Scorsese im Horrorgenre, das ist ungewohnt, basierend auf einer Romanvorlage Dennis Lehanes, dessen „Mystic River“ und „Gone Baby Gone“ bereits erfolgreich verfilmt wurden.
Man wird unmittelbar ins Geschehen des Jahres 1954 geworfen, Marshall Teddy Daniels (Leonardo DiCaprio) und sein Partner Chuck Aule (Mark Ruffalo) schippern gen Shutter Island, einer Klapsmühleninsel, wo es das Verschwinden einer Patientin aufzuklären gilt. Die Findefüchse unter den Zuschauern kennen die Strategie bereits, keine Vorgeschichte, keine Auftragsvergabe, also sind alle Möglichkeiten an offen, was vorher passiert sein könnte, nicht passiert sein könnte oder nur in den Köpfen gewisser Figuren stattgefunden haben könnte.
Dazu passt dann auch, dass Daniels nicht unbedingt die stabilste Figur ist: Erst seekrank, bald an seine Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, wo er zu den Befreiern des KZs Dachau zählte, plagen ihn ebenso wie die Gedanken an seine tote Frau. Zudem ist Anstaltsleiter John Crawley (Ben Kingsley) wenig kooperativ, da er seine Patienten, zum Großteil Mörder, nicht als Verbrecher, sondern eben als Kranke verstanden wissen will. Scorsese inszeniert Anstalt und Insel als durch und durch feindselige Umgebung, in der sich auch das Wetter gegen Teddy und Chuck verschworen hat, deren Topographie man nur erahnen, aber nie wirklich fassen kann.
Teddy kommt bei dem Fall an seine Grenzen: In Dr. Jeremiah Naehring (Max von Sydow) meint er einen ihm aus Dachau bekannten Nazi zu erkennen, der für den Tod seiner Frau verantwortliche Brandstifter Laeddis (Elias Koteas) ist wohl ebenfalls Patient. Scheinbar geht es Teddy auch mehr um ihn als um den Fall…
Ein Spiel um Schein und Sein also, ein Gruselthriller der suggestiven und weniger blutigen Schiene, der die Betonung klar auf das Wort Thriller legt. Übersinnliches deutet sich an, in Phantastereien artet „Shutter Island“ aber nie aus, selbst Standardlocations des Horrorfilms wie der Friedhof oder Trakt mit den gefährlichsten Anstaltsinsassen werden dezent als Orte des Unwohlseins, aber nicht des exzessiven Grauens in Szene gesetzt. Das Visuelle ist hier bereits die halbe Miete, denn an die Stimmung und an die Bilder von „Shutter Island“ erinnert man sich mit Freude zurück (beeindruckend: die surreale Dachau-Rückblende), da sie den Stilwillen des Regisseurs durch und durch erkennen lassen.
Plottechnisch ist dagegen nicht unbedingt Begeisterungsapplaus ansagt: Teddy latscht über die Insel, geht Hinweisen nach und befragt potentielle Zeugen, die das sein könnten was sie vorgeben oder auch nicht, Schlüsselorte wie der Leuchtturm werden mit Bedeutung aufgeladen, doch es ist klar: All das steht doch vor allem im Dienste der Auflösung. Klar, „Shutter Island“ ist kurzweilig anzuschauen, doch bald ist klar, dass die einzelnen Puzzleteile zwar munter durcheinandergewirbelt werden, aber erst das Ende den Sinn stiftet und so wartet man aber einer gewissen Weile nur noch darauf und ist weniger an den Aktionen Teddys interessiert.
Bis zum Schluss hält „Shutter Island“ die Möglichkeiten offen, was vor sich geht, ob es ein Kriminalfall ist, ob übernatürliche Elemente mit hineinspielen oder ob man dem in den letzten Jahren äußerst beliebten Trend folgt zu enthüllen, dass die Hauptfigur eigentlich einen an der Murmel hat und sich alles nur in seinem Kopf abspielt. Die Tatsache, dass Teddy und Chuck den Insassen optisch immer ähnlicher werden (unter anderem müssen sie Patientenkleidung tragen als ihre Garderobe durchnässt wird) legt die Interpretation nahe. *SPOILER* Natürlich gibt auch DiCaprios Konterfei, das auf Cover und Filmplakat dick über der Insel prangt entsprechende Hinweise. Dementsprechend erfreut ist man dann, wenn man erfährt, dass er zwar Patient ist, aber sich nicht alles einbildet, sondern es sich um einen Feldversuch zur Therapie handelt, vieles hier also „real“ passiert. Ebenfalls sehr gelungen: Die Schlussminuten, in denen sich Teddy anscheinend dafür entscheidet lieber für sein Hirngespinst lobotomisiert zu werden anstatt die Wahrheit anzuerkennen, weil er damit nicht fertig würde. *SPOILER ENDE*
Mit seinem Gesichtsausdruck erweckt Leonardo DiCaprio andauernd den Eindruck er wolle einen auf Orson Welles, doch das schmälert seine Leistung nicht, die sich nahtlos in die ganze Reihe tadelloser Performances seinerseits in den letzten Jahren einreiht. Mark Ruffalo spielt
die zweite Geige, den Support, aber das präzise und nuanciert, sodass er trotzdem glänzt. Ebenso wie der Rest vom erlesenen Cast, der bis in die Nebenrollen prominent besetzt ist: Ben Kingsley, Max von Sydow, Elias Koteas, Jackie Earle Haley, Emily Mortimer, Michelle Williams, Patricia Clarkson und Ted Levine dürfen mittun.
Ein Meisterwerk mag „Shutter Island“ nicht sein, aber ein stimmiger, wunderbar inszenierter Gruselthriller, der von seinen Bildern und den famosen Darstellern lebt. Die Auflösung ist zwar in Teilen schon früh ersichtlich und in der Mitte könnte sich der Film etwas kürzer fassen, aber sehr gelungen ist Scorseses Werk dennoch.