treue Begleiter sind, die nie verschwinden. Eine durchgängige Hauptfigur ist weit und breit nicht auszumachen, die Story wechselt zwischen mehreren Parallelwelten mit unterschiedlichen Protagonisten wild hin und her, wandelt auf mehreren Zeitebenen, indem sie Ereignisse vorwegnimmt, die erst später passieren, und Rückblenden einstreut, und nimmt sich mindestens ein Drittel seiner 105 Minuten Zeit, bis er das gesamte Tableau vor einem ausgebreitet hat und zumindest im Ansatz zu erkennen ist, worauf der Film hinauswill.
Doch worum geht es überhaupt? Zuvorderst um das Mädchen Emma, dessen Seele von einer übersinnlichen zerlumpten Gestalt mit überdimensionaler Nase nachts aus seinem Bett entführt wird, während sein Körper im komatösen Zustand zurückbleibt. Dies hätte eigentlich von den sogenannten Storytellern verhindert werden sollen, Wesen in Menschengestalt, die in den Nächten über die Menschheit wachen und durch Handauflegen positive Erinnerungen in die Köpfe der Träumenden pflanzen. Ihnen gegenüber stehen die dunklen Incubi, unheimlich grinsende Gestalten mit dicken Brillen und freischwebenden gläsernen Monitoren vor den Gesichtern, die wiederum für die Alpträume der Menschen zuständig sind.
Die Storyteller sehen es nun als ihre Aufgabe an, das Mädchen in die reale Welt zurückzuholen. Dabei bedarf es allerdings nicht nur der Hilfe eines schrägen blinden Pathfinders, sondern auch der des Vaters des Mädchens, der nach dem Tod seiner Frau allerdings das Sorgerecht verloren hat und seitdem keinen Kontakt mehr zu seiner Tochter pflegt. Also müssen Storyteller und Pathfinder einen Weg finden, Vater und Tochter irgendwie zusammenzubringen.
Es dauert wie gesagt lange, bis man sich dieses Gerüst zusammengebaut hat, weil die Hintergründe der handelnden Figuren erst nach und nach entblättert werden. Vielmehr verfolgen wir sie lange Zeit auf gleich drei Ebenen, die sich erst zu einer zusammenfinden müssen: Storyteller und Pathfinder auf ihrer Suche nach dem Vater; den Entführer Ink, Emma und die wenig später zur moralischen Unterstützung des Mädchens herbeieilende Liev (ebenfalls ein Storyteller) auf dem Weg zu den Incubi, von denen sich Ink die Wiedererlangung seiner Schönheit verspricht, wenn er Emma als Opfergabe darbietet; und den im Herzen unglücklichen Vater in seiner reichen Businesswelt, dem unbemerkt ein für ihn unsichtbarer Incubus laufend böse Gedanken einflüstert.
Hat man sich erst einmal auf die verschachtelte Erzählweise eingelassen und sich an die ungewöhnliche Optik mit ihrem pausenlosen Kameraaktionismus gewöhnt, will man auch erfahren, wie sich „Ink“ allmählich wie ein 1.000-Teile-Puzzle zusammensetzt – wobei das Ende genügend Spielraum zur Interpretation läßt, so daß man nachschauen muß, ob einem nicht doch das eine oder andere Puzzleteil unters Sofa gerutscht ist.
Fest steht: Hinter all diesen Fantasymotiven läßt sich mehr und mehr ein trauriges Familiendrama erkennen, das schließlich auch emotionale Anknüpfungspunkte herstellt, nicht zuletzt in den Rückblenden, die bruchstückhaft die Umstände des Kennenlernens eines Paares bis zum Moment der Katastrophe erzählen. Man mag bemängeln, daß der Film dabei manchmal durchaus in den Kitsch abzurutschen droht, aber in Wirklichkeit helfen gerade diese Momente dabei, sich reinzuarbeiten, und wenn man am Ende gerührt zurückbleibt, spielt Winans die Gefühlsklaviatur offenbar ganz richtig – im wahrsten Sinne des Wortes, denn er hat zusätzlich auch noch die einfühlsame Musik zum Film geschrieben. Dazu paßt, daß die Auswahl der Emma-Rolle mit Quinn Hunchar nicht besser hätte ausfallen können. Ich jedenfalls kann mich kaum an ein niedlicheres Mädchen in einem Film erinnern.
Wenn man „Ink“ neben dem komplizierten Einstieg einen Vorwurf machen will, dann den, daß er zu viel auf einmal will. Er erscheint mitunter überfrachtet, so, als habe Winans sich nicht von allen Ideen trennen können, die durch seinen Kopf geisterten. Das geht dann auf Kosten der Tiefe einzelner Protagonisten, denen man etwas mehr Hintergrund gewünscht hätte. So entsteht der Eindruck, daß der Regisseur nicht immer die richtigen Schwerpunkte gesetzt hat.
Trotzdem ist das bisweilen bizarre Ergebnis interessant genug und vor allem weit genug vom Mainstream entfernt, daß ein Blick lohnt. Ähnlich wie „Pans Labyrinth“ ist er dabei eher in die Kategorie der anspruchsvollen und ernsthaften Erwachsenen-Fantasy einzuordnen, an der durchaus etwas herumgenagt werden kann. Kinder und jüngere Jugendliche dürften mit dem Erfassen des anspruchsvollen Inhaltes ihre Probleme haben, wenn dafür nicht die grauenerregenden Incubi-Fratzen sorgen, die den Film sogar leicht in die Horrorecke rücken. Veröffentlichung auf DVD und BluRay in Deutschland wünschenswert. 7/10.