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Die junge Zeitungsangestellte Taeko Okajima nimmt sich 10 Tage frei, um Urlaub auf dem Land machen zu können. Als in Tokio aufgewachsenes Großstadtkind kann sie sich damit einen lang gehegten Traum erfüllen. Auf der Zugfahrt nach Yamagata wird sie von zahlreichen Kindheitserinnerungen überwältigt.
Wir erleben Taeko nun als 10-jähriges Mädchen im Tokio von 1966. Trotz peinlicher Erlebnisse, schlechter Mathematik-Noten, pubertierender Schwestern und einem strengen Elternhaus, schafft es Taeko, diese Zeit der Veränderungen irgendwann zu überstehen und als reife junge Frau neue Wege zu gehen.

Die in Form von Rückblenden dargestellten Erinnerungen werden gegen Filmende zunehmend von einer sich langsam entwickelnden Liebesgeschichte auf dem Land durchbrochen (so nach dem Motto: Liebe ist, wenn es Landliebe ist...), was bedeutet, dass "Only Yesterday“ keine "ruhende“ Rahmenhandlung besitzt, sondern sich fortwährend im Umbruch bzw. in der Entwicklung befindet. In einer bezeichnenden Szene sagt die erwachsene Taeko, dass sie als Kind nicht von einer Larve zur Puppe werden wollte. Nun jedoch, mache sie eine neuerliche Veränderung durch und darin läge der Grund für die nicht enden wollende Erinnerungsflut.

Regisseur Isao Takahata, Mitgründer des legendären Ghibli-Studios, erzählt uns Taekos Geschichte mittels detailreicher, lebendiger und realitätsnaher Zeichnungen, die in ihrer Farbigkeit und Fülle als meisterhaft zu bezeichnen sind. Neben den flüssigen Animationen sorgen auch die groartigen japanischen Sprecher für eine bestmögliche Drehbuchumsetzung. "Only Yesterday“ ist ein Werk, das humorvoll, poetisch und auch ein wenig melancholisch von vergangenen Zeiten berichtet. Es ist ein Film über die Kindheit und das Erwachsenwerden, über die Liebe und das Bedauern. Dass Takahata bei einem derartigen Stoff nicht in Verklärung, oder Kitsch abgleitet, ist schon ein echtes Kunststück.

Die Figuren in "Only Yesterday“ sind voller Wärme und Leben. Sei es Taekos Großmutter, welche die Familie Okajima mit gelegentlich geäußerten Altersweisheiten die Schamesröte ins Gesicht treibt, oder Taekos kindlicher Verehrer Hirota, der seiner Angebeteten vor Nervosität nur unverständlich entgegenstammelt. Takahatas Charaktere haben ihre Stärken und ihre Schwächen, handeln erst unverständlich und dann wieder vertretbar.
In Anbetracht dieser Tatsache versteht es sich von selbst, dass das Identifikationspotential beim Zuschauer sehr hoch ausfällt. In einer Szene, in der Taekos Schwester vergeblich versucht, dem Mädchen die Bruchrechnung verständlich zu machen, musste ich schmunzelnd an meine eigene (glücklicherweise überwundene) Grundschulzeit zurückdenken, in der meine ältere Schwester mich nach zahlreichen Mathematik-Nachhilfestunden ebenfalls verzweifelt aufgeben musste. Mein bester Freund war besonders angetan von den Sequenzen, in denen die männlichen Fünftklässler ihre menstruierenden Altersgenossinnen mit spöttischen Gebärden in den Wahnsinn treiben. So nimmt eben jeder Zuschauer seine ganz persönlichen Erinnerungen von Takahatas wundersam beruhigendem Werk mit.

"Only Yesterday“, auch bekannt unter dem schöneren Titel "Memories of Yesterday“, ist ein warmherziger und formal ausgereifter Zeichentrickfilm, dem es gebührt, noch lange in Erinnerung zu bleiben. Ich jedenfalls, trage ihn mit Freude in meinem Herzen.

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