Review

Mit nur einem einzigen Film hat Regisseur Djordje Kadijevic mich vor geraumer Zeit spielerisch für sich gewonnen. Bei dem 1973 fürs serbische Fernsehen gedrehten LEPTIRICA, einem stellenweise poetischen, bizarr-komischen und wirklich unheimlichen Vampirmärchen, konnte ich gar nicht anders, als ihm mein Herz zu schenken und ihn in die exklusive Riege meiner liebsten Horrorfilme überhaupt aufzunehmen. Umso gespannter war ich darauf, mir endlich den fast zwei Jahrzehnte später entstandenen SVETO MESTO vornehmen zu können, der sich, anders als LEPTIRCA, als Vorlage nicht nur bei folkloristischen Legenden Osteuropas bedient, sondern seinen Inhalt direkt aus einem Klassiker der russischen Literatur rekrutiert, der 1835 erschienen Erzählung VIJ von Nikolai Gogol, demnach ebenfalls dem Horrorgenre zugeordnet werden muss, und mich darauf hoffen ließ, ein weiteres schauriges Meisterwerk geliefert zu bekommen. Nicht zuletzt erwartete ich, dass Kadijevic, der sich in LEPTIRICA zwar auch als Meister der eher abseitigen Komik präsentierte, vor allem aber unter Beweis stellte, dass er es versteht, aus einer schlichten Szene mit den einfachsten Mitteln ein Höchstmaß an beklemmender Atmosphäre zu gewinnen, seine VIJ-Verfilmung wesentlich düsterer und bedrohlicher gestaltet als es bei der anderen mir bekannten Adaption des Stoffs der Fall ist, dem VIJ der Regisseure Georgi Kropachyov und Konstantin Yershov von 1967, der die komischen Elemente der Story für meinen Geschmack etwas zu stark betonte und übersteigerte, und über große Strecken eher wie ein harmloser Märchenfilm wirkte. Vielleicht liegt es demnach auch daran, dass meine Erwartungen an SVETO MESTO viel zu hoch waren, dass der Film mich unterm Strich mehr enttäuschte als begeisterte.

An der Grundstory hat Kadijevic kaum eine nennenswerte Veränderung vorgenommen. Wie bei Gogol und der früheren Filmfassung steht auch in SVETO MESTO ein junger Student des Priesterseminars mit Namen Toma im Mittelpunkt, der mit zwei seiner Kommilitonen eine Wanderung durch ödes Terrain unternimmt, bei der sie sowohl von der Nacht als auch von Wolfsgeheul überrascht werden, sodass sie Unterschlupf in der nächstbesten Hütte suchen, die, so scheint es, einzig von einem alten Mütterchen bewohnt wird, das ihnen erst misstrauisch begegnet, sich dann aber dazu bereit erklärt, die jungen Männer für eine Nacht zu beherbergen, unter der Bedingung allerdings, dass Toma im Stall schlafen solle, während es die andern beiden in ihrer heruntergekommenen Wohnstube gemütlich machen dürfen. Die Gründe dafür sind ganz pragmatische, schleicht sich die Hausherrin doch um Mitternacht in den Stall, um ihre sexuelle Lust an Toma zu befriedigen. Der findet das Verhalten des Mütterchens im ersten Moment noch amüsant, wird sich dann aber der Gefahr bewusst, in der er schwebt, als die Alte ungeahnte Kräfte entwickelt, sich ihm schließlich auf den Rücken setzt und ihn nach Hexen-Manier als Reittier gebraucht, das sich alsbald mitsamt seiner Last in die Lüfte erhebt. Toma kann gerade noch geistesgegenwärtig ein paar Gebete stammeln, um die Hexe loszubekommen, und bricht nach einem kurzen, wilden Ritt auf einem Feld zusammen, wo er solange auf die sich windende und zuckende Alte einschlägt bis sie kein Lebenszeichen mehr von sich gibt. Nicht wenig erstaunt ist Toma jedoch, als sie sich im Tod in eine wunderhübsche junge Frau verwandelt, die ihn kurzzeitig fast schon bedauern lässt, sie umgebracht zu haben. Viel zu spät und ziemlich zerschlagen erreicht der Student am nächsten Tag das Priesterseminar, wo ihn statt einer Rüge wegen seiner Aufmachung eine höchst überraschende Nachricht erwartet. Die Tochter eines Gutsherrn sei letzte Nacht auf grausame Weise ermordet worden, teilt ihm sein Rektor mit, und habe gerade noch den Atem gehabt, ihrem Vater den Wunsch abzuringen, dass Toma nach ihrem Tod drei Nächte lang an ihrem offenen Sarg in der Kapelle ihres Heimatdorfes wachen und Gebete für ihr Seelenheil lesen solle. Der Student wittert schnell Unheilvolles, beteuert, die Familie des Gutsherrn nicht zu kennen, und redet in Engelszungen auf seinen Rektor ein, von der Aufgabe entbunden zu werden. Alles, was er dadurch erreicht, ist, dass der Rektor ihm damit droht, ihn aus dem Seminar zu werfen, wenn er sich seinem Befehl widersetze, und die beiden Kutscher, die ihn in das Dorf bringen sollen, ihn noch wachsamer im Auge behalten als sowieso schon. Im Dorf angekommen gesellt sich auch der Vater des toten Mädchens in die Reihe derer, die Drohungen gegenüber Toma aussprechen, falls er darin scheitern solle, den letzten Wunsch seiner Tochter zu erfüllen. Dem Student bleibt also nichts anderes übrig als sich für drei Tage in dem abgeschiedenen Ort einzurichten. Zu dem Schock, dass es sich bei der Toten, wie er bereits ahnte, tatsächlich um das Mädchen handelt, das er in der Nacht zuvor umbrachte, addieren sich schnell die verschiedensten Geschichten der Dorfbewohner, die allesamt davon zu berichten wissen, dass die Tochter des Gutsherrn mit dem Teufel im Bunde gewesen sei und einigen aus dem Ort übel mitgespielt haben solle. Dass sie auch im Tode nicht vorhat, mit dieser Tradition zu brechen, erfährt Toma schon in der ersten Nacht am eigenen Leibe, als er sich, in der Kapelle eingeschlossen und mit nichts außer seinem Gebetsbuch bewaffnet, einer lebenden Toten gegenübersieht, die sich offenbar gerne an ihm dafür rächen würde, dass er sich gegen sie zur Wehr setzte…

Im Grunde das einzige Element, das die beiden Filme LEPTIRCA und SVETO MESTO miteinander verbindet, ist, meiner Meinung nach, die Optik. Auch wenn ich nicht habe herausfinden können, ob es sich bei SVETO MESTO ebenfalls um einen TV-Film handelt, hat er den schlichten, schnörkellosen Look von einem, der auf allzu ausgefallene Bildkompositionen verzichtet und rein von seiner Bildsprache her einfache, klar verständliche Sätze aneinanderreiht. Während Kadijevic diesen Umstand in LEPTIRCA nicht zum Anlass nahm, den Rest des Films dieser Äußerlichkeit anzupassen, lässt ihm SVETO MESTO augenscheinlich schon wesentlich weniger Raum für kreative visuelle Einfälle. Der Film sieht unspektakulär aus, gewöhnlich, und scheitert daran, die Stimmung heraufzubeschwören, die LEPTIRCA auszeichnete und die ihm wohl ebenfalls nicht schlecht zu Gesicht gestanden hätte. Es hat schon einen Grund, weshalb Kadijevic seinem Film nicht den Originaltitel der Gogol-Novelle gegeben hat, denn der titelgebende Vij, der Herr der Dämonen und Geister, der im surrealen Finale der Verfilmung von 1967 höchstpersönlich in äußerst grotesker Gestalt auftritt, fehlt in SVETO MESTO gänzlich. Überhaupt beschränken sich die Horrorszenen auf ein Minimum, sowohl was ihre Länge als auch was ihren Inhalt betrifft. Eigentlich tut sich nichts weiter als dass Toma, sich an sein Gebetsbuch klammernd, erbauliche Verse stammelt, und die untote Gutsherrentochter keifend und fauchend um ihn herumtanzt. Es mag sein, dass Kadijevic den Bombast, den man auch bei Gogol findet, bewusst reduzierte, um seinem Film einen realistischeren Ton zu verpassen, wirklich beeindruckend oder gar unheimlich sind ihm keine einzige Szene gelungen. Überhaupt lässt der Film alles, was einer grusligeren Atmosphäre zuträglich gewesen wäre, die meiste Zeit über völlig außer Acht. Seine Landschaftsaufnahmen sind wenig aussagekräftig, es wird keine besondere Spannung aufgebaut, die Figur des Tomas, obwohl sie im Fokus der Geschichte steht, bleibt die gesamte Laufzeit über seltsam blass, und lädt den Zuschauer nicht wirklich dazu ein, mit ihr mitzufiebern. Schuld daran ist wohl auch, dass es Kadijevic nicht gelingt, Gogols Vorlage homogen zu einem Laufzeit von eineinhalb Stunden aufzublasen, und ein paar Eigenkreationen einbaut, die offenbar lediglich dazu dienen sollen, die Filmlänge etwas zu strecken, ansonsten aber kaum eine narrative Funktion erfüllen. Ständig wird nämlich die Gegenwart, in der Toma sich von einer Schreckensnacht zur nächsten hangelt, von Rückblenden unterbrochen, die darstellen, was einzelne Dorfbewohner ihm über die Tote zu erzählen haben. Der Dorftrottel beispielweise hatte diese Rolle nicht schon immer inne, sondern wurde von der Hexe erst dahin gebracht, indem sie ihn im Pferdestall verführte und ihm solange auf dem Unterleib herumtrampelte und-tanzte bis er den Verstand verlor. Ein anderes Mädchen hat die Gutsherrentochter in Gestalt einer schwarzen Katze heimgesucht und anschließend in eine lesbische Beziehung verstrickt. Nicht zuletzt sei die Hexe einmal beim Gang zur Kirche exakt in dem Moment zusammengebrochen, als sie die heilige Schwelle übertreten wolle. Die eigentliche Story bringen diese Versatzstücke, die wirken, als habe man sie erst später eingefügt, so wenig Anknüpfungspunkte besitzen sie zur Restgeschichte, nicht voran, langweilen den Zuschauer, der ja längst davon weiß, dass man es bei der Toten mit einer Hexe zu tun hat, eher dadurch, dass Kadijevic sie teilweise endlos auswalzt, und eine offensichtliche Freude daran hat, vor allem ihre sexuelle Aspekte herauszustreichen. Verwirrend ist hierbei auch, dass die einzige wirklich nennenswerte Veränderung, die er gegenüber Gogols Text in den Film einfließen lässt, darin besteht, dem Gutsherrn ein inzestuöses Verhältnis zu seiner Tochter anzudichten. Ob damit nun eine tiefere Aussage verbunden sein soll oder ob auch diese Modifikation wie die meisten andern einfach nur im Raum stehenbleibt, sollte jeder für sich selbst entscheiden.
 
SVETO MESTO erweist sich als ein Film, der zwischen vielen Stühlen sitzt, auf keinem richtig. Er ist nicht besonders witzig, obwohl er teilweise versucht, den ironischen Unterton Gogols nachzuahmen. Er ist, wie wir bereits festgestellt haben, nicht besonders schaurig, auch wenn das visuelle Arsenal des Gothic-Horror-Films ihm größtenteils zur Verfügung steht, das alles aber auch nichts nutzt, wenn der Film sich seiner nur als schmuckes Beiwerk bedient. Er ist nicht besonders bewegend, selbst wenn ein paar Fluchtversuche Tomas dann doch leidlich spannend geraten sind. Was ihm aber vor allem fehlt ist das, was mir bei der VIJ-Adaption von 1967 fast schon zu viel des Guten war: eine gewisse Phantasiefülle, die ihm Leben einhaucht. Positiv anmerken muss ich immerhin eine Sache, die jedoch wohl eher dem Zufall geschuldet ist. Was seine musikalische Untermalung und diverse Einzelszenen betrifft, weckte SVETO MESTO leichte Assoziationen zum italienischen Horrorfilm der 60er, 70er und 80er Jahre in mir. Vor allem eine, eher mäßig umgesetzte, Szene mit einer Killerkatze wäre so oder so ähnlich auch in einem beliebigen Fulci-Werk nicht negativ aufgefallen. Unterm Strich ist SVETO MESTO kein schlechter Film, jedoch auch kein wirklich guter, eher einer, an den sich zu erinnern, einem schon ein paar Wochen später schwerfallen wird.

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