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Eskapistische Unterhaltung in Kriegszeiten? Damit die Illusion gelingt, die Stadt St. Louis um 1903 wiederauferstehen zu lassen, wurden allein 200.000 Dollar des Gesamtbudgets in Höhe von 1,9 Millionen für die Errichtung einer ganzen Nachbarschaft ausgegeben. Der Aufwand hat sich gelohnt: In seinem ersten großen Film gelingt Vincente Minelli eines der besten Filmmusicals überhaupt. In dieser Verfilmung der Kurzgeschichten von Sally Benson, die einst im NEW YORKER veröffentlicht wurden, ist der Halloween-Handlungsstrang am ungewöhnlichsten. Die fünfjährige Tochter Tootie, die viel morbide Phantasie besitzt, kommt darin an Halloween unter Tränen nach Hause und behauptet, der Freund ihrer Schwester hätte sie geschlagen, eine surreale Situation, die fast schon Buñuel-Züge trägt. Minelli gelingt es in jenem feurigen Fiebertraum, der perfekten Kulissenwelt zu entfliehen und es war dieser Handlungsstrang der Grund, wieso er die Regie doch annahm, nachdem George Cukor verhindert war. In MEET ME IN ST. LOUIS sind die besten Handwerker am Werk: jede Blume am Fenster, jedes Blatt ist künstlich und wirkt zugleich so echt. Der Ausblick aus dem Fenster ist in Perfektion perspektivisch gemalt, selbst das Licht flackert und ändert seine Farbgebung. Wir erleben eine scheinbare Realität, wie wir sie uns in unserer Erinnerung wünschen. Neben der unterhaltsamen Handlung, die mehrere Monate im Leben einer Familie im Jahr vor der großen Weltausstellung 1904 beleuchtet, sind besonders die Details so gut umgesetzt: Die Szene, in der Esther und John das Licht der Lampen löschen, um sich unausgesprochen näher zu kommen, ist meisterlich inszeniert: die mechanischen Lampen aus glänzenden Messing laden das Musical plötzlich kurzzeitig mit dem Realismus eines Jean Renoir auf. Eine Tomatensuppe samt ihrer Herstellung, einen Braten oder das Telefon an der Wand wird man nie wieder vergessen. Das ganze Haus ist mit seiner Holzvertäfelung und Bleiglasfenstern, dem reichhaltigen Tischschmuck, der auch hier zu einer der einprägsamsten Szenen führt, ist mit viel Liebe ausgestattet. Das war kalkuliert: Damit der drohende Umzug von St. Louis nach New York besonders schrecklich wirkt, setzten Minnelli und Freed viel Energie in die Filmsets, die möglichst beeindruckend und schön wirken sollten: aus St. Louis will auch der Zuschauer nie mehr weg, im Film ist es ein Sehnsuchtsort. Selbiges gilt für die Kostüme von Irene Sharaff, die verschwenderisch oft gewechselt werden. Judy Garland sagte von diesem Film, dass sie sich hier erstmal schön gefühlt habe. Und sie hat Recht damit: eine der schönsten Großaufnahmen der Filmgeschichte hat sie in der Szene, in der sie das berühmte Weihnachtslied singt. Dessen Text fiel in der Urfassung übrigens deutlich düsterer aus: „Have Yourself a Merry Little Christmas, It may be your Last. Next Year we will all be living in the past“ und wurde auf Wunsch von Garland abgeändert. Seitdem wurde es zu einem der beliebtesten Weihnachtslieder überhaupt. Die Lieder sind allesamt ein Fest und es war neu, dass sie in die Handlung integriert waren und sie vorantrieben. Der Technicolor-Film wurde nun in Perfektion für die Blu-Ray von Warner Archive Collection restauriert. Dazu wurden die einzelnen Farbstreifen gescannt und digital entzerrt, so dass sie wieder den Bildeindruck bieten, wie 1944: Farbkino in Perfektion, dass heute noch so zu fesseln vermag wie damals. MEET ME IN ST. LOUIS ist nun neben Robert Wises THE SOUND OF MUSIC zu einem meiner liebsten Filmmusicals geworden.

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